Politik

Hamas-Zentrale liegt in Schutt und Asche Israel setzt auf Rückendeckung der USA

Einschlag einer Rakete in einem Randbezirk von Gaza-Stadt.

Israels Luftangriffe auf Gaza fordern immer weitere Opfer. Die palästinensische Hamas schwört Rache. Weltweit wächst die Sorge, dass beide Seiten sich in einen neuen blutigen Krieg manövrieren. Vertreter der arabischen Welt fordern einen sofortigen Stopp der israelischen Angriffe und verweisen auf die politischen Veränderungen nach dem arabischen Frühling. Die USA stehen hinter Israel und versprechen "volle Rückendeckung".

Der Amtssitz in Schutt und Asche gelegt. Rettungskräfte suchen nach Überlebenden.

Der Amtssitz in Schutt und Asche gelegt. Rettungskräfte suchen nach Überlebenden.

(Foto: AP)

Die israelische Luftwaffe hat den vierten Tag in Folge zahlreiche Einrichtungen der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen bombardiert. Dabei wurde der Amtssitz von Ministerpräsident Ismail Hanijeh in Schutt und Asche gelegt. Ob der Frontalangriff gegen die im Gazastreifen herrschende Hamas der richtige Weg ist, daran werden allerdings Zweifel geäußert.

Als Konsequenz aus den Raketenangriffen militanter Palästinenser aus dem Gazastreifen verstärkte Israel seine Luftverteidigung im Großraum Tel Aviv. Dort muss erneut Luftalarm gegeben werden. Noch während die Luftschutzsirenen heulten, war ein lauter Knall zu hören. Ein Radioreporter berichtete, er habe gesehen, wie die Abfangrakete das nahende Geschoss in der Luft traf. Augenzeugen sprachen von einer großen Rauchwolke. Die Überreste der Rakete seien dann vor dem südlichen Vorort Bat Jam - etwa vier Kilometer vom Stadtzentrum entfernt - ins Meer gestürzt. Die Streitkräfte hatten das Abwehrsystem vom Typ "Iron Dome" (Eisenkuppel) erst am Samstag vor Tel Aviv in Stellung gebracht. Zugleich traf der jüdische Staat Vorkehrungen für eine Bodenoffensive und beschloss die Einberufung von bis zu 75.000 Reservisten.

Ein Offizier der Hamas inspiziert eine israelische Rakete, die beim Einschlag in Gaza-Stadt nicht explodierte.

Ein Offizier der Hamas inspiziert eine israelische Rakete, die beim Einschlag in Gaza-Stadt nicht explodierte.

(Foto: AP)

Die Luftwaffe habe seit Mitternacht 180 Ziele im Gazastreifen bombardiert, teilten die israelischen Streitkräfte am Nachmittag mit. Darunter seien neben dem Amtssitz Hanijehs das Innenministerium, ein Polizeihauptquartier, weitere Regierungsgebäude, Raketenstellungen und ein Ausbildungszentrum der Hamas gewesen.

Zerstört wurde in den frühen Morgenstunden das dreistöckige Haus eines Hamas-Funktionärs. Rettungskräften zufolge wurden mindestens 30 Menschen aus den Trümmern gezogen. Ein Sprecher der israelischen Armee sagte, nach einer relativ ruhigen Nacht sei das Raketenfeuer in Richtung Israel wieder stärker geworden. Die Angriffe seien aber immer noch geringer als an den vorangegangenen drei Tagen.

Tunesien: Israel bricht das Völkerrecht

Die Waffen sind ungleich verteilt: Palästinensische Jugendliche attackieren israelische Soldaten mit Steinen.

Die Waffen sind ungleich verteilt: Palästinensische Jugendliche attackieren israelische Soldaten mit Steinen.

(Foto: AP)

Der tunesische Außenminister Rafik Abdel Salam verurteilte bei einem Besuch in Gaza die Angriffe auf das Palästinenser-Gebiet als völkerrechtswidrig. "Was Israel tut, ist illegitim und überhaupt nicht hinnehmbar", sagte Abdel Salam auf den Trümmern von Hanijehs Amtssitz. Israel genieße keine totale Immunität und stehe nicht über dem Völkerrecht. "Was in der Vergangenheit erlaubt war, ist jetzt wegen der Entwicklung in der arabischen Welt verboten", sagte der Außenminister.

Abdel Salam bezieht sich dabei auf eine Wiederholung der israelischen Bodenoffensive "Gegossenes Blei" von 2008/2009. Eine solche Aktion heute stellt angesichts der Veränderungen in der arabischen Welt ein kaum zu kalkulierendes Risiko dar. Damals starben bei erbitterten Kämpfen in der Enklave mindestens 1400 Palästinenser, überwiegend Zivilisten.

Abdel Salam ist nach dem ägyptischen Ministerpräsidenten Hischam Kandil der zweite arabische Spitzenpolitiker, der den Gazastreifen seit Beginn der israelischen Luftangriffe am Mittwoch besuchte. Nach Hamas-Angaben wurden seit Beginn der israelischen Luftattacken 44 Palästinenser getötet, die Hälfte davon Zivilisten, darunter viele Kinder und eine Schwangere. Mehr als 390 Palästinenser seien verletzt worden. Auf israelischer Seite starben drei Zivilisten durch eine Rakete, 18 weitere wurden verletzt.

Tötung al-Dschabaris beendet Vermittlungen

Anti-israelische Proteste in London.

Anti-israelische Proteste in London.

(Foto: Reuters)

Während der vergangenen Monate hatte die Regierung in Jerusalem nicht bestritten, dass die Raketen von kleineren Splittergruppen wie dem Islamischen Dschihad oder Salafisten abgeschossen wurden. Die Hamas sah dem höchstens untätig zu. So sieht es auch der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor. Die Hamas habe die Gewalt "nicht entfesselt", sagte er. Verantwortlich seien die "extremistischen fundamentalistischen Gruppierungen", die sich einen Machtkampf im Gazastreifen lieferten. Die Hamas und auch ihr am Mittwoch von Israel gezielt getöteter Militärchef Achmed al-Dschabari führten bis zuletzt offenbar Geheimverhandlungen mit Israel über einen langfristigen Waffenstillstand.

Das zumindest berichtete der israelische Friedensaktivist Gershon Baskin. "Am Tag der Tötung Al-Dschabaris hat die Hamasführung den Entwurf einer Vereinbarung aus Israel erhalten und wollte noch am Abend antworten", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Die monatelangen Bemühungen einer Vermittlung zwischen beiden Seiten, an denen auch Ägypten und die Vereinten Nationen beteiligt waren, seien nun erst einmal ruiniert. "Al-Dschabari war nicht an einem Friedensschluss mit Israel interessiert, aber wohl an einer Vereinbarung über ein Ende der Raketenangriffe auf Israel", versichert Baskin.

Kein Limit für Bodenoffensive

Nach israelischer Darstellung schlugen seit dem Wiederaufflackern der Feindseligkeiten 430 Raketen ein. Mindestens 245 seien vom Flugabwehrsystem "Eiserner Dom" abgefangen worden. Auch in den Ballungsräumen Jerusalem und Tel Aviv Raketen gingen Raketen nieder. Sie richteten zwar keine Personen- oder Sachschäden an, schockierten aber die Bevölkerung und erhöhten die Wahrscheinlichkeit einer Bodenoffensive. "Sie wird solange wie notwendig dauern. Wir haben uns bei Mitteln und der Dauer keine Grenzen gesetzt", sagte Außenminister Awigdor Lieberman im israelischen Fernsehen.

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, kündigte unterdessen einen Solidaritätsbesuch im Gazastreifen an. Er werde am Sonntag oder Montag mit einer Ministerdelegation in das Gebiet reisen, sagte al-Arabi am Samstag in Kairo. Die Außenminister der Arabischen Liga beschlossen bei ihrem Treffen in der ägyptischen Hauptstadt die Einsetzung einer Kommission, die den Sinn arabischer Initiativen im Friedensprozess mit Israel überprüfen soll. Die arabischen Staaten wurden zudem aufgefordert, Pläne zur Normalisierung ihrer Beziehungen zu Israel auf Eis zu legen.

Recht auf Selbstverteidigung

Der im Wahlkampf stehende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beriet am späten Freitagabend mit den zuständigen Ministern und Spitzenmilitärs über eine Ausweitung des Militäreinsatzes. Beschlossen wurde unter anderem, bis zu 75.000 statt der zunächst geplanten 16.000 Reservisten zu den Waffen zu rufen. Nahe der Grenze zum Gazastreifen waren am Freitag Panzer aufgefahren. Die israelische Armee sperrte drei Straßen für den zivilen Verkehr, die zu dem Küstenstreifen führen oder an ihn grenzen. Israel beruft sich bei seinen Angriffen auf der Recht der Selbstverteidigung. "Die USA haben uns volle Rückendeckung dafür gegeben, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um unsere Staatsbürger vor dem Terror der Hamas zu schützen", sagte Botschafter Michael Oren der Zeitung "New York Daily News".

US-Präsident Barack Obama setzte sich in Telefonaten mit Netanjahu und Ägyptens Präsident Mohammed Mursi für eine Deeskalation in der Krise ein. Ägypten kündigte umgehend neue Vermittlungsversuche an. Bundesaußenminister Guido Westerwelle rief alle Beteiligten zur Besonnenheit auf.

Quelle: ntv.de, AFP/dpa/rts

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