Ratingagentur und Bankenabgabe Merkel geht Finanzmärkte an
03.05.2010, 20:56 Uhr
Merkel will Konsequenzen aus der Griechenland-Krise ziehen.
(Foto: REUTERS)
Kanzlerin Merkel dringt auf eine schärfere Kontrolle der Finanzmärkte. Als Konsequenz aus der Krise in Griechenland soll der Euro-Stabilitätspakt verschärft werden. Auch eine europäische Ratingagentur und Bankenabgabe sollen debattiert werden. Die Forderungen sollen als Entschließungsantrag den Finanzhilfen für Athen beigestellt werden.
Nach der Billigung des milliardenschweren Hilfspakets für Griechenland dringt die Bundesregierung auf eine schärfere Kontrolle der europäischen Finanzmärkte. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, beim EU-Sondergipfel am Freitag entsprechende Vorschläge zu machen. Merkel will den Euro-Stabilitätspakt verschärfen und auch eine europäische Ratingagentur aufbauen.
Die Bundesregierung hatte zuvor das Rettungspaket für Griechenland auf den Weg gebracht, dem bis Freitag Bundestag und Bundesrat zustimmen sollen. Auf einer Sondersitzung beschloss das Kabinett den deutschen Anteil an den Notfall-Krediten in Höhe von rund 22,4 Milliarden Euro. Das Geld wird als Kredit von der Staatsbank KfW vergeben, der Bund bürgt dafür. Am Dienstag will Finanzminister Wolfgang Schäuble Finanzkreisen zufolge in einem Gespräch mit Vertretern der Finanzbranche für das Programm werben.
"Eine überzeugende Chance"

Sondersitzung des Kabinetts: Nach der Einigung zwischen Griechenland, EU-Kommission, IWF und EZB muss es jetzt schnell gehen.
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Insgesamt soll das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland bis 2012 Notfall-Kredite von bis zu 110 Milliarden Euro erhalten. Auf die Euro-Staaten sollen davon 80 Milliarden Euro entfallen, auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) 30 Milliarden. Voraussetzung war die Einigung der griechischen Regierung mit IWF, EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) über ein umfangreiches Sparpaket. Griechenland will bis 2013 insgesamt 30 Milliarden Euro einsparen. Alle drei Monate wollen Experten die Einhaltung der Sparversprechen prüfen.
Die deutschen Notkredite sollen nach Worten von Kanzlerin Merkel den Euro als Ganzes stabilisieren. Damit diene das Darlehen in Höhe von gut 22 Milliarden Euro nicht nur den Griechen, sondern auch den Deutschen, sagte die CDU-Chefin in Berlin. Schäuble sprach von der überzeugenden Chance, "dass Griechenland seine Schwierigkeiten überwinden kann". Alle Euro-Länder hätten zudem verabredet, mit den Vertretern ihrer Finanzbranchen "für die Überzeugungskraft dieses Programms" zu werben. Schäuble äußerte Respekt, dass es offenbar in der Privatwirtschaft eine Initiative für separate zusätzliche Finanz-Unterstützung gebe.
"Merkel hat zu lange gewartet"
Aus fast allen Parteien kam der Ruf nach europaweiten Konsequenzen aus der Griechenland-Krise. "Aufgabe unserer Regierung ist es heute, den Stabilitätspakt so auszugestalten, dass er nicht mehr unterlaufen, sondern strikt eingehalten wird", betonte Merkel bei einem gemeinsamen Auftritt mit Vizekanzler Guido Westerwelle. Beide hatten zuvor mit den fünf Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien über einen gemeinsamen Entschließungsantrag zu dem Garantie-Gesetz beraten. Die Grünen legten dazu einen ersten Vorschlag vor, der unter anderem eine straffe Kontrolle der Finanzmärkte fordert. Während in Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit für das Griechenland-Hilfspaket sicher scheint, ist noch unklar, ob es eine breite Unterstützung für eine begleitende Erklärung gibt.
SPD-Chef Sigmar Gabriel machte Merkel selbst Vorwürfe: "Das Taktieren Merkels, um vor der NRW-Wahl keine Zahlen auf den Tisch legen zu müssen, sondern sich als 'eiserne Kanzlerin' zu inszenieren, hat den deutschen und europäischen Steuerzahler Milliarden gekostet." Auch die Grünen kritisierten das Verhalten der Bundesregierung. "Es war gerade Frau Merkel, die schon im Februar gewusst hat, dass es dazu keine Alternative gibt, dass wir im Rahmen der Eurozone Griechenland helfen müssen", sagte Parteichefin Claudia Roth bei n-tv. Merkel habe viel zu lange gewartet, das habe die Spekulationen noch einmal richtig angeheizt und es sehr viel teurer gemacht.
Forderungskatalog für Brüssel
Merkel, Westerwelle und Schäuble stellten ein Bündel an Forderungen auf, die nun auf EU-Ebene besprochen werden müssten. Dazu gehöre die Debatte über eine Vertragsänderung, ein Verbot des Handels mit bestimmten Derivaten, die europaweite Einführung einer Bankenabgabe sowie schärfere Kontrollmöglichkeiten der EU-Statistikbehörde Eurostat, sagte Merkel. Die Kanzlerin dringt zudem auf ein internationales Insolvenzrecht für Staaten. "Es sollte eine geordnete Insolvenz von Staaten geben, bei der die Gläubiger mit herangezogen werden", sagte Merkel der ARD. "Banken werden dann nicht ungeschoren davon kommen."
Man müsse nicht nur das Feuer, sondern auch die Brandursache bekämpfen, mahnte Westerwelle. Nötig seien eine striktere Kontrolle der Haushaltspolitik der Euro-Staaten, aber auch Sanktionen bei Verletzung der Vorgaben. Der Aufbau einer europäischen Ratingagentur sowie schärfere Kontrollen dieser Bonitätsbewerter werden schon länger auf europäischer und internationaler Ebene diskutiert. Eine europäische Ratingagentur könnte laut Merkel langfristiger urteilen als die bestehenden Agenturen und sich am Modell der sozialen Marktwirtschaft orientieren. "Konkurrenz kann hier nur nutzen."
Vier Wirtschaftswissenschaftler und Staatsrechtler kündigten an, noch diese Woche Verfassungsklage gegen das deutsche Garantie-Gesetz zu erheben. "Wir werden Karlsruhe am Freitag anrufen", sagte einer der Kläger, Karl Albrecht Schachtschneider, dem "Tagesspiegel". Ziel sei eine einstweilige Anordnung gegen die Auszahlung der Hilfen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) kam dem überschuldeten Griechenland unterdessen erneut entgegen. Sie setzte eine Regel aus, nach der sie als Sicherheit für Kredite an Banken nur Staatsanleihen mit einer befriedigenden Bonitätsbewertung annimmt. Die Mindestanforderung für bereits begebene und künftige griechische Staatsanleihen werde bis auf weiteres ausgesetzt.
Streikwelle in Griechenland rollt
Die griechische Regierung brachte unterdessen einen Gesetzesentwurf zu ihren geplanten drastischen Sparmaßnahmen ins Parlament ein. Die Abgeordneten sollen darüber binnen Wochenfrist abstimmen, wie aus Parlamentskreisen in Athen verlautete. Griechische Zeitungen bewerteten das von der Regierung am Sonntag in Athen verkündete Sparprogramm als alternativlos. Um das Staatsdefizit drastisch zu reduzieren, will die Regierung die Steuern erneut erhöhen und die Gehälter von Staatsbediensteten sowie die Renten kürzen.
Die griechischen Gewerkschaften kündigten Streiks an. Nach der Müllabfuhr wollen am Dienstag und Mittwoch auch die Beamten in den Ausstand treten. Am Mittwoch will sich auch die Gewerkschaft der privaten Wirtschaft (GSEE) dem Streik anschließen. Die Fluglotsen wollen dann den griechischen Luftraum für 24 Stunden bis Mittwoch um 23 Uhr komplett schließen. Erstmals in der Geschichte des Landes demonstrierten auch etwa 100 Offiziere und Unteroffiziere der griechischen Streitkräfte gegen die Sparmaßnahmen.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP