Investitionsstau bei Miosga Ist Lars Klingbeil ein "talentierter Hütchenspieler"?
13.10.2025, 06:12 Uhr Artikel anhören
Kein Verschiebebahnhof, keine Tricks, beteuert Klingbeil bei Miosga.
(Foto: ARD/ Thomas Ernst)
Mit einem Sondervermögen will die Regierung die marode Infrastruktur des Landes in Schuss bringen. Doch die konkrete Planung steht zunehmend in der Kritik: Nutzt Schwarz-Rot den "Verschiebebahnhof"-Trick, um Wahlversprechen zu finanzieren? Bei Miosga stellt sich Finanzminister Klingbeil dem Vorwurf.
"Da werde ich jetzt nicht in einen Fight am Sonntagabend gehen", sagt Lars Klingbeil, als er von Caren Miosga nach einer möglichen Erbschaftssteuer gefragt wurde. Und im Grunde fasst diese letzte Antwort des Bundesfinanzministers einen großen Teil der gestrigen Talkshow zusammen.
So war Talkmasterin Miosga durchaus vorbereitet für den Ring - sie drehte und wendete ihre Fragen zu Investitionen, Sondervermögen, Schulden und Einsparungen gleich mehrmals. Klingbeil aber zog sich nicht einmal die Boxhandschuhe an. Der SPD-Chef blieb in seinen Antworten meist bei dem längst bekannten Fahrplan der schwarz-roten Koalition und bei vielfach zitierten Floskeln - auch, wenn er letztere ausdrücklich nicht so verstanden haben will. Sein Pochen auf Kompromisse mit der Union zwecks handlungsfähiger Regierung ist nachvollziehbar. Hinsichtlich des dringend benötigten - und ohnehin gerade erst zaghaft gestarteten - Reform-Marathons fühlte sich der Auftritt des SPD-Chefs allerdings wie ein Tritt auf die Bremse an.
Die Sendung beginnt mit einem Exkurs zu den erfolgreichen Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas. Nach rund zwei Jahren Krieg im Gazastreifen trat am Freitag eine Waffenruhe in Kraft, für Montag wurde die Freilassung aller verbliebenen Geiseln angekündigt. Miosga will von Klingbeil wissen, welchen Anteil der "brachiale" Verhandlungsstil von US-Präsident Donald Trump an dem Ergebnis trägt. "Ohne Donald Trump hätte es das nicht gegeben. Das ist sein Verdienst", betont der Vizekanzler und liefert damit die konkreteste Antwort des Abends.
Ist Bürgergeldreform "der große Wurf"?
Im Fokus der Sendung steht das im März beschlossene Finanzpaket von Union und SPD: Mit einem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen sowie einer gelockerten Schuldenbremse will die Regierung massiv in die marode Infrastruktur des Landes investieren und die schwache Wirtschaft wieder auf Kurs bringen. Die Maßnahmen sind überfällig - trotzdem reißen sie Deutschland in eine Rekordverschuldung. Nur die Zinsen für die Schulden aus dem Jahr 2025 betragen 30 Milliarden Euro, 2029 werden es sogar 67 Milliarden Euro Zinsen sein, rechnet Mioga vor. Die Talkmasterin will daher vor allem wissen, wie künftig gespart werden soll.
Wie viel Geld bringt etwa die jüngst beschlossene Bürgergeldreform? Miosga beginnt die Fragerunde an Klingbeil spitzzüngig, schließt sich doch prompt eine bereits bekannte Debatte an. So war innerhalb der Union vor der Wahl mal von einem Einsparpotenzial in Höhe von 30 Milliarden Euro die Rede. Bundeskanzler Friedrich Merz sprach später von fünf Milliarden und ruderte kürzlich schließlich auf bis zu 1,5 Milliarden zurück. "Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn der Gesetzentwurf vorliegt", versucht Klingbeil der Forderung nach einer konkreten Zahl auszuweichen. Schließlich verweist er auf die bereits von Arbeitsministerin Bärbel Bas genannten Daten: Mit 100.000 Bürgergeld-Empfängern, die wieder in Arbeit kämen, würde der Staat ungefähr eine Milliarde Euro sparen.
Die Reform hin zu einer Grundsicherung sieht vor allem härtere Konsequenzen bei fehlender Kooperation vor. Versäumt jemand etwa drei Termine beim Jobcenter hintereinander, sollen ihm die Leistungen künftig gestrichen werden. "Ist das der große Wurf oder nur eine folgerichtige, selbstverständliche Entscheidung?", fragt Miosga. "Ich halte das für folgerichtig", entgegnet Klingbeil. Wohl ahnend, auf was die Talkmasterin nun anspielt, kommt er ihr zuvor: Die SPD habe den Gerechtigkeitsaspekt schon früher erkannt und entsprechende Gesetzentwürfe zur Verschärfung des Bürgergelds bereits in der Ampel "auf den Tisch gelegt".
"Die Fleißigen und Anständigen" in Dauerschleife
Damit lässt Miosga den SPD-Vorsitzenden allerdings nicht vom Haken. "Hätte die SPD das Bürgergeld ohne die Union abgeschafft?" Klingbeil windet sich: "Ich war immer dafür, dass wir das verändern." Die Sozialdemokraten haben das Bürgergeld allerdings mit eingeführt und damit, so betont Miosga, "ihre eigene Klientel vor den Kopf gestoßen". Damit habe die SPD in den Augen vieler einen großen Fehler begangen. "Und diesen Fehler beheben wir jetzt", räumt Klingbeil schließlich ein. Das sei zudem nichts, "was man mir aufzwingen musste", fährt der SPD-Chef fort. Im Gegenteil: "Ich will die SPD auf einen Weg bringen, bei dem Menschen im Fokus stehen, die arbeiten, die sich anstrengen, die in diesem Land etwas leisten".
Es ist, als hätte die Redaktion diesen Moment der Live-Sendung vorhergesehen. So folgt ein Einspieler, der in zusammengeschnittenen Interviews des Finanzministers deutlich macht, wie sehr dieser auf "die Fleißigen und Anständigen in diesem Land" setzt. Ob er sich zugunsten einer besseren Kommunikation selbst zu weniger Floskeln rate, will Miosga wissen. Grundsätzlich ja, sagt Klingbeil. Allerdings könne man hier kaum von Floskeln sprechen. Ausgerechnet an dieser Stelle entflammt ein Funke Kampfeslust in dem SPD-Chef: Viele Menschen, "die für 3000 Euro arbeiten gehen", etwa aus der Stahl- oder Automobilindustrie, hätten nicht mehr das Gefühl, dass sich jemand in der Politik um sie kümmert. "Wenn ich von den Fleißigen und Anständigen spreche, meine ich diese Leute." Die "Berliner Welt" müsse endlich sehen, "was die Mehrheit der Menschen in diesem Land denkt". Wenn der SPD das gelänge, davon sei er überzeugt, "wäre wir nicht bei 16 Prozent".
Ein kurzes Video aus Bad Honnef lenkt den Fokus zurück auf das Wesentliche. Die Aufnahmen zeigen ein marodes Gymnasium und große Schlaglöcher in den Straßenbelägen. Von den 100 Milliarden Euro, die das Sondervermögen für Kommunen vorsieht, merke man noch nichts, beklagt der Bürgermeister der Kommune. Es reiche nicht, die Entscheidung für das Sondervermögen zu treffen, man müsse auch sicherstellen, dass das Geld ankomme.
Reizthema Mütterrente
Klingbeil räumt ein, dass es "strukturelle Probleme" bei der Finanzierung von Aufgaben, die der Bund Kommunen übertragen hat, gebe. Wenn ein Kommunalpolitiker bei Amtsantritt zuerst entscheiden müsse, ob er das Schwimmbad oder die Bibliothek schließe, sei das am Ende "auch für unsere Demokratie ein Problem". Gerade deswegen sei ihm das Geld für die Kommunen "sehr wichtig", auch der Bund werde von seinem Anteil was für die Kommunen tun - trotz finanzieller Probleme im Bund. Erneut betont Klingbeil die Haushaltslücke von 34 Milliarden Euro, die Deutschland im Jahr 2027 erwarte.
"Kommunen haben keine Sportplätze, und dann vergleiche ich das mit der Mütterrente - Wo verliere ich eher den Zusammenhalt, wenn ich das nicht finanziere?", fragt Monika Schnitzer in diesem Zusammenhang. Die Wirtschaftsweise bringt ein Reizthema in die Runde. So wächst die Kritik an einer "Zweckentfremdung" des Sondervermögens durch die Koalition, oft ist von einem "Verschiebebahnhof" die Rede. Hintergrund sind gesunkene Investitionen im Kernhaushalt, etwa für die Schienen, für die nun das Sondervermögen genutzt wird. Die im Haushalt freigeschaufelten Milliarden könnten, so zumindest der Vorwurf, für Wahlversprechen wie die Mütterrente genutzt werden.
Ist Klingbeil also ein "talentierter Hütchenspieler"? "In der Tat" sei die Aufstellung des Haushalts "interessant", antwortet Schnitzer auf Miosgas Frage. So seien die gesetzlich vorgeschriebenen zehn Prozent für Investitionen aus dem Kernhaushalt zwar eingehalten worden. Allerdings habe man Posten als Investitionen verbucht, "die nicht notwendigerweise als Investitionen hätten verbucht werden müssen". Gleichzeitig sei viel Geld für Posten wie die erwähnte Mütterrente, Subventionen für Agrardiesel oder die angehobene Pendlerpauschale übrig geblieben. Wenn man da nun "plötzlich Geld für übrig habe", so Schnitzer, "muss man sich doch schon sehr wundern" - vor allem vor dem Hintergrund des drohenden Haushaltslochs.
Reformen "zum Jahreswechsel herum"
"Wenn ich ein solcher Trickser wäre, hätte ich ja gar keine Probleme mehr im Haushalt 2027." Klingbeils Konter bleibt an dieser Stelle halbgar. Vielmehr kehrt der Finanzminister und Vizekanzler schnell zu seiner alten Linie zurück: Er als Sozialdemokrat habe die Mütterrente nicht auf den Tisch gelegt. Das sei ein Wunsch der Union gewesen, er hingegen habe auf das Sondervermögen gepocht. "Das ist ein klassischer politischer Kompromiss." Voraussetzung für eine stabile Regierung - "damit man sich nicht wie in der Ampel drei Jahre die Köpfe einschlägt".
Nun kommt Deutschland nicht an massiven Einsparungen vorbei, Klingbeil selbst sprach kürzlich von deutlichen Einschnitten, auf die sich die Menschen einstellen müssten. Interessant sei in diesem Zusammenhang, so Schnitzer, dass man "offensichtlich auch seinen Koalitionspartner darauf vorbereiten" müsse. "Wenn man diese Ehrlichkeit nicht einmal in der eigenen Koalition hat, wie soll man das denn den Menschen vermitteln?"
Miosga nutzt die nun aufgeheizte Stimmung, versucht es ein letztes Mal: "Wie sehen die Einschnitte, auf die sich die Menschen vorbereiten müssen, konkret aus?" Die Frage der Talkmasterin wirkt wie ein Vorwurf - ebenso wie die Antwort des Ministers: "Sie wollen jetzt eine Tickermeldung", die aber wolle er nicht liefern. "Irgendwann wird es den Moment geben", in dem die vier Parteivorsitzenden vor die Presse treten und ein Gesamtpaket liefern, das viele verschiedene Maßnahmen beinhaltet, um 34 Milliarden Euro einzusparen. Möglicherweise ahnend, dass "irgendwann" kaum zur Beruhigung der Gemüter führen wird, schiebt Klingbeil ein "zeitnah" hinterher. Und schließlich das, was als erste konkrete Antwort zum Thema des Abends gezählt werden kann: "Um den Jahreswechsel herum."
Um den Jahreswechsel herum, werde die Regierung ein Reformpaket vorlegen, fasst Miosga sichtlich erleichtert zusammen - und legt noch einmal nach: CDU-Fraktionschef Jens Spahn sei hinsichtlich einer Erbschaftssteuer kürzlich auf die SPD zugegangen, "wird sie kommen?" Bremsen werde er Spahn bei der Debatte sicherlich nicht, sagt Klingbeil mit einem Grinsen. "Meine Unterstützung hat er." Die Frage beantworten - den "Fight an einem Sonntagabend" austragen - werde er aber auch bei diesem Thema nicht.
Quelle: ntv.de