Politik

Türkischer Regierung läuft das Personal weg Weiterer Minister zieht die Reißleine

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Die türkische Politik erbebt unter einem mächtigen Korruptionsskandal. Nach dem Innen- und dem Wirtschaftsminister tritt nun auch noch der Umweltminister zurück. Er fordert Premier Erdogan unverblümt zum Rücktritt auf.

Innenminister Güler (l.) und Wirtschaftsminister Caglayan (r.) sind zurückgetreten. Ihre Söhne sitzen wegen dubioser Staatsgeschäfte in Untersuchungshaft.

Innenminister Güler (l.) und Wirtschaftsminister Caglayan (r.) sind zurückgetreten. Ihre Söhne sitzen wegen dubioser Staatsgeschäfte in Untersuchungshaft.

(Foto: REUTERS)

Nach dem Wirtschafts- und dem Innenminister ist infolge des Korruptionsskandals in der Türkei nun auch Umweltminister Erdogan Bayraktar zurückgetreten. Mit seinem Ministerposten gebe er auch sein Abgeordnetenmandat zurück, sagte Bayraktar dem türkischen Fernsehsender NTV. Er forderte zudem Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf, es ihm gleichzutun und ebenfalls zurückzutreten.

Bayraktar sagte, er könne alle von den Ermittlern gegen ihn erhobenen Vorwürfe erklären und habe ohnehin meist auf Anweisung des Ministerpräsidenten gehandelt. Auf ihn sei Druck ausgeübt worden, zurückzutreten und eine Erklärung abzugeben, so der Politiker. Er deutete an, dass diese Erklärung die Regierung entlasten sollte. Bei den Vorwürfen geht es unter anderem um illegale Baugenehmigungen gegen Schmiergeldzahlungen. Bayraktar war auch Stadtentwicklungsminister.

Ministerpräsident Erdogan war in den vergangenen Tagen wegen des Korruptionsskandals massiv unter Druck geraten. Medienberichten zufolge plant er eine großangelegte Kabinettsumbildung. Vor Bayraktar waren bereits der türkische Wirtschaftsminister Zafer Caglayan und Innenminister Muarrem Güler zurückgetreten.

Machtprobe zwischen Regierung und Justiz

Mithilfe der staatlichen Halkbank sollen die Sanktionen gegen den Iran unterlaufen worden sein.

Mithilfe der staatlichen Halkbank sollen die Sanktionen gegen den Iran unterlaufen worden sein.

(Foto: REUTERS)

Die Söhne beider Minister sitzen in Untersuchungshaft. Der Sohn von Umweltminister Bayraktar wurde ebenfalls zeitweise festgehalten. Gegen die Minister selbst wird nicht ermittelt. Der Korruptionsskandal erschüttert die Türkei seit mehr als einer Woche. Er weitete sich zur Regierungskrise aus. Gegen insgesamt 24 Verdächtige wurden Strafverfahren eingeleitet. Zu ihnen gehört neben den beiden Ministersöhnen auch der Direktor der staatlichen Halkbank, Süleyman Aslan. Auch EU-Minister Egemen Bagis steht unter Druck.

Wirtschaftsminister Zafer Caglayan machte klar, dass er seinen Rücktritt nicht als Schuldeingeständnis verstanden wissen will. Er trete zurück, damit die Wahrheit ans Licht komme, sagte er der Nachrichtenagentur Anadolu. Die Korruptionsermittlungen seien "ein dreckiges Komplott gegen unsere Regierung, unsere Partei und unser Land".

In der Affäre geht es um die mutmaßliche Bildung einer kriminellen Bande, die die Bestechung von Politikern organisiert haben soll, um illegale Goldgeschäfte der Halkbank mit dem Iran zu vertuschen. Die Affäre um die Halkbank ist zu einer Machtprobe der Regierung mit Justiz und Polizei geworden, denen Erdogan vorwirft, die Affäre inszeniert zu haben, um seiner Regierung zu schaden.

Ermittelnde Polizisten werden versetzt

Erdogan bezeichnete die Ermittlungen als "dreckige Operation" gegen seine Regierung mit Hintermännern im In- und Ausland. Nach Großrazzien und den Festnahmen Dutzender Verdächtiger vergangene Woche hatte die Regierung zahlreiche ranghohe Polizisten des Amtes entheben lassen, darunter den Polizeichef von Istanbul.

Die Erdogan-kritische Zeitung "Today's Zaman" berichtet, 400 weitere Polizisten, die in Istanbul mit den Ermittlungen befasst seien, würden versetzt. Damit seien seit den Großrazzien landesweit mehr als 500 Polizisten ihrer Posten enthoben worden. Die Regierung hatte außerdem verfügt, dass Vorgesetzte künftig über Ermittlungen informiert werden müssen. Die Regierung hatte von den Korruptionsermittlungen bis zuletzt nichts gewusst. Journalisten wurde der Zutritt zu Polizeidienststellen untersagt. Regierungskritische Medien werteten die Versetzungen als Versuch der Regierung, die Ermittlungen zu behindern.

Presse wendet sich von Erdogan ab

Während viele Medien bei den Gezi-Protesten im Sommer beinahe gleichgeschaltet wirkten, folgt nun ein bedeutender Teil Erdogan nicht mehr. Die auflagenstärkste Zeitung "Zaman" und ihr englischsprachiges Schwesterblatt "Today's Zaman" gehen den Regierungschef besonders scharf an. Beide Zeitungen gehören zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, der inzwischen - hinter den Kulissen - zu Erdogans schärfstem Widersacher geworden sein dürfte.

"Mit einer durch Trotz und Wut getarnten Verzweiflung" ziehe Erdogan sich selbst, seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und das Land Schritt für Schritt ins Chaos, schrieb "Today's Zaman". Die Zeitung "Hürriyet Daily News" sieht Erdogan "auf dem Kriegspfad". Das Blatt wirft ihm vor: "Er hat eine Hexenjagd gegen dieselbe Polizeitruppe entfesselt, die er während der Gezi-Proteste himmelhoch lobte. Damit versucht er, die Unterstützer Fethullah Gülens auszumerzen, den er als den wichtigsten Verschwörer sieht und der deswegen sein Hauptfeind geworden ist."

Quelle: ntv.de, nsc/dpa/rts/AFP

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