Chinesen jagen Uiguren / Mindestens 156 Tote Merkel ermahnt China
07.07.2009, 07:40 Uhr
Chinesische Sicherheitskräfte gehen auf die Demonstranten los.
(Foto: dpa)
Die Bundeskanzlerin will auf dem G8-Gipfel mit Chinas Präsident über die Proteste reden und fordert ein Ende der Gewalt. Es müsse möglich sein, "die Rechte der Minderheiten zu gewährleisten". Die gewalttätigen Unruhen gehen derweil weiter - und Han-Chinesen machen Jagd auf Uiguren.
Die Gewalt in der chinesischen Provinz Xinjiang nimmt kein Ende: Die Polizei ging in der Hauptstadt Urumqi mit Tränengas gegen Han-Chinesen und Uiguren vor, die einander mit Steinen bewarfen. Tausende - teils mit Messern und Eisenstangen bewaffnete - Chinesen griffen Geschäfte von Uiguren an und durchbrachen eine Polizeikette, die die Volksgruppen auseinanderhalten sollte. Sie wollten sich für die Übergriffe von Sonntag rächen.
Die offizielle Zahl der Toten der Krawalle stieg inzwischen auf 156, mehr als 1000 Menschen wurden verletzt und über 1400 festgenommen. Die Kommunistische Partei rief zum Kampf gegen den Separatismus auf. Die Vereinten Nationen forderten die Anführer der Volksgruppen und die Behörden zur Mäßigung auf und forderten eine Untersuchung der Gründe für die Ausschreitungen.
Nationalistische Übergriffe
"Greift die Uiguren an", riefen Chinesen während der gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der muslimischen und turksprachigen Bevölkerungsgruppe, die etwa die Hälfte der 20 Millionen Bewohner der Provinz stellt. "Sie haben uns angegriffen, jetzt schlagen wir zurück", rief ein Mann in der Menge. Andere stimmten die chinesische Nationalhymne an. Berichte über neue Todesfälle gab es zunächst nicht. Für die Nacht wurde eine Ausgangssperre verhängt.
Die Uiguren warfen den Behörden willkürliche Festnahmen vor. "Wir machen nur unsere Geschäfte. Aber die kamen her und nahmen jeden mit, dessen Gesicht ihnen nicht gefiel", klagte ein Kaufmann. Ein junger Mann sagte, es sei an der Zeit, sich zu wehren. Unter den demonstrierenden Uiguren waren viele Frauen, die Ausweise ihrer Ehemänner, Brüder oder Söhne in die Höhe hielten und klagten, diese ohne Grund festgenommen worden. In Kashgar im Süden Xinjiangs löste die Polizei eine Versammlung von rund 200 Menschen an einer Moschee auf, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete.
Merkel setzt sich für Demonstranten ein
Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, sie wolle am Rande des G8-Gifels im italienischen L'Aquila mit Chinas Präsident Hu Jintao über die Lage in der Provinz sprechen. "Ich werde die Möglichkeit auch nutzen", versicherte sie einen Tag vor Beginn des G8-Gipfels im italienischen L'Aquila. Es sei "vollkommen klar", dass die Ein-China-Politik unterstützt werde. "Aber gleichzeitig muss es möglich sein, die Rechte der Minderheiten auch zu gewährleisten." Merkel betonte, es müsse auf eine friedliche Lösung der Konflikte gesetzt werden. "Es muss alles daran gesetzt werden, Gewalt einzudämmen." Zuvor hatte es aus Berliner Regierungskreisen geheißen, die derzeitige Informationslage lasse noch keine klare Beurteilung der Vorfälle zu.
In der Regierung wurde darauf verwiesen, dass sich Merkel immer für Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingesetzt habe. Nur müsse die Demonstrationsfreiheit auch friedlich genutzt werden. Die Bundesregierung rief Behörden und Demonstranten deshalb zur Zurückhaltung auf.
UN-Menschenrechskommissarin Navi Pillay forderte die Behörden auf, die Identität der Getöteten und die genauen Umstände ihres Todes bekanntzugeben, um keinen Kreislauf von Gewalt und Vergeltung entstehen zu lassen. "Das ist eine außergewöhnlich hohe Zahl von Menschen, die in weniger als einem Tag bei Unruhen getötet oder verletzt wurden", sagte sie in Genf. Die chinesischen Sicherheitskräfte mahnte sie, nur dann zu Gewalt zu greifen, wenn dies zum Schutz von Menschenleben unvermeidbar sei. Die Festgenommenen müssten menschlich behandelt werden und faire Prozesse bekommen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte eine unabhängige Untersuchung der Unruhen.
Behörden wollen Protestbewegung "ersticken"
Der Parteichef von Urumqi, Li Zhi, verteidigte das Vorgehen der Polizei. Gewalttäter hätten geplündert, gebrandschatzt und sogar gemordet. Der kommunistische Spitzenfunktionär in der Provinz, Wang Lequan, erklärte, der Kampf werde trotz Eindämmung der Unruhen lange andauern. Er forderte ein entschlossenes Vorgehen gegen Separatisten.

Die staatlichen Medien veröffentlichten weitere Bilder vom Sonntag, die das Ausmaß der Gewalt erahnen lassen.
(Foto: AP)
Vielerorts wurden die Internetverbindungen gekappt. Damit solle die Protestbewegung "erstickt" und eine Ausbreitung der Unruhen verhindert werden, sagte Li Zhi den Staatsmedien.
Angriffe auf Botschaften
In München hatten Unbekannte am Montag einen Brandanschlag auf das chinesische Generalkonsulat verübt. Die Täter warfen nach Angaben der Polizei drei Molotow-Cocktails an das Gebäude. Dabei geriet eine chinesische Flagge in Brand und die Fassade wurde leicht beschädigt. Die Konsularabteilung der chinesischen Botschaft in Den Haag blieb am Dienstag aus "Sicherheitsgründen" geschlossen, nachdem am Abend rund 200 Demonstranten Steine und Platten geworfen und versucht hatten, über die Absperrung um das Gebäude zu klettern.
Exil-Uiguren wiesen den Vorwurf zurück, die Unruhen geschürt zu haben. "Das ist absolut falsch", sagte ihre Wortführerin Rebiya Kadeer in Washington. Die Uiguren beklagen ihre kulturelle und religiöse Unterdrückung und fühlen sich wirtschaftlich gegenüber den Han-Chinesen benachteiligt.
Quelle: ntv.de, tis/rts/AFP/dpa