"Eine andere EU" Linke will radikal umbauen
28.02.2009, 17:34 UhrDie Linke zieht mit der Forderung nach einem radikalen Politikwechsel in die Europawahl - bekennt sich aber zur EU. Bei ihrem Bundesparteitag in Essen stimmten die mehr als 500 Delegierten nahezu einhellig für den veränderten Leitantrag des Vorstands mit dem Titel "Solidarität, Demokratie, Frieden - Gemeinsam für den Wechsel in Europa". Nur zwei Delegierte lehnten den Entwurf ab, mehrere enthielten sich. Die Partei, die gegen den EU-Reformvertrag von Lissabon klagt, verlangt darin ein neues Verfassungswerk, über das die Bürger aller EU-Staaten zeitgleich in einer Volksabstimmung entscheiden sollen. Ferner will die Linke für einen grundlegenden Wandel der Militär, Wirtschafts- und Sozialpolitik kämpfen.
Dem Kongress war eine heftige Debatte vorausgegangen, ob die Linke eher die ihrer Ansicht nach bestehenden Bedrohungen und Nachteile der EU oder ihre Chancen und Vorteile herausstellen soll. Mit dem Wahlprogramm, in dem die Linke nun zahlreiche Vorschläge für eine veränderte Europapolitik macht, will sie dem Vorwurf anderer Parteien entgegentreten, sie sei europafeindlich. Das klare Votum für das Programm wertete die Linke als ein Signal neuer Geschlossenheit.
"Widerstand reicht nicht"
Parteichef Lothar Bisky, der auch Vorsitzender der Europäischen Linken (EL) ist, betonte: "Die Linke will die Europäische Union weder abschaffen noch zurück zur ausschließlichen Nationalstaatlichkeit. Für uns ist entscheidend, europäisch zu handeln." Er forderte die Linke zu mehr Selbstbewusstsein im Wahlkampf auf. Die EU-Abgeordnete und Ex-PDS-Chefin Gabi Zimmer sagte: "Es reicht nicht, allein auf Widerstand zu setzen." Die Linke solle sich gestaltend in die EU einbringen. "Dafür werden konkreten Alternativen, realitätstaugliche Vorschläge und die Fähigkeit gebraucht, Menschen zu mobilisieren."
Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke mahnte, die Linke dürfe der Verlockung nicht erliegen, ihr Nein zum EU-Vertrag und zur NATO aufzugeben, nur um in den Augen anderen als europafreundlich und regierungsfähig zu gelten. "Dann könnten wir uns auflösen, denn solche Parteien gibt es genug." Die Linke fordert in dem Programm, alle Militäreinsätze zu beenden, alle US-Stützpunkte in der EU zu schließen, die NATO aufzulösen und Rüstungsexporte zu verbieten.
30 Plätze, 81 Bewerber
Ferner lehnt sie freien Wettbewerb der Wirtschaft weitgehend ab. Eine EU-Wirtschaftsregierung soll die Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik koordinieren. Börsengeschäfte sollen besteuert, Hedgefonds sowie Zweckgesellschaften von Banken zur Auslagerung ihrer Risiken verboten werden. Eine Finanzmarktaufsicht der EU soll darüber wachen. Die Armut - definiert mit weniger als 60 Prozent des nationalen Durchschnittseinkommens - soll innerhalb von fünf Jahren komplett beseitigt werden.
Bis Sonntagabend wollen die Delegierten über die Kandidatenliste für die Wahl am 7. Juni entscheiden. 30 Plätze stehen 81 Bewerbern gegenüber. Zimmer ist die einzige der derzeit sieben Linke-Abgeordneten im EU-Parlament, die vom Bundesausschuss der Partei wieder nominiert wurde. Unter den nicht berücksichtigten ist auch die profilierte Abgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann. Sie strebt eine Kampfkandidatur für einen aussichtsreichen Platz an. Kaufmann hatte für den von der Linken eigentlich abgelehnten Lissabon-Vertrag gestimmt. Der Bundestagsabgeordnete Dieter Dehm warf ihr vor, sie habe damit Glaubwürdigkeit der Partei zerstört.
Bürger "enteignet"
Zur Bewältigung der Wirtschaftskrise hat Linksparteichef Oskar Lafontaine während seiner Rede höhere Einkommen für Arbeitnehmer und Rentner gefordert. Ursache der Krise sei nicht nur fehlende Regulierung und Kontrolle von Banken und Unternehmen, sondern auch eine falsche Einkommens- und Vermögensverteilung, sagte Lafontaine. Ein Strukturfehler sei, dass durch Produktivitätssteigerung erzielte Gewinne nicht über steigende Löhne und Renten in den Konsum, sondern in die Taschen der Vermögenden flössen. Arbeitnehmer und Rentner seien so "enteignet" worden.
Die Krise eröffne die Möglichkeit, über Beteiligungen der Belegschaft an ihren Unternehmen eine demokratische Wirtschaft aufzubauen. Arbeitnehmer, Rentner und sozial Bedürftige dürften jetzt "nicht wieder die Zeche zahlen". Aufgabe der Linken sei es, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten zu ihrem Eigentum kämen. "Wenn die Belegschaft selbst entscheidet, gibt es keine Privatisierung", sagte Lafontaine.
Quelle: ntv.de