Politik

Streit zwischen Union und SPD Ist der Mindestlohn ein Erfolg?

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(Foto: picture alliance / dpa)

Seit zwanzig Wochen gibt es in Deutschland einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro. Die SPD feiert die Lohnuntergrenze als Riesenerfolg, die Union ist skeptisch. Karl Schiewerling, der arbeitsmarktpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, versucht zu erklären, warum.

n-tv.de: Vor viereinhalb Monaten wurde der Mindestlohn eingeführt. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Karl Schiewerling: Uns wurde vorher prognostiziert, dass es über eine Million weitere Arbeitslose gibt. Diese großen Verwerfungen sind nicht eingetreten. Trotzdem wäre es uns lieber gewesen, wir hätten den Mindestlohn nicht politisch festgelegt, sondern von Anfang an eine Kommission arbeiten lassen, die die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten in den Blick nimmt. Wir können noch nicht sagen, welche Entwicklungen vor uns liegen. Deswegen rate ich, noch ein Jahr abzuwarten und dann genau hinzuschauen.

Die SPD nennt in einer Werbekampagne fünf Gründe, die den Erfolg des Mindestlohns belegen. Einer ist: Laut Zahlen des Arbeitsministerium haben 3,7 Millionen Menschen eine Gehaltserhöhung erhalten.

Karl Schiewerling sitzt seit 2005 für die CDU im Bundestag.

Karl Schiewerling sitzt seit 2005 für die CDU im Bundestag.

(Foto: imago/Jens Jeske)

Natürlich haben Menschen, die weniger als 8,50 Euro verdient haben, jetzt mehr Geld. Was wir noch nicht sagen können, ist, ob die Menschen auch tatsächlich mehr in der Tasche haben, denn der Staat hat im Falle der Aufstocker etwas draufgelegt, was jetzt wegfällt. Gleichwohl ist es besser, jemand kann von seinem Einkommen leben, als dass er auf staatliche Leistungen angewiesen ist.

Einer Umfrage des DGB zufolge befürworten 86 Prozent der Deutschen den Mindestlohn.

Diese Zahl ist seit Langem bekannt. Wir haben uns schon in der vergangenen Legislaturperiode bemüht, eine Lösung für den Mindestlohn zu finden. Das war mit der FDP nicht möglich. Insofern ist es gut, dass wir jetzt gemeinsam mit der SPD gehandelt haben.

Die SPD sieht auch einen positiven Effekt auf den Arbeitsmarkt. Schließlich sei die Zahl der Arbeitslosen auf 2,9 Millionen gesunken. Gibt es einen Zusammenhang?

Ich freue mich, dass wir seit der Wiedervereinigung die niedrigste Arbeitslosigkeit und die höchste Beschäftigung haben. Einen Zusammenhang mit dem Mindestlohn kann ich aber nicht erkennen.

Kritiker des Mindestlohns warnten vor drohenden Preisveränderungen. Diese sind nach Analysen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aber nicht eingetreten.

Diese Entwicklung müssen wir abwarten. Insbesondere Menschen aus der Landwirtschaft haben gesagt, dass Spargel, Obst und Wein teurer würden. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass das nicht an den 8,50 Euro liegt, sondern an Fragen der Flexibilität, der Aufzeichnungspflichten oder auch der Auftraggeberhaftung. Hier gibt es Nachbesserungsbedarf.

In ihrer Kampagne verweist die SPD auch auf ein Umsatzplus im Einzelhandel.

Ich glaube nicht, dass dies auf den Mindestlohn zurückzuführen ist. Es ist vielleicht ein Element. Andere Ausgaben, die wir getätigt haben, wie die Mütterrente, haben einen mindestens genauso großen Einfluss auf den Konsum. Viele aus der älteren Generation geben das Geld an Enkel und Kinder weiter und die geben es aus. Jährlich werden 25 bis 30 Millionen Euro aus Alterseinkünften an die nächste Generation gegeben und dort für den Konsum und den Aufbau von Häusern verwendet.

In der öffentlichen Wahrnehmung hat man zurzeit das Gefühl: Die SPD ist zufrieden mit dem Mindestlohn, die Union ist jedoch unglücklich und will vieles ändern.

Die 8,50 Euro haben wir für falsch gehalten, aber wir tragen sie mit. Schwierigkeiten ergeben sich in konkreten Regeln, wie in den Aufzeichnungspflichten und der konkreten Umsetzung. Ein Beispiel aus dem Gesetz: Spätestens sieben Tage nach verrichteter Arbeit muss aufgeschrieben werden, wer wie lange gearbeitet hat. Die Praxis zeigt: Solche Stundenzettel werden meist dann ausgefüllt und abgerechnet, wenn die Gehaltsabrechnung gemacht wird. Was spricht also dagegen, die Pflichten bis zum Monatsende zu erfüllen? Es wäre weniger Bürokratie und würde den Betrieben Luft verschaffen.

Der FDP-Chef Christian Lindner sagt über den Mindestlohn: "Was sagt das eigentlich über ein Land aus, wenn die Bäckereien morgens nicht von Hungrigen, sondern von Bewaffneten gestürmt werden, die den Mindestlohn kontrollieren?" Hat er recht?

Lindner formuliert den Unmut der mittelständischen Wirtschaft. Mit der Einführung des Mindestlohns müssen viele Dinge neu gelernt und erfahren werden. Dazu gehört auch die Arbeit des Zolls. Aber so zu tun, als würden die Zollbeamten über Nacht die Bäckereien stürmen, ist eine grobe Übertreibung.

Ist der Mindestlohn eine Erfolgsgeschichte?

Die Einführung des Mindestlohns ist ein heftiger Eingriff in die bisherige Systematik der deutschen Wirtschaftsordnung. Allerdings hat die Geschichte der Lohnuntergrenze nicht 2013 angefangen. Bereits in den 90er-Jahren unter Helmut Kohl und danach in vielen weiteren Branchen haben wir Branchenmindestlöhne im Entsenderecht eingeführt. Der Mindestlohn ist dort richtig und wichtig, wo durch schwache Tarifbindung Tarifpartner ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen. Dies ist auch der richtige Weg: Die Tarifpartner sollen den Mindestlohn festlegen und nicht der Staat.

Mit Karl Schiewerling sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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