Mindestlohn-Debatte Merkel braucht noch etwas Zeit
31.10.2011, 12:59 Uhr
Bundeskanzlerin Merkel weckt bei DGB-Boss Sommer Hoffnungen.
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Nach dem Gesinnungswandel bei der CDU zum Mindestlohn fordert die SPD rasche Gespräche mit der schwarz-gelben Koalition über die Einführung einer Lohnuntergrenze. Doch Kanzlerin Merkel hat keine Eile: Zunächst muss die eigene Partei überzeugt werden. Die FDP bleibt vorläufig bei ihrem Nein.
Während die Opposition zur Eile drängt und der Arbeitnehmerflügel der CDU bereits triumphiert, drückt Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Mindestlohn leicht auf die Bremse. Ihr Sprecher machte klar, dass Merkel der Debatte zwar offen gegenüberstehe. Man sei jedoch noch weit entfernt von Regierungshandeln.
Zunächst muss die CDU-Chefin ihre eigene Partei hinter sich bringen. "Die Bundeskanzlerin sieht es so, dass es hier um die Würde der Arbeit geht", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter. Es gehe um eine Weiterentwicklung der Marktwirtschaft, in deren Rahmen sich die Tarifpartner auch künftig autonom bewegen sollten.
Am Wochenende war bekannt geworden, dass Merkel und die CDU nach langer Ablehnung flächendeckender Mindestlöhne nun feste Lohnuntergrenzen von mindestens 6,90 Euro pro Stunde anstreben. Eine Kommission aus Gewerkschaften und Arbeitgebern soll diese Untergrenze bestimmen. Das sieht ein von Merkel unterstützter Antrag für den CDU-Parteitag Mitte des Monats in Leipzig vor. In der Praxis würden die Tarifpartner nach einer Einigung auf eine Untergrenze auf die Politik zugehen, die dann die Umsetzung per Rechtsverordnung oder Gesetz regeln müsste, hieß es aus der Union.
"Das war ein langer Weg"
Nach den Worten des Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann, ging der Neuorientierung ein langes innerparteiliches Ringen voraus. "Die Kursveränderung, dass die CDU sich eine gesetzliche Lohnuntergrenze vorstellen kann, ist von unten nach oben gewachsen. Das war ein langer Weg", sagte Laumann im ZDF. "Dass die Parteiführung jetzt sagt, sie unterstützt das, liegt schlichtweg daran, dass sie an einem solchen Votum der Parteibasis nicht vorbei kann", sagte Laumann.
Für den Parteitag zeigte Laumann sich zuversichtlich. "Wir wollen die Programmatik der CDU verändern", sagte er. "Löhne von 4,50 Euro sind nun wirklich nicht das Heiligtum der CDU."
"Aktualisierung" statt "Trendwende"
Regierungssprecher Streiter sagte, mit dem Wort "Trendwende" werde die aktuelle Diskussion überinterpretiert. Es gehe eher um eine Aktualisierung von Positionen. Zunächst müssten die Entscheidungen etwa des CDU-Parteitages abgewartet werden. Es gebe aber sicherlich die Absicht, zu einem "sinnvollen politischen Handeln" zu kommen.

Arbeitsministerin von der Leyen: "Mindestlöhne sind weder eine Katastrophe noch ein Allheilmittel."
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Die Kehrtwende der CDU-Führung beim Thema Mindestlohn stößt bei Teilen der Partei jedoch auf Widerstand. Die Festlegung einer Lohnuntergrenze sei "ordnungspolitisch nicht vertretbar, damit können wir nicht leben", sagte der Vorsitzende der Unions-Mittelstandsvereinigung, Hans Michelbach (CSU), dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Ein branchenübergreifender Mindestlohn widerspreche "den Prinzipien der Marktwirtschaft", für die die Union stehe.
Dagegen verteidigte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen den Kurswechsel der CDU mit dem Argument, es gehe um die Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft. Die Löhne in Deutschland hätten sich immer weiter auseinanderentwickelt. Wenn jemand, der Vollzeit arbeite, davon nicht leben könne, werde Arbeit entwertet. "Mindestlöhne sind weder eine Katastrophe noch ein Allheilmittel", sagte von der Leyen. Es komme aber darauf an, das richtige Maß zu finden.
Auch Unionsfraktionsvize Michael Fuchs sagte, über eine gemeinsame Lohnuntergrenze würden weiterhin die Tarifparteien befinden. "Wir haben nicht umgedacht, wir vollziehen keine Wende", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Voraussetzung für einen Mindestlohn sei, dass er nach dem Prinzip der Tarifautonomie zustande komme. Fuchs und Laumann hatten sich auf das neue Konzept verständigt.
CSU reagiert positiv
Die CSU reagierte positiv auf den Vorschlag, Mindestlöhne künftig von einer Kommission der Tarifpartner festlegen zu lassen. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, sprach von einer "überlegenswerten" Idee. Die Tarifpartner dürften "nicht aus der Verantwortung entlassen werden", verlangte die CSU-Politikerin im "Hamburger Abendblatt".
Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, zeigte sich optimistisch, dass Mindestlöhne für alle Branchen noch in dieser Legislaturperiode gesetzlich geregelt werden können. "Ich habe das Gefühl, wir stehen kurz vor dem Durchbruch", sagte Sommer am Sonntag dem Radiosender HR-Info. Er glaube, dass sich nach dem CDU-Parteitag im November sehr viel tun werde.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt lehnt neue Überlegungen, eine Lohnuntergrenze einzuführen, hingegen strikt ab. Im Deutschlandradio Kultur sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), für ihn seien die Überlegungen nicht nachvollziehbar und "sehr unverständlich". Eine derartige Änderung in der politischen Position der Union sei "außerordentlich bedenklich" und möglicherweise der Stimmung in der Bevölkerung geschuldet.
FDP hat Vorbehalte
Die FDP bleibt bei ihrem Nein zu einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Generalsekretär Christian Lindner sagte, die FDP beobachte die Beratungen innerhalb der Union mit Interesse. Noch sei ja kein Modell erkennbar. Für die schwarz-gelbe Koalition habe dies unmittelbar sowieso keine Folgen.
Union und FDP hätten sich in ihrem Koalitionsvertrag zur Tarifautonomie von Arbeitgebern und Gewerkschaften bekannt und einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn ausgeschlossen: "Das gilt für die FDP weiter fort", sagte Lindner.
SPD fordert rasche Gespräche
Unterdessen bot die SPD der schwarz-gelben Koalition unverzügliche Gespräche über eine Lohnuntergrenze an. Die Gesetzentwürfe dafür lägen noch aus der Zeit der Großen Koalition in der Schublade, sagte Generalsekretärin Andrea Nahles. Damals habe die Union die Vorschläge noch blockiert. Deshalb sei der jetzige Sinneswandel der Bundeskanzlerin positiv zu bewerten.
"Wenn Frau Merkel umfällt, tut sie es diesmal wenigstens in die richtige Richtung", meinte Nahles.
Die Linke will das Thema Mindestlohn in der nächsten Woche auf die Tagesordnung im Bundestag setzen. In einer Aktuellen Stunde solle darüber diskutiert werden, teilte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, Dagmar Enkelmann, mit. Linken-Chef Klaus Ernst hatte am Sonntag einen "parteiübergreifenden Mindestlohnkonsens" ins Spiel gebracht.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP