Verhandlungen und Gefechte Kommt es zum vierten Gaza-Krieg?
11.08.2018, 13:12 Uhr
Bei einem israelischen Angriff auf Gaza-Stadt.
(Foto: AP)
Bereits drei Mal hat Israel versucht, den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen mit größeren militärischen Operationen zu stoppen. Gelungen ist das bislang nicht. Auf beiden Seiten der Grenze hofft man auf Frieden.
Zu Jahresbeginn zogen Galit und Adi Cohen in den Kibbuz Nir Am, der an der Grenze zum Gazastreifen liegt. Sie waren nicht die einzigen, mehrere Familien haben in den vergangenen Monaten dort ein neues Zuhause gefunden. Die 1943 gegründete Kollektivsiedlung wächst. Doch wie alle Bewohner in der Region leben auch sie unter permanenter Bedrohung.
Adi und Galit nehmen das in Kauf. "Seit Jahren haben mein Mann und ich vom Leben im Kibbuz geträumt", sagt die 39-jährige Galit. Ursprünglich stammt sie aus Tel Aviv. "Wenn man dort lebt, bekommt man von der Realität im israelischen Süden kaum etwas mit. Für uns war es der richtige Schritt." Dennoch weiß das Ehepaar natürlich, wie gefährlich diese Gegend ist. "Die Atmosphäre in der Nähe von Gaza ist schon seit Ende März mit den wöchentlichen Demonstrationen der Palästinenser am Grenzzaun angespannt", sagt Adi. "Doch die Raketen, die jetzt auf unsere Gemeinden fallen, sind viel gefährlicher als die Branddrachen und Ballons, die in den Monaten davor großflächige Gebiete und Felder zerstörten."

Mit brennenden Drachen versuchen militante Palästinenser, auf der israelischen Seite der Grenze Feuer zu legen.
(Foto: imago/ZUMA Press)
An Israels 51 Kilometer langer Grenze zum Gazastreifen liegen 31 Gemeinden. Die insgesamt 16.000 Menschen, die dort wohnen, haben im Ernstfall maximal 15 Sekunden, um Schutz zu finden. Allein 200 Raketen wurden zwischen Mittwoch- und Freitagabend von Gaza aus auf Israel abgefeuert. Das Raketenabwehrsystem "Iron Dome" fing über 30 davon ab. Als Vergeltung griff das israelische Militär 150 Ziele in Gaza an.
Ein hochrangiger Beamter des Generalstabs berichtete am Donnerstag über weitere Schritte des israelischen Militärs. So werden zusätzliche Raketenabwehrsysteme an die Grenze entsandt, auch einige Bodentruppen sind in Alarmbereitschaft. Die Bewohner der Region Eschkol, in der auch Galit und Adi leben, bekamen Sicherheitsanweisungen und sollen bei Bedarf sogar evakuiert werden. Die Europäische Union warnte bereits, Israel und die radikalislamische Hamas, die den Gazastreifen regiert, befänden sich "gefährlich nahe" an einem neuen Krieg.
"Wenn die Grenze geöffnet würde, bräuchte keiner die Hamas"
Nachdem Israel den Küstenstreifen 2005 geräumt hatte, kam es dort zum Machtkampf zwischen Hamas und Fatah, aus dem die Islamisten 2007 als Sieger hervorgingen. Gleich darauf begann der Raketenbeschuss auf israelische Grenzstädte. Israel erklärte Gaza zum feindlichen Gebiet, sperrte alle Grenzübergänge und hält bis heute eine Seeblockade aufrecht. Drei Kriege gab es seither, mit denen Israel für ein Ende der Angriffe sorgen wollte. Ein weiterer Krieg würde das abgeriegelte Gebiet noch tiefer ins Elend stürzen. Denn die Lebensverhältnisse dort sind katastrophal.
Dafür ist vor allem die israelische Blockade, die von Ägypten weitgehend mitgetragen wird, verantwortlich. Die Abriegelung soll verhindern, dass die Hamas Terroristen nach Israel einschleust und Waffen auf die Sinai-Halbinsel geschmuggelt werden. Die Ein-und Ausfuhr von Gütern ist eingeschränkt, die Ein-und Ausreise aus dem Gazastreifen nur unter strengen Ausnahmeregelungen möglich. "Ein Teil der Öffentlichkeit unterstützt und rechtfertigt alles, was die Hamas tut. Manche sind dagegen, haben Angst und wollen keinen Krieg", erzählt Ahmad Abu Banat, ein Journalist aus Chan Yunis im südlichen Gazastreifen.
Doch die Armut im Gazastreifen liegt nicht nur an der Blockade. "Vieles hat mit der Misswirtschaft und Korruption der Hamas sowie ihrem innerpalästinensischen Streit mit der Fatah, die im Westjordanland regiert, zu tun", sagt Abu Banat. "Die Spannungen gehen so weit, dass in Ramallah Entscheidungen getroffen werden, die zulasten der Zivilbevölkerung in Gaza gehen."
Aus Sicht des Journalisten werden die Bewohner des Gazastreifens von allen Parteien missbraucht. "Auf der einen Seite von Israel, auf der anderen von der Hamas und auch von Präsident Mahmud Abbas." Der Kontrollpunkt Erez an der Grenze zu Israel müsste wieder geöffnet werden, sagt er. "Dann könnten die Menschen wieder arbeiten und keiner bräuchte die Hamas."
Die jüngste Eskalation der Gewalt fand statt, während Israel und die Hamas indirekt, vermittelt durch Ägypten und die Vereinten Nationen, über einen Waffenstillstand verhandelten. Auf diesem Weg wurde auch eine Feuerpause vereinbart, die in der Nacht zum Freitag in Kraft trat. Palästinensische Gruppierungen in Gaza erklärten, es hänge von Israel ab, ob diese Waffenruhe halte. Danach wurde allerdings eine Rakete auf die 40 Kilometer vom Gazastreifen entfernte Großstadt Be'er Scheva abgefeuert. Es war der erste Raketenbeschuss auf Be'er Scheva seit dem Krieg von 2014. Stunden später nahm auch Israel die Angriffe wieder auf und zerstörte ein Gebäude im Flüchtlingslager Al-Shati, das nach Angaben der israelischen Armee von den bewaffneten Kräften der Hamas genutzt wurde.
Premierminister Benjamin Netanjahu sagte am Freitag, dass mehrere Optionen auf dem Tisch lägen. Einerseits sieht sich die Regierung zunehmender Kritik ausgesetzt, weil sie die Angriffe aus dem Gazastreifen nicht verhindern kann. Auf der anderen Seite ist fraglich, ob eine breitere Aktion der Armee daran etwas ändern würde.
Wie der Journalist Abu Banat hoffen Adi und Galit Cohen in ihrem Kibbuz, dass es keinen Krieg geben wird. Die Hoffnung ist, dass Ägypten und die Vereinten Nationen ein verbindliches Abkommen erreichen, in dem ein vollständiger Waffenstillstand im Austausch für Zugeständnisse bei der Beförderung von Waren in den Gazastreifen vereinbart wird. "Obwohl wir hier glücklich sind, wird sich in den kommenden Tagen zeigen, ob wir mit unserer Entscheidung richtig lagen, hierher zu ziehen", sagt Adi.
Quelle: ntv.de