Streit um Stuttgart 21 Mehr als nur ein Bahnhof
12.10.2010, 12:03 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Bei den von SPD und Grünen angestachelten Protesten gegen Stuttgart 21 geht es nicht nur um das umstrittene Milliardenprojekt, sondern hauptsächlich um medienwirksamen Wahlkampf. Denn an dem Bau kann, nachdem das Projekt alle Hürden genommen hat, der Rechtsstaat nicht mehr rütteln.
Selbstverständlich hat in der Bundesrepublik jeder das Recht, sich durch friedliche Demonstrationen aktiv an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, unbehelligt von staatlicher Gewalt. Egal, ob dafür oder dagegen. Egal, welche Motive damit verbunden sind: Bürgerzorn über explodierende Kosten, Geltungssucht einzelner Berufsdemonstranten oder wahltaktische Überlegungen.
Friedhelm Busch
Wenn aber nach einem jahrelangen Entscheidungsprozess alle rechtsstaatlichen Hürden genommen worden sind, wie das beim Stuttgarter Bahnhof der Fall ist, wenn das gesamte Verfahren nach demokratischen Spielregeln abgeschlossen wurde, dann müssen Protestaktionen ins Leere laufen. Dann kann und darf der Staat die grundsätzlichen Entscheidungen nicht mehr in Frage stellen, will er seiner Verantwortung als Rechtsstaat nachkommen. Insofern sind der CDU-geführten Regierung Baden-Württembergs die Hände gebunden. Völlig losgelöst von Überlegungen zu möglichen Schadensersatzforderungen kann sie generell keinen Baustopp akzeptieren, selbst wenn diese Haltung sie am Ende die Regierungsmacht kosten sollte.
Rot-Grün handelt unehrlich und skrupellos
Wenn jetzt die Grünen und die SPD in Baden-Württemberg die Bürger Stuttgarts zu medienwirksamen Demonstrationen gegen den beschlossenen Tiefbahnhof auf die Straße rufen, handeln die dafür verantwortlichen Politiker dieser Parteien skrupellos und unehrlich. Skrupellos, weil sie ganz offen und ohne Hemmungen rechtsstaatliche Gebote eigenen politischen Zielen unterordnen; unehrlich, weil sie damit empörten Stuttgartern vorgaukeln, man müsse bei der kommenden Landtagswahl im Frühjahr nächsten Jahres nur die gegenwärtige Regierung davon jagen, durch Grün/Rot ersetzen und schon sei das ungeliebte Bahnhofsprojekt vom Tisch gewischt.
Dass das nicht so ist, wissen die politischen Stimmführer der täglichen Demonstrationen natürlich auch. Aber eine mögliche Politikwende im Baden-Württemberg vor Augen mit wahrscheinlichen Folgeschäden für die Merkel-Regierung in Berlin, versuchen vor allem die Grünen, die Stuttgarter Bürger für ihren Wahlkampf zu instrumentalisieren. Die SPD tut sich da etwas schwerer, schließlich hat sie ja noch bis vor kurzem selber den Neubau des Stuttgarter Bahnhofs befürwortet.
Seither hat sich im Grunde zwar nur wenig bis nichts an der Sachlage geändert, wenn man einmal von steigenden Baukosten – ein bedauerliches Schicksal wohl jeder langjährigen Bauplanung und der möglichen Bedrohung des Juchtenkäfers und der Mineralquellen absieht. Beunruhigt durch die laute Medienresonanz der Proteste, stiehlt sich nun die SPD hinkend aus ihrer Mitverantwortung für Stuttgart 21 und fordert eine Volksbefragung über den Bahnhofsbau, wohl in der Hoffnung, dann mit einer Mehrheit der Stuttgarter das Projekt kippen zu können, ohne selbst offenkundig wortbrüchig zu werden.
Volksbefragung ist absurd
Eine Befragung des Volkes mit einer derartigen Wirkung ist in der Landesverfassung aber gar nicht vorgesehen; außerdem ist Stuttgart 21 als Teil des europäischen Verkehrssystems durchaus kein lokales Problem. Dann also eine Volksbefragung in ganz Deutschland? Und mit welchen Konsequenzen? Oder gar in der EU? Denn schließlich ist Stuttgart ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in Europa, über den alle Europäer befinden sollten! Absurde Vorstellungen.
Der Vorschlag aus der SPD belegt nur die allgemeine Panik in der diese Partei angesichts ihrer aktuellen katastrophalen Umfrageergebnisse steckt: Wenn irgendwelche Beschlüsse vergangener Zeiten heute Wählerstimmen und Quote kosten könnten, wird ihnen kurzer Hand abgeschworen. Rente mit 67, die Höhe der Hartz-IV-Bezüge und jetzt Stuttgart 21, alles kostet Stimmen, also auf den Müll damit! Fortsetzung folgt.
In der gegenwärtigen Situation kann sich auch ein neutraler Schlichter, wie Heiner Geißler es doch wohl sein will, im Grunde nur darauf beschränken, nach möglichen alten wie neuen Schwachstellen des Projektes zu suchen und für Korrekturen zu werben und gleichzeitig den Gegnern die regionalen wie überregionalen Vorteile von Stuttgart 21 aufzublättern. Nur Rosstäuscher – und Heiner Geißler ist gewiss keiner – würden Hoffnungen auf einen Kompromiss wecken, wie er beispielsweise am Ende von Tarifverhandlungen üblich ist. Ein bisschen alter Bahnhof und gleichzeitig ein bisschen unterirdischer Bahnhof geht nicht!
Handeln im Sinne des Rechtsstaats gefordert
Auch wenn es, vor allem mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl in Baden-Württemberg, wohl kaum dem Interesse der Oppositionsparteien entspräche: Ein schnelles Ende der Auseinandersetzungen mit einem eindeutigen Bekenntnis zum deutschen Rechtsstaat und damit zum neuen Bahnhof ist dringend erforderlich. Doch ist in dieser, durch den völlig indiskutablen Polizeieinsatz gegen die Demonstranten aufgeheizten Stimmung eine allgemeine Verständigung auf die Gebote unseres Rechtsstaates nur noch schwer vorstellbar.
Das Bahnprojekt ist für die Vertrauenswürdigkeit Deutschlands für ausländische Investoren wichtig.
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Eine Verschiebung der Entscheidung in eine ferne, gänzlich unbestimmte Zukunft ist daher zu befürchten. Das aber wäre für den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik der Gau. Mit ihrem wildwütigen Geholze gegen die CDU gefährden die Wahlkampftaktiker der Opposition das Fundament unserer Wirtschaft. Denn welcher Investor wäre noch bereit, mit seinem Geld langfristig in einem Land Produktionsstätten und Arbeitsplätze aufzubauen, in dem bei einem beliebigen Regierungswechsel geltende Vereinbarungen ausgehebelt werden, weil sie den neuen Machthabern nicht in den Kram passen, wenn regionale Volksentscheide je nach Stimmung im Nachhinein grundlegende Voraussetzungen unternehmerischer Entscheidungen verändern dürfen?
Nur einen kleinen Schritt weiter in Richtung Abgrund gedacht: Welche Regierung wäre dann überhaupt noch in der Lage, eine Politik zu verfolgen, die sich an der Zukunft und nicht an einer aufgebrachten Volksgemeinschaft orientiert? Es steht längst mehr auf dem Spiel als nur ein neuer Bahnhof in Stuttgart. Vielleicht ist auch das ein Thema für Herrn Geißler!
Quelle: ntv.de