Politik

Gaza-Feuerpause nicht in Sicht Leben diesseits und jenseits des "Iron Dome"

Einschläge in Gaza-Stadt, fotografiert aus Israel.

Einschläge in Gaza-Stadt, fotografiert aus Israel.

(Foto: dpa)

Soll Israel Bodentruppen in den Gazastreifen schicken? Diese Frage wird in der israelischen Öffentlichkeit bislang allein unter innenpolitischen Aspekten diskutiert. Dabei wäre eine Beseitigung der Hamas gar nicht im Sinne Israels.

Wenn der Luftalarm losgeht, bleiben dreißig Sekunden. So viel Zeit hat man, einen Schutzraum aufzusuchen. Dann schlägt in die Rakete in der vorausberechneten Gegend ein. Die Zeit ist knapp, aber ausreichend. In der Stadt gibt es zahlreiche Schutzräume: in acht- bis zehnstöckigen Gebäuden auf jeder Etage, immer dort, wo der Fahrstuhl ist. Dort wartet man ab, bis es Entwarnung gibt. Zwei, Minuten dauert es in der Regel. Irgendwann zwischendurch war die Detonation des Einschlags zu hören. Alleine von Mittwoch bis Freitag wurden die Luftalarm-Sirenen 15 bis 20 Mal gestartet. Die Menschen hier zählen sie nicht mehr.

  Aschkelon liegt am Mittelmeer, wenige Kilometer nördlich des Gazastreifens. Für die Einwohner gehört Luftalarm zum Alltag. Nicht nur jetzt, wo die Sirenen mehrmals täglich vor Angriffe warnen, auch in friedlicheren Zeiten werden aus dem Gazastreifen immer wieder Raketen Richtung Israel abgefeuert. Im vergangenen Jahr war es ungewöhnlich ruhig: 2013 gab es nach israelischen Angaben 39 Angriffe mit 63 Raketen und 11 Artilleriegeschossen aus dem Gazastreifen. Meist trifft es die Bewohner der Städte im Süden des Landes: Sderot, Be'er Scheva, Kirjat Gat oder eben Aschkelon. Die Menschen haben gelernt, mit den Angriffen zu leben. Niemand gerät bei Luftalarm in Panik, alle suchen diszipliniert den nächsten Schutzraum auf.

Weitaus dramatischer ist die Situation für die Menschen im Gazastreifen. Dort kamen bislang mehr als 90 Menschen ums Leben; das Gesundheitsministerium in Gaza teilt mit, die meisten Opfer seien Kinder, Frauen und ältere Menschen. Die hohe Zahl der Toten im Gazastreifen hat nichts damit zu tun, dass die Israelis brutaler vorgingen als die Palästinenser. Es liegt einfach daran, dass es dort kein Vorwarnsystem gibt, keinen "Iron Dome", keine Schutzräume.

Hier in Israel sind die Folgen für die Zivilbevölkerung in Gaza jedoch kein großes Thema, hier geht es allein um die Hamas, die als terroristische Organisation gesehen wird, die Israel vernichten will. Ein Thema, über das in den israelischen Medien viel diskutiert wird, ist die Frage, ob die Regierung Bodentruppen einsetzen wird. Bislang läuft diese Debatte fast ausschließlich unter innenpolitischen Aspekten. Die rechten Parteien werfen Premierminister Benjamin Netanjahu vor, er habe "Angst", Soldaten in den Gazastreifen zu schicken. Kaum jemand fragt, welchen Sinn der Einsatz von Bodentruppen hätte. 10.000 Raketen gibt es im Gazastreifen, sagt die israelische Armee. Sie will so viele wie möglich davon zerstören. Mit Bodentruppen ist das sicher leichter zu erreichen als mit Luftangriffen. Aber dann? Will Israel die Führung der Hamas festnehmen, die Hamas vielleicht sogar komplett ausschalten?

Sinnvoll wäre das nicht: Die Hamas mag Israels Hauptfeind im Gazastreifen sein, sie ist zugleich jedoch eine Größe, mit der man gelernt hat, umzugehen. Ohne Hamas entstünde im Gazastreifen womöglich ein Machtvakuum, das von weitaus radikaleren Gruppen gefüllt werden könnte, von Gruppen wie Isis, dem "Islamischen Staat in Irak und Syrien". Für Israel wäre die Ausschaltung der Hamas daher durchaus mit einem hohen Risiko verbunden.

Hass ist größer als die Unzufriedenheit

Paradoxerweise könnte eine Bodenoffensive die Hamas sogar stärken: Ihr Rückhalt im Gazastreifen hat in den vergangenen Jahren stark abgenommen. Die sozialen Verhältnisse in dem schmalen Landstrich sind schlecht - was in hohem Maße daran liegt, dass der Gazastreifen einem großen Gefängnis gleicht, dessen Außengrenzen nach Israel und Ägypten fast vollständig geschlossen sind. Die Hamas ist unter diesen Bedingungen kaum in der Lage, den Alltag im Gazastreifen erträglich zu machen. Die Unzufriedenheit der stetig wachsenden Bevölkerung ist groß. Mit Beginn der israelischen Luftangriffe beginnt sich die Stimmung jedoch zu drehen. Denn der Hass auf Israel ist im Gazastreifen noch weitaus größer als die Unzufriedenheit mit der Hamas. Eine israelische Bodenoffensive könnte diesen Stimmungsumschwung weiter beschleunigen.

Und dennoch ist die Hamas in einer schwierigen Situation. Im Vergleich zum Gaza-Krieg 2012 ist sie international weitgehend isoliert. In Ägypten waren damals die Muslimbrüder an der Macht, die die Hamas unterstützt hat und deren Führungen auf Augenhöhe miteinander geredet haben. Mittlerweile sitzen die Muslimbrüder in ägyptischen Gefängnissen. Weil die Hamas im syrischen Bürgerkrieg auf Distanz zur Führung in Damaskus gegangen ist, sind auch die Beziehungen der Hamas zum Iran überschattet. Der Iran galt als einer der wichtigsten Lieferanten vor allem für die Raketen mittlerer Reichweite, die Jerusalem und Tel Aviv erreichen können.

Weder die Hamas noch Israel scheinen im Augenblick in der Lage, ohne Vermittlung von außen einen Weg zu einem Waffenstillstand finden zu können. Oder ihn wenigstens ernsthaft zu wollen. Die Logik von Gewalt und Gegengewalt hat eine eigene Dynamik angenommen, die nur durch einen Vermittler von außen gestoppt werden kann. Ägypten fällt als Vermittler aus den erwähnten Gründen dieses Mal aus, Europa ist zu schwach und war zuletzt auch zu wenig engagiert im Nahen Osten, um jetzt glaubwürdig auftreten zu können. Bleiben am Ende nur die USA, die eigentlich gerade dabei waren, im Nahost-Friedensprozess kürzer zu treten. Noch vor einem Jahr hatte US-Außenminister John Kerry neue Friedensgespräche initiiert, die binnen neun Monaten zu einer Zwei-Staaten-Lösung führen sollten. Als diese Frist im April auslief, zeigte Kerry sich in höchstem Maße desillusioniert.

Das Hauptproblem ist, dass keine der beiden Seiten einen echten Frieden wirklich will, ohne ihn mit einer langen Listen von "wenn" und "aber" zu verbinden. Es hat bislang nie zu mehr als einem Waffenstillstand gereicht. Ruhe rund um den Gaza-Streifen war deshalb in den vergangenen Jahrzehnten meist nie mehr als die Feuerpause zwischen zwei Kriegen.

Dieses Mal scheint es selbst bis zur Feuerpause noch ein weiter Weg.

Quelle: ntv.de

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