Atomkrieg gegen Irak Israel rüstet sich
15.08.2002, 17:10 UhrVon Ulrich Sahm, Jerusalem
Im Flüchtlingslager Rafah im Gazastreifens haben gestern hunderte Palästinenser protestiert. Sie trugen Bilder von Arafat und Saddam Hussein mit der Aufforderung an Irak: "Bombardiere Tel Aviv". Derweil laufen in Tel Aviv die Vorbereitungen für den Fall eines erneuten Angriffs Saddams gegen Israel auf Hochtouren. Die Verteilerstellen für Gasmasken sind aus einem langen Dornröschenschlaf erwacht. Es wird erwogen, in die Pappkartons neben einer Spritze gegen Anthrax auch eine Jodkapsel zum Preis von je einem Euro beizulegen. Jod kann die Schilddrüse zeitweilig vor Radioaktivität schützen, falls Irak eine "schmutzige Bombe" abwerfen sollte. Gegen eine richtige Atombombe nützen die Kapseln nichts.
Noch wird diskutiert, ob die gesamte Bevölkerung gegen Pocken geimpft werden sollte oder nur Rettungsmannschaften und Ärzte. Im Falle eines biologischen Angriffs wären sie größter Gefahr ausgesetzt. Gruselszenarien werden in den israelischen Zeitungen und Talkshows leidenschaftslos diskutiert. Noch ist die Gefahr palästinensischer Selbstmordattentate akuter, während die Aussicht auf einen amerikanischen Schlag gegen Irak sowie der mögliche Gegenschlag auf Israel keine Gewissheit habe.
Gleichwohl decken sich Feuerwehr und Rettungsdienste mit silberfarbenen Schutzanzügen ein. Nahe Tel Aviv wurde schon eine Radarstation für die amerikanisch-israelische Rakete "Chetz" (Pfeil) errichtet. Die hat erfolgreich Tests bestanden, anfliegende ballistische Raketen abzufangen. Die USA haben Israel auch einige Patriot-Batterien angeboten. Die älteren Modelle aus der Zeit des Golfkrieges haben beim Abfangen irakischer Scudraketen eher Schaden angerichtet als Nutzen gebracht.
Die Mehrheit der israelischen Bürger verfügt über keine vernünftigen Luftschutzkeller. Vor einigen Tagen brachte das Fernsehen eine Reportage über die luxuriösen Bunker der Neureichen im Nord Tel Avivs, komplett mit modernsten Luftfiltern gegen jegliche Bakterien oder Chemikalien, die Saddam in seinen Arsenalen haben könnte. Irak verfügt wohl nur noch über fünf bis zehn funktionierende Scudraketen.
Die 36 Scudraketen, die 1991 in Israel runtergingen, erzeugten mehr Panik denn Schaden und waren ohnehin nur mit herkömmlichen Sprengsätzen bestückt. Doch seit Jahren ist bekannt, dass Irak MIG-29 und kleinere Sprühflugzeuge in unbemannte Flugkörper verwandelt, um über Tel Aviv biologische oder chemische Stoffe zu versprühen.
Über die möglichen israelischen Reaktionen auf einen irakischen Angriff wird offen nur wenig spekuliert. Vor einigen Tagen erklomm Premierminister Ariel Scharon die schmale Metalleiter zum Cockpit eines Kampfjägers. Der Luftwaffenchef erklärte ihm, dass Israels Kampfpiloten bereit seien. Wozu, gegen wen und mit welchen Waffen unter ihren Flügeln wurde nicht gesagt. Die Amerikaner hätten zudem Israel versprochen, als erstes Land der Welt vom Zeitpunkt eines Angriffes auf Irak zu erfahren.
Dass Israel zu einem atomaren Gegenschlag ausholen könnte und auch mit anderen Waffen "de facto den Irak zerstören könnten", behaupten nur amerikanische Reports, wie etwa der des Dr. Tony Cordsman vor dem Außenausschuss des US-Senats. Gemäß Berichten im Ausland besitzt Israel mindestens 200 Atombomben, die im "Forschungsreaktor" von Dimona hergestellt und in Bunkern in den Bergen zwischen Jerusalem und Tel Aviv eingelagert seien. Mit gezielten Indiskretionen haben Schimon Peres ("der Vater der israelischen Atombombe") und andere Politiker die Existenz einer israelischen Bombe publik gemacht oder versehentlich ausgeplaudert. Offiziell hält Israel weiterhin an seiner Politik fest, die Existenz einer Atombombe weder zu bestätigen noch zu dementieren.
Israel werde unkonventionelle Waffen "nicht als erstes Land im Nahen Osten einsetzen". Spekulationen, wonach die in Deutschland gebauten U-Boote der Marke Dolphin Torpedos mit "ungewöhnlich großem Durchmesser" abschießen könnten, werden von Militärs nicht weiter kommentiert. Israel besitzt Trägerraketen vom Typ Jericho und Kampfflugzeuge mit der Fähigkeit, in der Luft aufzutanken. Israels Drohnen können den Feind nicht nur fotografieren.
Während Israel 1991 auf dringende Bitten der Amerikaner stillgehalten hat, obgleich es angegriffen wurde, hat Scharon dem Präsidenten Bush schon erklärt, diesmal keine Zurückhaltung üben zu wollen. Die Amerikaner dürften deshalb versuchen, erst einmal alle gegen Israel gerichteten irakischen Waffensysteme auszuschalten. Sollte es dennoch zu einem tödlichen Angriff mit Biowaffen oder Chemie mit zahlreichen Toten in einer israelischen Stadt kommen, dürfte Israels Antwort hart ausfallen.
Mit Hinweis auf die schon jubelnden Palästinenser in dem geographisch winzigen Land sagte am Donnerstagmorgen warnend ein israelischer Experte im Rundfunk: "Die Israelis sind in der ganzen Region am besten geschützt. Der Wind würde Krankheitserreger schnell nach Osten zu den Palästinensern tragen. Die sind überhaupt nicht geschützt. Von dort könnten sich die ansteckenden Krankheiten über Syrien oder Jordanien vielleicht bis nach Iran und Irak verbreiten."
Quelle: ntv.de