Politik

Falle im Ausstiegsplan? Koalition wischt Zahlen beiseite

Kühlturm der Kraftwerke Isar I und II in Niederbayern.

Kühlturm der Kraftwerke Isar I und II in Niederbayern.

(Foto: dpa)

Die Gesetzesnovelle von Schwarz-Gelb zum Atomausstieg könnte dafür sorgen, dass sich der für 2021/22 geplante Ausstieg verzögern wird. Insgesamt würden den Betreibern sogar längere Laufzeiten als von Rot-Grün eingeräumt, errechnet das Öko-Institut. "Unsinn", kontert die Bundesregierung. Doch SPD und Grüne befürchten "Tricksereien" bei der Koalition.

Beim Atomausstieg von Union und FDP gibt es einer Berechnung des unabhängigen Öko-Instituts zufolge jede Menge Fallstricke. Wegen der weiterhin möglichen Übertragung von Reststrommengen von stillgelegten auf noch laufende Meiler werde die Betriebszeit letztlich um knapp 60 Prozent über den im rot-grünen Ausstieg vereinbarten Restlaufzeiten liegen. Das führt dazu, dass der Ausstieg ruckartig verläuft, nicht nach und nach.

"Im Ergebnis müssten in 2020/2021 innerhalb von nur 12 Monaten fast alle länger betriebenen Anlagen mit einer Leistung von 10.800 MW vom Netz gehen", heißt es in der Studie. "Dies würde mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche energiewirtschaftliche und netztechnische Probleme mit sich bringen und das endgültige Ausstiegsdatum 2021 gefährden." Das Öko-Institut hält einen geordneten, schrittweisen Ausstieg für sinnvoller.

Umweltminister Norbert Röttgen, im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Umweltminister Norbert Röttgen, im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: dpa)

Der Grund für den abrupten Ausstieg nach dem schwarz-gelben Konzept liegt in der Übertragung von Strommengen von den acht abgeschalteten Anlagen auf die neun verbleibenden AKW. Diese Strommengen werden von den neun verbleibenden Atommeilern wie eine Bugwelle vor sich hergeschoben.

Grün-Rot droht mit Nein

Die baden-württembergische Landesregierung meint, der Gesetzentwurf des Bundes öffne "Tricksereien" Tür und Tor. "Das Kalkül ist offensichtlich, dass man dann eine erneute Debatte über den Atomausstieg führen wird", sagte Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne). Baden-Württemberg werde nicht dabei mitmachen, die Entscheidung über den Atomausstieg ins nächste Jahrzehnt zu verlagern.

Die Bundesregierung bestreitet, dass das beschlossene Ausstiegsdatum verzögert werden könnte. "Die Möglichkeiten, die der alte rot-grüne Ausstiegsbeschluss noch vorsah, nämlich durch Übertragung von Reststrommengen die Laufzeiten von Kraftwerken künstlich zu verlängern, gibt es nach unserem Konzept nicht", sagte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans.

Claudia Roth und Jürgen Trittin von den Grünen, kritisch.

Claudia Roth und Jürgen Trittin von den Grünen, kritisch.

(Foto: dapd)

Auch dass den Betreibern in den Plänen insgesamt längere Betriebszeiten als früher von Rot-Grün eingeräumt würden, sei nicht richtig. "Das ist Unsinn", sagte die Sprecherin von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU).

Die Grünen fordern, dass auf die Reststrommengen-Übertragung von abgeschalteten auf noch laufende Meiler verzichtet wird. Im Atomgesetz von Rot-Grün war 2002 - basierend auf der Konsens- Vereinbarung mit den Konzernen von 2001 - festgelegt worden, dass die Meiler Stück für Stück und nicht geballt zum Ende vom Netz gehen, um Gefahren für Netz und die Versorgung zu minimieren.

Greenpeace: Merkel ignoriert Empfehlungen

Zustimmung aus Rheinland-Pfalz nicht sicher: Ministerpräsident Kurt Beck (SPD).

Zustimmung aus Rheinland-Pfalz nicht sicher: Ministerpräsident Kurt Beck (SPD).

(Foto: dpa)

Der Atomausstieg entpuppe sich als "Laufzeitgarantie für Atomkraftwerke", sagte Fraktionschef Jürgen Trittin. "Der Kampf um den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft wird damit nur vertagt." Auch Grünen-Chefin Claudia Roth forderte einen Abschaltplan für jedes einzelne Atomkraftwerk. "Von einem gesellschaftlichen Konsens sind wir bislang leider noch weit entfernt", sagte sie den Zeitungen der WAZ-Gruppe.

Die Umweltorganisationen Greenpeace und WWF kritisieren wie auch die Grünen die Abschaltwelle erst ganz zum Schluss scharf. Auch der WWF forderte die Regierung auf, die neun verbliebenen Kernkraftwerke stufenweise vom Netz zu nehmen, um Probleme zu vermeiden. Merkel ignoriere die Empfehlungen der von ihr eingesetzten Ethikkommission zum Atomausstieg, die sich für eine schrittweise Abschaltung ausgesprochen hatte, so Greenpeace.

Skepsis auch in Rheinland-Pfalz

Eon will gegen die Brennelementesteuer gerichtlich vorgehen.

Eon will gegen die Brennelementesteuer gerichtlich vorgehen.

(Foto: dpa)

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sieht aufgrund der Gesetzesnovelle nur geringe Chancen für einen parteiübergreifenden Atomkonsens. "Ich will jetzt noch nicht Nein sagen. Aber ich bin sehr skeptisch, ob wir das mittragen können", sagte Beck der "Stuttgarter Zeitung" zur Haltung der SPD-geführten Länder zum Ausstiegskonzept der schwarz-gelben Bundesregierung.

Kurz vor dem Treffen der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Freitag verlangte Beck ebenfalls einen verbindlichen Ausstiegszeitplan für jeden einzelnen Meiler. "Die Trickserei mit den Laufzeiten, die wir in der Vergangenheit erlebt haben, muss ein Ende haben", sagte der SPD-Politiker. "Angesichts der Debatten über Kaltreserven, Sicherheitspuffer und eine Überprüfungsklausel bis 2018 haben wir die Sorge, dass hier heimlich eine Art Revisionsklausel eingebaut wurde."

Unternehmen wehren sich

RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann warnte vor den Folgen des schwarz-gelben Atomausstiegs. "Wir machen Experimente mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft - mit ungewissem Ausgang", sagte er der "Bild"-Zeitung. Darüber mache nicht nur er sich Sorgen. "Die Frage nach der Berechenbarkeit muss man bei dieser Bundesregierung nicht nur in Energiethemen stellen", sagte Großmann. Der Stromkonzern Eon hatte zuvor wegen der Verkürzung der Laufzeiten Klage gegen die Brennelementesteuer angekündigt.

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sprach sich unterdessen dafür aus, die Endlager-Suche auf den Süden Deutschlands auszuweiten. Der Standort in Gorleben müsse "ergebnisoffen zu Ende erkundet werden", sagte Brüderle dem "Hamburger Abendblatt". Wenn Bayern und Baden-Württemberg aber nun bereit seien, auch bei sich nach geeigneten Standorten suchen zu lassen, "sollten wir das Angebot annehmen".

Quelle: ntv.de, rpe/dpa/AFP

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