Politik

Lange Nacht der Koalition Länger ALG für Ältere

Trotz Einigung in zentralen Fragen ist neuer Streit in der Koalition ausgebrochen. Die Spitzen von Union und SPD vereinbarten in der Nacht in sechsstündigen Verhandlungen die längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I für Ältere sowie die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar von 4,2 auf 3,3 Prozent. Einen Mindestlohn in der Postbranche wird es dagegen weiterhin nicht geben. Führende Sozialdemokraten griffen Kanzlerin Angela Merkel und die Union deshalb scharf an. Auch die Teilprivatisierung der Bahn bleibt weiter offen.

Wie beide Koalitionsseiten mitteilten, soll das Briefmonopol der Deutschen Post in jedem Fall wie geplant zum Jahreswechsel fallen. SPD und CDU/CSU machten sich gegenseitig verantwortlich für die fehlgeschlagene Suche nach einem Kompromiss beim Mindestlohn. "Das ist eine Form von Lobby-Politik, die ich hoch bedenklich finde", sagte Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) im Deutschlandfunk. Merkel und die Union hätten alle Ankündigungen "ad absurdum geführt", den Beschäftigten zu vernünftiger Bezahlung zu verhelfen und für fairen Wettbewerb zu sorgen. Unionsfraktionschef Volker Kauder wies dies zurück. Die Kriterien für die Einführung eines Mindestlohns in der gesamten Postbranche seien schlicht und einfach nicht gegeben, betonte er in der ARD. Die Union hatte es abgelehnt, einen Tarifvertrag der Branche anzuerkennen und den darin enthaltenen Mindestlohn von acht bis 9,80 Euro per Gesetz für den ganzen Briefbereich festzuschreiben.

Hick-Hack um "Wortbruch"

Im Kabinett hatte die Regierung noch die Einführung des Mindestlohns für Briefträger mit Zustimmung Merkels beschlossen. Müntefering äußerte "ziemliche Enttäuschung" und "ein Stück Empörung" über das aktuelle Verhalten von Union und Kanzlerin. Der Sozialdemokrat wollte Merkel ausdrücklich keinen "Wortbruch" vorwerfen.

SPD-Fraktionschef Peter Struck und SPD-Vize Peer Steinbrück waren da deutlicher: "Die Regierungschefin hat ihr gegebenes Wort zugunsten anständiger Löhne für Briefträger nicht gehalten", so Struck. Der Bundesfinanzminister sagte: "Die Kanzlerin will keinen Mindestlohn bei der Post." Die CDU-Vorsitzende und die Union brächen damit klare Verabredungen. "Es ist völlig inakzeptabel, was da stattfindet." Die SPD werde die Frage eines Mindestlohns im Postbereich zum Wahlkampfthema machen und rechne sich dabei gute Erfolgschancen aus. SPD-Vorsitzender Kurt Beck meinte, damit sei das Klima in der Koalition "sicherlich nicht besser geworden".

Den Wortbruch-Vorwurf der SPD wies der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, zurück. "Das ist ein Heulen und Bellen, das verdecken soll, dass sich die SPD verrannt hat", sagte er. Die SPD habe beim Post-Mindestlohn mehr verlangt, als vereinbart gewesen sei. Dies habe die Union nicht mittragen können. Es habe klare Verabredungen gegeben. Im Übrigen habe Arbeitsminister Franz Müntefering betont, dass er den Vorwurf des Wortbruchs nicht teile. "Das andere halte ich für parteipolitischen Lärm, der verdecken soll, dass man einen Fehler gemacht hat."

Auch CSU-Chef Erwin Huber wies die Kritik der SPD an der Bundeskanzlerin zurück. Die Union habe der SPD drei verschiedene Angebote gemacht, wie der Mindestlohn für Briefzusteller für allgemein gültig erklärt werden könne. Die SPD habe alle Angebote abgelehnt. "Wer auf drei verschiedene Angebote nicht eingeht, dem ist nicht zu helfen."

Großer Wurf bei ALG

Als großen Erfolg wertete Röttgen die Beschlüsse zur längeren Auszahlung des Arbeitslosengeldes I und zur Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent. Dies bedeute, dass der Durchschnittsverdiener von knapp 2300 Euro künftig 430 Euro pro Jahr mehr in der Tasche habe. Der Aufschwung zahle sich damit für kleine und mittelgroße Einkommen aus. Bisher war geplant, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent zu senken. "Die Überschüsse der Bundesagentur landen jetzt endlich in den Taschen der Beitragszahler", sagte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU). "Diese kräftige Entlastung stärkt zum richtigen Zeitpunkt Verbrauch und Konjunktur." Die Absenkung soll nach Röttgens Angaben schon am Freitag im Bundestag beschlossen werden.

Die längere Zahlungsdauer des ALG I soll aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit bezahlt werden. Durch die veränderte Staffelung beim Alter und bei den Vorversicherungszeiten könnten 300 Millionen Euro eingespart werden, erklärte CSU-Chef Huber. Beim Arbeitslosengeld II mache die Ersparnis 270 Millionen Euro aus, dieses Geld werde vom Bund an die Bundesagentur für Arbeit erstattet. Der Rest werde aus Eingliederungsmitteln finanziert, die zurzeit bei der Bundesagentur nicht abgerufen würden. Das Geld solle für Eingliederungsgutscheine eingesetzt werden. Insgesamt geht die Koalition laut Huber davon aus, dass die längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes an Ältere 1,1 Milliarden Euro kostet.

Laut Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) soll die BA trotz deutlicher Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auch in konjunkturell schwächeren Zeiten keinen Bundeszuschuss erhalten. Dies habe der Koalitionsausschuss vereinbart. Gegebenenfalls werde der Beitrag wieder erhöht. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla verwies im RBB-Inforadio darauf, dass die Behörde selbst bei einem Beitragssatz von 3,3 Prozent noch über mindestens sechs Milliarden Euro Rücklagen verfüge.

Für Erwerbslose, die 58 Jahre oder älter sind, soll die Bezugsdauer auf 24 Monate angehoben werden, für 55-Jährige auf 18 und für 50-Jährige auf 15 Monate. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte im RBB: "Der wesentliche Punkt war, dass Kurt Beck von den Beschlüssen des SPD-Bundesparteitages und der Wünsch-dir-was-Politik abgewichen ist." Die Union habe eine kostenneutrale Finanzierung durchgesetzt.

Bahn-Privatisierung weiter offen

Bei der Privatisierung der Bahn hat sich die Koalition offenbar endgültig vom Volksaktienmodell der SPD verabschiedet. Die Spitzen von Union und SPD hätten Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) beauftragt, ein Privatisierungsmodell über eine Bahn-Holding vorzulegen, sagte Röttgen. Dieses Modell solle dann geprüft werden, nicht das Volksaktienmodell der SPD. Röttgen zeigte sich zuversichtlich, dass die Teilprivatisierung bis zur Wahl 2009 noch gelingen könne. Unionsfraktionschef Volker Kauder: "Wir wollen die Teilprivatisierung der Bahn."

Quelle: ntv.de

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