Politik

"Schwarzer Tag" Kritik am Klimapaket

Die EU-Einigung auf ein Klimapaket ist bei Klimaexperten und bei der deutschen Wirtschaft auf Kritik gestoßen. Der Klimaberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Hans Joachim Schellnhuber, bezweifelte in der "Süddeutschen Zeitung", dass die vereinbarte Verringerung des Ausstoßes von klimaschädlichem Kohlendioxid zu erreichen sei. Der in Brüssel vereinbarte Klimakompromiss enthalte zu viele Ausnahmen für die Industrie, sagte der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Daher sei das EU-Ziel, den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid bis 2020 um 20 Prozent zu verringern, "nur mit Mühe zu erreichen".

Stillstand befürchtet

Die Zusage der EU, beim Abschluss eines weltweiten Klimaschutzabkommens den CO2-Ausstoß bis 2020 sogar um 30 Prozent zu verringern, werde vermutlich nicht eingehalten, sagte Schellnhuber der "SZ". Daher befürchte er einen "Stillstand" der Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll. Mit dem EU-Kompromiss sei die klimapolitische Katastrophe "immerhin abgewendet", der notwendige Strukturwandel für eine klimaverträgliche Industrie aber verschleppt worden, kritisierte Schellnhuber. Während die vorgesehene Versteigerung von Verschmutzungsrechten im Stromsektor "zukunftsweisend" sei, werde die energieintensive Industrie bei Nutzung modernster Technik vom Kauf der Emissionsrechte verschont.

Ausnahmekriterien zu kompliziert

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte mit Blick auf das EU-Klimapaket vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. "Die Regelung ist zwar deutlich besser als der Kommissionsentwurf - aber Europa hat die Chance verpasst, dem deutschen Konzept zu folgen und Klimaschutz und Wachstum miteinander zu verbinden", erklärte BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf in Berlin. Kritik übte er auch "an der komplizierten Kombination von Ausnahmekriterien".

Stromwirtschaft wird Preise erhöhen

Die Klima-Beschlüsse des Brüsseler EU-Gipfels werden nach Ansicht der deutschen Stromwirtschaft von 2013 an die Strompreise in die Höhe treiben. Der Kompromiss der Staats- und Regierungschefs bedeute milliardenschwere Belastungen für Industrie und Verbraucher in Deutschland, erklärte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Berlin.

Der Energieversorger RWE bemängelte, die EU-Einigung schaffe keine gleichen Wettbewerbsbedingungen. "Das schwächt den Energiestandort Deutschland deutlich", erklärte RWE-Vorstandschef Johannes Lambertz in Essen. Für eine sichere Energieversorgung sei Kohle "unverzichtbar", die EU habe "deren Zukunftschancen aber massiv beschränkt". Wenn es für den Neubau von hochmodernen Kohlekraftwerken keine ausreichenden Investitionsanreize gebe, würden ältere Anlagen mit höherem CO2-Ausstoß länger laufen, warnte Lambertz.

NRW sieht sich unfair behandelt

Nordrhein-Westfalen kritisierte die EU-Beschlüsse als unfair und einseitig. Das Klima-Paket bevorzuge Osteuropa, sagte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in Düsseldorf: "Diejenigen, die jetzt in Osteuropa alte, klimaschädliche Kraftwerke erneuern, bekommen Geld dafür, das wir in Nordrhein-Westfalen mitzahlen müssen." Gleichzeitig werde sein Land daran gehindert werden, "unsere alten Kraftwerke so schnell wie möglich durch neue, klimafreundliche Kraftwerke zu ersetzen". Er sei von dem Ergebnis enttäuscht. Innovationsminister Andreas Pinkwart sprach von einem "miserablen Verhandlungsergebnis". Damit werde das nordrhein-westfälische Kraftwerkserneuerungsprogramm, mit dem in den nächsten Jahren 30 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden könnten, massiv gefährdet.

Hauptkritik an Aufweichung des CO2-Handels

Hauptkritikpunkt sind Aufweichungen des wichtigsten Klimaschutz-Instruments - des teuren Handels mit Kohlendioxid(CO2)-Zertifikaten. Dieser soll die Industrie zu weniger CO2-Emissionen bewegen. Die Stromerzeuger müssen von 2013 an ihre Zertifikate ersteigern. Ausnahmen sind für osteuropäische Kraftwerke vorgesehen: Für sie beginnt die Belastung 2013 mit einem Auktions-Anteil von 30 Prozent, der bis 2020 auf 100 Prozent ansteigt. Dafür sollen aber die deutschen Stromerzeuger nach Angaben von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel bei der Erneuerung ihres Kraftwerkparks 15prozentige Investitions-Zuschüsse erhalten. Andere energieintensive Industriezweige bekommen ihre Zertifikate nur dann kostenlos, wenn sie die jeweils umweltfreundlichsten Techniken verwenden.

"Schwarzer Tag für Klimapolitik"

Umweltverbände und die Opposition kritisierten die Bundeskanzlerin wegen der aus ihrer Sicht zu industriefreundlichen Beschlüsse scharf. Der Klimaschutz sei den "kurzfristigen Interessen der Industrie geopfert worden", erklärte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Umweltverbände Greenpeace, World Wide Funds und Oxfam sprachen von einem "schwarzen Tag für die europäische Klimapolitik".

Greenpeace warf der Europäischen Union vor, sie habe dabei versagt, eine Antwort auf die Vorschläge von Entwicklungsländern zu geben. Greenpeace-Vertreterin Stephanie Tunmore zeigte sich in Posen auch enttäuscht über die Weltklimakonferenz. "Nichts ist hier passiert", sagte sie. Sie kritisierte auch Australien, Kanada, Japan und Neuseeland. Sie legten es darauf an, dass es bei der Konferenz 2009 in Kopenhagen nicht zum Erfolg komme.

Harte Kritik an Merkel

Die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth sagte: "Merkel entlarvt sich. Hinter der Maske der vermeintlichen Klimakanzlerin zeigt sich eine knallharte Industrie- und Autolobbyistin." Ihr Kurs sei kurzsichtig, denn die wirtschaftliche Zukunft sei gefährdet, wenn nicht konsequent auf Klimaschutz umgeschaltet werde. BUND-Chef Hubert Weiger sagte: "Ein schlimmes Zusammenspiel von Bundeskanzlerin Merkel, Italiens Ministerpräsident Berlusconi und Polens Premier Tusk hat das Klimapaket durchlöchert wie einen Schweizer Käse."

und Beifall

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sprach dagegen von Verhandlungserfolgen der Bundeskanzlerin und erklärte: "Wichtig ist, dass die deutsche Wirtschaft jetzt eine verlässliche Grundlage für langfristige Investitionen hat. Belastungen, die Arbeitsplätze vor allem für den Industriestandort Deutschland gefährdet hätten, sind vom Tisch." Der umweltpolitische Sprecher des Koalitionspartners SPD, Marco Bülow, betonte als Erfolg die 100prozentige Versteigerung, die der Bundestag der Kanzlerin noch mit auf den Weg gegeben habe.

Quelle: ntv.de

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