"Es wird immer schlimmer" Meine Flucht aus Donezk
11.08.2014, 13:52 Uhr
Nicht mit dem Zug, sondern mit dem Auto - so hat Veronica Kyshenko Donezk Richtung Kiew verlassen. (Archivbild)
(Foto: picture alliance / dpa)
Sie ist dort geboren, hat viele Jahre lang in Donezk gelebt: Doch nun hält Veronica Kyshenko* es nicht mehr aus in der umkämpften Rebellenhochburg in der Ostukraine - und verlässt ihre Heimatstadt. Leicht fällt die Entscheidung nicht. Bei n-tv.de erzählt die 26-Jährige, wie es dazu kam.
Eines vorweg: Was ich hier schreibe, ist meine eigene Meinung zu den Ereignissen und kann nur teilweise die Stimmung der Leute widerspiegeln, die in der Ostukraine leben. Auch viele meiner Freunde und Bekannte denken anders über die Situation.
Es hat ungefähr im März begonnen, als mein Bekanntenkreis sich in zwei Lager spaltete. Die einen waren auf der Seite Russlands und für die Bildung einer eigenen Föderation und die anderen für eine einheitliche Ukraine. Unter einer Föderation hat man Verschiedenes verstanden: Manche wollten eine Abspaltung von Kiew und dem Donbass den Status eines eigenen Staates geben, andere eine Dezentralisierung der Macht. So, dass alle Steuern in unserer Region bleiben und verwertet werden können - ohne eine Überweisung an Kiew. Denn in unserer Region sagt man: Der Donbass ernährt die ganze Ukraine.
Manche Menschen in der Ostukraine wollten in Russland leben und hofften, mit dem Donbass würde so etwas passieren wie mit der Krim. Sie waren der Meinung, es sei unmöglich, in einem Land zu leben, in dem Faschisten an die Macht kommen.
Eine Verwandte von mir kommt aus Jenakijewe, der Heimatstadt von Janukowitsch. Sie hat mir gesagt, dass die Kiewer Regierung Rache üben würde an den Anwohnern dort, weil Janukowitsch von dort kommt. Meine Bekannte hat auch am Referendum teilgenommen. Wenn der Donbass in die Russische Föderation aufgenommen würde, könnte sie ja nach Russland umziehen. Was hat sie daran gehindert, es schon früher zu machen, habe ich mich gefragt.
Plötzlich gab es keine Polizei mehr
In den Wahllokalen waren am 11. Mai sehr viele Menschen. Niemanden hat es interessiert, dass das Referendum ungesetzlich ist und dass völlig unbekannte Leute es organisieren. Viele haben teilgenommen, weil sie dachten, sie müssten ihre Kredite dann nicht mehr abbezahlen. Ich bin aus Donezk weggefahren, als das Referendum am 11. Mai durchgeführt wurde. Wir waren am Meer, um all das nicht mitansehen zu müssen.

Die Truppen der ukrainischen Armee haben die Separatisten inzwischen im Zentrum von Donezk eingekesselt.
(Foto: REUTERS)
Anfang Mai war es eigentlich noch sehr ruhig in der Stadt. Allerdings sind damals schon junge Leute mit Baseballschlägern durch die Straßen gezogen. Anfangs trugen sie russische Fahnen, später die der neuen "Donezker Volksrepublik". Ich glaube, dass diese Menschen von hier sind. Sie stammen überwiegend von den Grenzen Donezks oder aus den kleineren Städten der Region. Dort gibt es wenig Arbeit und in Donezk bekommen sie Geld dafür, dass sie administrative Gebäude einnehmen. Das hat mir ein Bekannter erzählt, der auch daran teilgenommen hat.
Richtig unangenehm wurde es Anfang Juni. Es wurde gefährlich, Auto zu fahren, weil manchen Leuten die Autos direkt auf der Straße weggenommen wurden. Einem Bekannten von mir wurde sein Mini-Autobus weggenommen, einer Freundin ihr Dienstwagen. Es wurde immer schlimmer. Plötzlich gab es keine Polizei mehr, die Leute wurden beraubt, Wohnungen wurden geplündert. Jeder konnte sich nur noch auf sich selbst verlassen.
Als wäre nichts gewesen
Ich bin mit meinem Freund für einen Monat in den Urlaub in die Westukraine gereist. Wir dachten, wenn wir wiederkommen, hat sich alles wieder beruhigt. Als wir Mitte Juli zurückkehrt sind, war es in den ersten Tagen tatsächlich ruhig. Aber das hielt nicht lange an. Es war beängstigend, abends auf die Straße zu gehen. Als ich einmal mit unserem Hund rausgegangen bin, hörte ich Lärm. Plötzlich sind drei Panzer mit einer russischen Fahne vorbeigefahren. Ich musste weinen. Es ist sehr beängstigend, wenn man das alles mit den eigenen Augen sieht und nicht nur in einem Video im Internet. Bei vielen anderen Leuten in Donezk hatte ich das Gefühl, sie hätten nur kurz geschaut und wären dann weitergegangen - so als wäre nichts gewesen. Ich konnte mehrere Nächte nicht schlafen. Mal wurde nachts vor unserem Haus geschossen, dann wieder irgendwo weiter weg. Die Wohnung liegt im achten Stock, vielleicht konnte man es deswegen so gut hören.
Viele Menschen haben ihre Meinung zur "Donezker Volksrepublik" geändert. Sie wollen in Frieden und in Ruhe leben, egal unter welcher Regierung. Alle hoffen, dass dieser Krieg sehr bald zu Ende sein wird.
Mein Freund und ich haben dann beschlossen, nach Kiew zu ziehen. In Donezk konnte man es einfach nicht mehr aushalten. Wir sind geboren und aufgewachsen in der Ukraine und sehen uns als Ukrainer. Aber ganz plötzlich hatten wir das Gefühl, in einem ganz anderen Land zu leben, unter einer anderen Flagge. Wir hatten Angst. Nicht nur, weil vielen Leuten die Autos weggenommen wurden, sondern auch, weil es immer wieder Entführungen gibt. Ein Bekannter von mir stand rauchend vor seinem Haus. Plötzlich hielt vor ihm ein Minibus, zog ihn herein und brachte ihn fort. Zwei Tage lang war er weg. Ab und zu hat er etwas zu essen bekommen. Tomaten, Sprotten und Brot. Irgendwann haben sie ihn gehen lassen.
Sie wissen nicht, woher die Schüsse kommen
Uns blieb das erspart. Bei der Ausreise aus Donezk standen zwei Posten mit Separatisten, aber sie haben uns vorbeigelassen und uns nicht einmal angehalten. Nach etwa 20 Minuten kam ein Posten der ukrainischen Armee. Sie haben den Pass meines Freundes geprüft, haben uns gebeten, den Kofferraum aufzumachen und uns dann fahren lassen. Das wars. Sehr viele Menschen verlassen zurzeit Donezk. Auf vielen Autos klebt vorne ein Din-A4 Zettel mit der Aufschrift "Kinder".
Jetzt lebe ich in einer Mietswohnung in Kiew und es gefällt mir sehr gut. Es ist eine große, sichere Stadt. Hier kann man ein normales Leben führen. Freunde treffen, ins Kino gehen. Dinge, die die Menschen in Lugansk und Donezk nicht mehr so einfach machen können. Ich mache mir nur Sorgen, dass ich keinen Job finde. Seit ich hier bin, suche ich - aber bisher ohne Erfolg.
Meine Eltern und Verwandten sind immer noch in Donezk. Sie wollten nicht mitkommen, sondern ihr Haus verteidigen. Es fiel mir sehr schwer, sie alle dort zurückzulassen und ich mache mir große Sorgen. Wir telefonieren mehrmals am Tag. Das Wichtigste ist, morgens zu erfahren, wie die Nacht war. Immer wieder erzählen meine Eltern, dass sie Schüsse oder Detonationen hören. Aber sie wissen nicht genau, woher sie kommen.
Meine Eltern sind Rentner, mein Vater kriegt seine Rente aber noch fast ohne Verzögerungen. Wenn der Krieg vorbei ist, wollen sie in den Urlaub fahren. Und wenn nicht? Für den Ernstfall haben sie eine Tasche gepackt mit den wichtigsten Sachen und Papieren, damit sie in den Keller gehen können. Um sich dort zu verstecken.
* Name von der Redaktion geändert
Quelle: ntv.de, aufgeschrieben von Christian Rothenberg