"Schlechter Witz" Kein Lorbeer für Rot-Grün
16.10.2002, 15:52 UhrOpposition, Wirtschaft und Medien haben teils vernichtende Urteile über den Koalitionsvertrag gefällt. Einzig Umweltschutzverbände, die ökologische Energiewirtschaft und die Gewerkschaften begrüßten die rot-grünen Zukunftspläne.
Nach Auffassung von CDU-Chefin Angela Merkel steht das neue Bundeskabinett für Rückschritt. Die Koalition habe nicht nur in ihrem Programm, sondern auch in der Auswahl ihres Personals Rückständigkeit bewiesen. Besonders kritisierte Merkel die Berufung des ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe zum Minister für Bau, Verkehr und Aufbau Ost. Stolpe sei "offensichtlich die zweite Wahl", sagte sie.
FDP-Chef Guido Westerwelle schloss sich der Kritik der Union an. "Wenn ich jünger wäre, würde ich sagen, ein Kabinett von Grufties", sagte Westerwelle. Das rot-grüne Programm weise den Weg "in eine handfeste Rezession mit noch mehr Arbeitslosigkeit".
Die Wirtschaft übertrumpfte sich gegenseitig mit ihren vernichtenden Urteilen. Die rot-grünen Pläne "zerstören jede Hoffnung auf mehr Beschäftigung und sinkende Arbeitslosigkeit in Deutschland", erklärte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, sprach von einem "schlechten Witz".
Schlechte Presse in der Presse
In den Medien erging es den Koalitionären nicht viel besser: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" warf SPD und Grünen vor, über eine kaum zu überblickende Zahl von Steueränderungen die Belastung von Bürgern und Unternehmen zu erhöhen. "Das gefährdet das Ziel, die Wirtschaft anzukurbeln und Beschäftigung zu schaffen."
Die "tageszeitung" vermisst das Ringen um Visionen. Es erstaune, "wenn sich eine Koalition vor allem darauf einigen kann, sich selbst als Mangelverwalter zu sehen". Das "Handelsblatt" legte seinen Lesern gar nahe, das Land zu verlassen: "Den Leistungsträgern dieser Gesellschaft kann man fast nur noch raten: Wer ins Ausland gehen kann, der sollte es tun."
Umweltverbände geteilter Meinung
Der Deutsche Naturschutzring würdigte die umweltpolitischen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag als "Zukunftszeichen". Die Stärkung des Umweltressorts sei ein Signal der Versöhnung von Ökologie und Ökonomie, sagte DNR-Präsident Hubert Weinzierl. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) nannte dagegen die Verschiebung konkreter Entscheidungen für weitere Ökosteuerstufen eine "herbe Enttäuschung". Greenpeace bezeichnete den Koalitionsvertrag als "halbherzig oder sogar rückschrittlich".
Die Solarwirtschaft begrüßte die rot-grüne Einigung. Die darin festgelegte Verdoppelung der Sonnenenergie-Flächen in den nächsten vier Jahren erfordere den Bau von rund 500.000 neuen Solaranlagen, erklärte die Unternehmensvereinigung Solarwirtschaft. Verbandsgeschäftsführer Carsten König lobte zudem den Wechsel des Bereichs Erneuerbare Energien ins Umweltministerium: Der Einstieg ins Solarzeitalter und der Aufbau einer international führenden Solarindustrie werde damit abgesichert.
Klar hinter den Koalitionsvertrag stellten sich die Gewerkschaften. "Der Kurs ist sozial gerechte Modernisierung. So lässt sich zusammenfassen, was die Koalitionspartner als Regierungsprogramm vereinbart haben", sagte DGB-Chef Michael Sommer. Er begrüßte vor allem die Kurskorrektur in der Finanz- und Steuerpolitik, forderte aber eine stärkere Abkehr vom Sparkurs. Die ersten Schritte hin zu einer "flexibleren Haushaltspolitik" seien "deutlich zu kurz" ausgefallen.
Quelle: ntv.de