Politik

Ausbildung an der Waffe In Kiew trainieren Zivilisten für den Fall, die Russen kommen zurück

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Blitzschnell auf dem Boden: Die Trainingsgruppe erwidert das Feuer.

Blitzschnell auf dem Boden: Die Trainingsgruppe erwidert das Feuer.

(Foto: Janis Peitsch)

Seit gut drei Jahren tobt der russische Großangriff in der Ukraine. Bis nach Kiew haben es Moskaus Truppen nicht geschafft. Doch was passiert, wenn die Invasoren es erneut versuchen? In der ukrainischen Hauptstadt bereiten sich Zivilisten auf den Ernstfall vor.

Auf einer kleinen Waldlichtung nahe dem Kiewer Flughafen sammelt Ausbilder "Blaizer" seinen Trupp aus vierzehn Männern und Frauen für eine Lagebesprechung. Plötzlich peitschen Schüsse durch die Luft. Gegnerische Kämpfer haben die Gruppe umgangen und eröffnen aus kurzer Distanz das Feuer. Blitzschnell werfen sich Blaizers Schützlinge auf den feuchten Erdboden und erwidern mit ihren Softair-Gewehren den Angriff. Nach einem kurzen Schusswechsel verschwindet der Feind wieder im Unterholz. Die Gefahr ist gebannt.

"Das haben wir gut gemeistert", sagt Dymitro stolz nach der Übung. Der 24-Jährige gehört zur Kiewer Stadtgarde und absolviert einen fünftägigen Basiskurs des Nationalen Widerstandszentrums der ukrainischen Hauptstadt. Hier lernen die Teilnehmer grundlegende Militärtaktiken: Umgang mit Sturmgewehren und Handgranaten, Erste Hilfe unter Gefechtsbedingungen leisten und Verwundete aus der Gefahrenzone bringen.

Ausbilder Blaizer (r.) und seine Trainingsgruppe bei einer Lagebesprechung.

Ausbilder Blaizer (r.) und seine Trainingsgruppe bei einer Lagebesprechung.

Während das Leben in Kiew weitgehend normal weiterläuft, hat das Nationale Widerstandszentrum seit Sommer 2023 eigenen Angaben zufolge mehr als 19.000 Menschen ausgebildet. Das Ziel: Die Einwohner der Drei-Millionen-Metropole für den militärischen Ernstfall fit zu machen. "Bei uns kann man lernen, wie man sich selbst, seine Familie und sein Land verteidigt", sagt die stellvertretende Leiterin des Zentrums, Medusa. "Niemand sollte sich angesichts des russischen Angriffs hilflos fühlen." Neben Mitgliedern der Stadtgarde und Studenten, die ihre obligatorische Militärausbildung absolvieren, kommen auch viele Zivilisten freiwillig zu den kostenlosen Kursen. 40 Prozent sind Frauen.

"Die Bevölkerung muss vorbereitet sein"

"Jeder sollte wissen, wie man ein Gewehr bedient und wie man sich verteidigt", sagt Blaizer. "Die Bevölkerung muss vorbereitet sein, sollte die russische Armee erneut vor den Toren Kiews auftauchen." Damit erinnert er an den Beginn der russischen Großinvasion im Februar 2022, als zehntausende Zivilisten zu den Waffen griffen und die ukrainische Hauptstadt erfolgreich verteidigten.

Was den Kursteilnehmern fehle, sei ausreichend Zeit, gibt Blaizer zu. Die Ausbildung eines ukrainischen Soldaten betrage mehrere Monate und erfordere kontinuierliches Training. Das könne man nicht mit einem fünftägigen Kurs vergleichen. Er fordert daher eine verpflichtende militärische Ausbildung für alle Männer und Frauen, ähnlich wie in Israel.

Vom Basiskurs zum Spezialtraining

"Berufssoldaten müssen ihre Abläufe ständig üben, Zivilisten sollten wenigstens alle drei Monate für vier Wochen trainieren", sagt der Veteran der 2022 aufgestellten 5. Sturmbrigade. "Nur wer regelmäßig übt, entwickelt Automatismen. Denn im Gefecht unter feindlichem Beschuss bleibt keine Zeit nachzudenken, wie man am besten reagieren sollte."

Die 24-jährige Swetlana will sich später einer Drohneneinheit anschließen.

Die 24-jährige Swetlana will sich später einer Drohneneinheit anschließen.

(Foto: Janis Peitsch)

"Fünf Tage Training sind nicht ausreichend, um den Feind zu besiegen", sagt auch Medusa. "Aber fünf Tage reichen aus, um die Teilnehmer zu motivieren, ihre Fähigkeiten zu verbessern und an sich zu arbeiten." Für Interessierte, die das Training in regelmäßigen Einheiten vertiefen möchten, hat das Widerstandszentrum eine Gruppe namens Alpha-Bravo geschaffen. Statt mit Holzattrappen und Softair-Gewehren wird mit scharfer Munition geübt.

Die 20-jährige Valeriya ist eine von 90 Alpha-Bravo-Kämpfern. Sie unterstützt das Ausbilderteam im Grundkurs. Eigentlich ist sie Tanzlehrerin und stammt aus der von Russland besetzten Stadt Enerhodar. Nach sechs Monaten unter russischer Herrschaft floh sie mit ihrer Familie. "Jetzt habe ich die Chance, etwas zur Verteidigung meines Landes beizutragen", sagt sie.

"In unserem Land ist die Gefahr überall"

Neben dem Basistraining bietet das Widerstandszentrum auch Spezialkurse an, etwa für Drohnenpiloten. Die 24-jährige Swetlana absolviert derzeit einen solchen Kurs. Später will sich die Polizistin einer Drohneneinheit der Armee anschließen. Viele ihrer Freunde seien im Militär, einige von ihnen bereits gefallen. Über die Gefahren für ihr eigenes Leben macht sich Swetlana keine Illusionen. "Es ist Krieg", sagt sie trocken. "Ob an der Front oder in den Städten - in unserem Land ist die Gefahr überall."

Das Drohnentraining dauert zehn Tage. Zuerst üben die Teilnehmer am Computer, später geht es auf den Trainingsplatz um richtige Drohnen zu steuern. "Zehn Tage reichen, um die Grundlagen von Drohnen zu verinnerlichen", sagt Übungsleiter Roman. Die wichtigsten Eigenschaften eines guten Piloten seien Selbstbeherrschung, Gelassenheit und eine ruhige Steuerung. "Drohnen sind eine sehr effektive Waffe. Jeder Ukrainer sollte wissen, wie man sie bedient."

Nazarii mit seiner selbst gebauten Drohne.

Nazarii mit seiner selbst gebauten Drohne.

(Foto: Janis Peitsch)

Die Drohnen für den Kurs werden vom Widerstandszentrum selbst hergestellt. In einer kleinen Werkstatt lernen Freiwillige, wie sie die Geräte aus Einzelteilen zusammenbauen. Der 18-jährige Nazarii ist einer von ihnen. Vor ihm auf der Werkbank liegen Metallrahmen, Kabel und Steuerplatinen. Technik habe ihn schon immer begeistert, sagt der Student. Sein Traum sei es, später als Drohnendesigner zu arbeiten.

Angeleitet wird Nazarii von Laso. Der 41-Jährige brachte sich den Drohnenbau mithilfe von Youtube-Videos und Anleitungen im Netz selbst bei. Nach einem Basistraining entschied er, sich dem Widerstandszentrum als Ausbilder anzuschließen. "Früher hatte ich eine Baufirma. Aber Putins Angriffskrieg hat mich dazu gezwungen, meinen Job zu wechseln", erzählt Laso mit einem sarkastischen Lächeln. Jeder habe die Fähigkeit, Drohnen zu bauen. "Alles, was man braucht, ist Lernbereitschaft und Motivation", sagt er und streicht mit der Hand über eine fertige Drohne.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen