"Ein Schlag ins Gesicht" Kritik an Koalitionsvertrag
17.10.2002, 13:51 UhrDie Kritik von Wirtschaft und Opposition am rot-grünen Koalitionsvertrag und am neuen Kabinett reißt nicht ab. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte die Vereinbarungen von SPD und Grüne am Donnerstag einen "Schlag ins Gesicht der Wirtschaft". CDU-Ostexperte Arnold Vaatz warf dem neuen Infrastrukturminister Manfred Stolpe vor, noch nie richtige Schwerpunkte gesetzt zu haben.
Hundt bezeichnete es im NDR als Hauptfehler der Koalition, dass sie "offensichtlich nicht gewillt ist, die grundlegenden Reformen in Angriff zu nehmen". Dies gelte für den Arbeitsmarkt, das Arbeitsrecht und die Sozialversicherungssysteme. Stattdessen würden Beschäftigte und Unternehmen durch mehr Steuern und Beitragserhöhungen in den Sozialversicherungssystemen belastet.
Handwerkspräsident Dieter Philipp kritisierte im WDR, der Koalitionsvertrag habe "eine sehr, sehr negative Wirkung auf die ohnehin schon schlechte Stimmung". Es fehle der Ansatz, dass der Staat den Bürgern mehr Netto gebe, damit sie mehr konsumieren und investieren könnten. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, sagte auf dem "Capital-Geldanlage-Gipfel" in Berlin, die rot-grüne Koalitionsvereinbarung sei das "maximale Programm zur Demotivation der Leistungsträger unserer Gesellschaft".
Vaatz erklärte Radio Eins, er habe keine große Hoffnung, was Stolpe betreffe. "Ich will seinen guten Ruf im Osten durchaus respektieren, aber er ist in Brandenburg durch eine Reihe von katastrophalen Fehlhandlungen aufgefallen." Dazu gehörten die Projekte Cargolifter und Lausitzring. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Volker Kauder, meinte im Deutschlandradio: "Manfred Stolpe ist die zweite Wahl." Bundeskanzler Gerhard Schröder habe offenbar von allen SPD-Politikern im Osten eine Abfuhr bekommen. Schröder selbst sagte der "Leipziger Volkszeitung" über Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, der nicht ins Bundeskabinett wechseln wollte: "Ich halte unverändert große Stücke von ihm." Der FDP-Politiker Werner Hoyer erklärte im WDR zum neuen Kabinett: "Man trifft viele alte Bekannte wieder." Er hätte nie gedacht, "dass sie noch einmal auf die politische Bühne zurückkehren".
Mehr Straßen gefordert
Mit der Berufung Stolpes verbindet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag die Hoffnung, dass der Stellenwert des Verkehrs wieder steigen wird. So müsse trotz Sparzwängen der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur - vor allem des überlasteten Straßennetzes - mit mehr Nachdruck vorangetrieben werden.
Der umweltorientierte Verkehrsclub Deutschland lobte die von Rot-Grün geplante Senkung der Mehrwertsteuer auf Zugfahrkarten im Fernverkehr und die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Flugtickets in EU-Länder. "Deutliche Mängel" gebe es beim Thema Ökosteuer, die nach 2003 zunächst nicht weiter angehoben werden soll. IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel forderte in der "Bild"-Zeitung: "Finger Weg von der Eigenheimzulage. Rot-Grün riskiert, zehntausende Jobs in der Baubranche weg zu sparen. " SPD und Grüne wollen die Förderung auf Familien mit Kindern und Alleinerziehende konzentrieren.
Quelle: ntv.de