Schnüffelei aus Botschaften Merkel gibt Privatsphäre der Deutschen auf
05.11.2013, 11:25 Uhr
Die US-Botschaft (l.) und die britische Botschaft (r.) in Berlin, fotografiert aus der Luft.
(Foto: dpa)
Auch im Ausspähskandal bleibt sich Kanzlerin Merkel treu: So lange wie möglich hält sie die Füße still. Ihre Prioritäten hat sie dabei längst gesetzt. Wichtiger als die Privatsphäre der deutschen Bürger ist ihr das Verhältnis mit den Vereinigten Staaten. Da müssen Kröten geschluckt werden.
Gesetzlichkeit, das ist eine Kategorie, die bei den Kommissaren im deutschen "Tatort" eine Rolle spielen mag. Für ihre Kollegen in britischen Filmen und amerikanischen Serien, die in der Regel nicht Kommissare, sondern "Agenten" sind, gilt das nicht. Sie interessieren sich nur für Ergebnisse. James Bond verkörpert diese Tradition wie kein zweiter Filmheld: zwar charmant und elegant, aber auch jederzeit bereit, Gesetze zu brechen.
Der britische Premier David Cameron hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, ein ausgesprochener Fan der Bond-Filme zu sein - was den "Guardian" bereits vor gut zwei Jahren veranlasste, sich zu fragen, ob Camerons Sicht auf die Rolle Großbritanniens in der Welt vielleicht vom Konsum dieser Filme geprägt sein könnte. Wie sein Idol hat Cameron ganz offensichtlich kein Problem damit, Gesetze zu brechen. Das kleine Britannien bespitzelt aus den Räumen seiner Botschaft in Berlin heraus Verbündete und Freunde. Unter dem Dach seines im Jahr 2000 eröffneten Gebäudes beherbergt Botschafter Simon McDonald nach einem Bericht des britischen "Independent" ein Abhörnest.
Wieder sind es Dokumente aus dem Bestand des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, die dafür sorgen, dass nun als Fakt gelten darf, was bislang allenfalls plausible Spekulation war. Denn wenn die USA ihre Botschaften zur Bespitzelung ihrer Gastländer benutzen, warum sollten die Briten es dann nicht genauso handhaben? Schließlich sind die beiden Länder über die "Five Eyes" geheimdienstlich auf das Engste verbunden. Offenbar haben die Briten im Bereich der Botschaftsspionage sogar Aufgaben von den Amerikanern übernommen: Der "Independent" schreibt unter Berufung auf NSA-Papiere, die USA hätten "unlängst" einige ihrer zuletzt 100 SCS-Stellungen geschlossen und deren Arbeit dem britischen Geheimdienst GCHQ übertragen. (Der amerikanische "Special Collection Service", kurz: SCS, ist eine gemeinsame Organisation von CIA und NSA, die seit den 1970er Jahren für die technische Überwachung aus Botschaften heraus zuständig ist.)
Merkel ignoriert und schweigt
Obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits seit Monaten weiß, dass das GCHQ auch die Staats- und Regierungschefs befreundeter Nationen ausspioniert, sprach sie beim jüngsten EU-Gipfel allein über die Spitzeleien der Amerikaner - getreu ihrer Devise, Probleme so lange wie möglich auszublenden. Nach dem Gipfel sagte Merkel auf die Frage, ob es irgendeine Reaktion von Cameron auf die deutsch-französische Initiative für Gespräche mit den USA gegeben habe: "Nein, David Cameron war ja gestern dabei, hat das gehört und hat sich nicht dagegen ausgesprochen, was ich als schweigende Zustimmung empfinde."
Es braucht mehr als nur den schlichten Hinweis auf Fakten, damit Merkel ihre Kanzlerinnen-Realität verlässt: Erst Berichte, dass sie selbst jahrelang belauscht wurde, hat sie zum Handeln gezwungen. Mehr noch als das Abhören ihres Telefons dürfte Merkel daher geärgert haben, dass die Amerikaner sich dabei erwischen ließen. Denn was die Kanzlerin nicht wissen will, das ignoriert sie geflissentlich - unvergessen ist ihr legendärer Satz aus dem Juli: "Es ist nicht meine Aufgabe, mich jetzt in die Details von Prism einzuarbeiten."
Am Montag hat Regierungssprecher Steffen Seibert klar gestellt, was die Prioritäten der Kanzlerin sind: "Das transatlantische Bündnis bleibt für uns Deutsche von überragender Bedeutung." Also, im Klartext, wichtiger als der Schutz von Edward Snowden, wichtiger auch als die Privatsphäre der Deutschen. Schließlich geht es, so Seibert, "auch immer um unsere Sicherheits- und unsere Bündnisinteressen".
Die Amerikaner sollen ihr Abhörnest in ihrer Botschaft am Brandenburger Tor mittlerweile abgeschaltet haben - eine freundliche Geste, mehr nicht. Wahrscheinlich wird auch in der nur 150 Meter entfernten britischen Botschaft demnächst der Stecker gezogen. Vorläufig. Denn wenn es nach Merkel geht, dann wächst so schnell wie möglich Gras über die Sache und alles geht weiter wie bisher. Denn eines ist sicher: Egal, was passiert, Feinde und Feindbilder haben die James Bonds dieser Welt immer mehr als genug.
Quelle: ntv.de