Politik

"Europapolitische Novizin" Merkel isoliert sich in EU

Isoliert: Mit ihren Forderungen hat Merkel bislang fast nur den Franzosen Sarkozy an ihrer Seite.

Isoliert: Mit ihren Forderungen hat Merkel bislang fast nur den Franzosen Sarkozy an ihrer Seite.

(Foto: dapd)

Im Streit um den EU-Stabilitätspakts gerät die deutsche Bundeskanzlerin zunehmend unter Druck. Merkel beharrt auf einer Änderung der EU-Verträge und der Forderung, Defitzitsündern das Stimmrecht zu entziehen. Das lehnen Kommission und viele EU-Staaten ab. Die Opposition wirft Merkel deshalb "dilettantische" Politik vor.

Bundeskanzlerin Angela Merkel muss sich wegen ihren Plänen zur Reform des EU-Stabilitätspakts heftige Kritik der europäischen Partnerländer sowie der deutschen Opposition gefallen lassen. Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker erklärte, er werde einem Stimmrechtsentzug für Defizitsünder nicht zustimmen. Damit droht nun eine scharfe Konfrontation auf dem EU-Gipfel in Brüssel Ende dieser Woche. Die Opposition in Berlin warf Merkel vor, sie habe diese Eskalation mit dem deutsch-französischen Kompromiss von Deauville provoziert. Trotzdem beharrt Merkel auf einer Änderung der EU-Verträge. Damit solle hartnäckigen Defizitsündern das Stimmrecht entzogen und private Gläubiger künftig an Krisenbewältigungen beteiligt werden können, sagte die Kanzlerin bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag. Anders sei die Europäische Union nicht krisenfest zu machen.

"Wir müssen heute Vorsorge zur Bewältigung künftiger Krisensituationen treffen", begründete die Kanzlerin ihre umstrittenen Pläne. Daher sei nach Auslaufen des bis 2013 geltenden milliardenschweren Rettungsfonds für Griechenland und andere Euro-Länder ein "rechtlich unangreifbarer" Krisenmechanismus für verschuldete Mitgliedsländer nötig. Zudem müsse es einen Stimmrechtsentzug für die Länder geben, die dauerhaft gegen die Schuldenregeln der EU verstießen.

Merkel hatte sich mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy auf diese beiden Forderungen geeinigt und war damit auf heftige Kritik gestoßen. Denn der geltende Lissabon-Vertrag ist nach jahrelangem Tauziehen und mehreren gescheiterten Volksabstimmungen erst vor elf Monaten in Kraft getreten. Auch die EU-Kommission lehnt deshalb eine erneute Änderung der Verträge ebenso ab wie viele der anderen Mitgliedsstaaten.

Kommissarin wird deutlich

Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, unterstrich ihre scharfen Vorwürfe gegen Merkel und Sarkozy. "Es ist unverantwortlich, die Büchse der Pandora zu öffnen", sagte Reding in Brüssel zu der geforderten Vertragsänderung. Ein ständiger Rettungsschirm für EU-Länder und eine Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes seien auch ohne Änderung der Rechtsgrundlagen machbar, betonte sie. Ein Sprecher von Kommissionspräsident José Manuel Barroso relativierte Redings Äußerungen jedoch als "persönliche Ansichten".

"Deal von Deauvill": Der ehemalige Außenminister Steinmeier übt heftige Kritik an Merkels Europapolitik.

"Deal von Deauvill": Der ehemalige Außenminister Steinmeier übt heftige Kritik an Merkels Europapolitik.

(Foto: AP)

Doch auch der Chef der 16 Euro-Länder, Luxemburgs Ministerpräsident Juncker, kündigte vor dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschef ab Donnerstag in Brüssel Widerstand gegen einen Stimmrechtsentzug an. "Um es klar zu sagen: Stimmrechtsentzug für Haushaltssünder ist kein gangbarer Weg und ich schließe in dieser Frage jede Änderung des EU-Vertrags aus", sagte Juncker der "Welt". Juncker zeigte sich jedoch offen für Vertragsänderungen, um einen permanenten Hilfsmechanismus für zahlungsunfähige EU-Länder einzurichten.

Etliche EU-Beobachter sehen in Junckers Position eine mögliche Kompromisslinie auf dem EU-Gipfel. Denn in der Bundesregierung wurde betont, dass beide Themen - Stimmrechtsentzug und die Beteiligung privater Gläubiger - zwei unterschiedliche Themen seien. Gegen einen Stimmrechtsentzug wenden sich nicht nur südliche EU-Staaten, sondern auch Länder, die wegen der nötigen Vertragsänderung schwierige innenpolitische Ratifizierungsverfahren fürchten.

"Deal von Deauville"

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf der Bundesregierung in Bezug auf den Stabilitätspakt eine völlig verfehlte Verhandlungsstrategie vor. Mit ihrem Vorgehen habe Merkel die Hälfte der anderen EU-Länder gegen sich aufgebracht, sagte er im Bundestag. Der "Deal von Deauville" von Merkel mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy habe die Tür für eine Einigung in Wahrheit erschwert. Zu befürchten sei, dass die Kanzlerin nach dem gleichen Muster wie bei der Griechenland-Krise und dem Euro-Rettungsschirm verfahren wolle, meinte der Oppositionsführer. Diese Linie laute: "Erst die Backen aufblasen und dann kommt die Einsicht in die europäischen Realitäten." Dies könne die Opposition der Regierungschefin nicht durchgehen lassen.

"Dilettantisch": Grünen-Fraktionschefin Künast schlägt in die gleiche Kerbe.

"Dilettantisch": Grünen-Fraktionschefin Künast schlägt in die gleiche Kerbe.

(Foto: dapd)

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf der Kanzlerin vor, sich wie eine "europapolitische Novizin" zu verhalten. Ihr "dilettantischer" Kurs in diesem Bereich sei ein einziger Widerspruch, sagte Künast in der Debatte im Bundestag. Durch ihre "Kehrtwende um 180 Grad" beim Treffen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy habe Merkel viele kleinere EU-Mitglieder "auf die Palme gebracht". Statt Europa zusammenzuhalten, habe sie das Ansehen Deutschlands mutwillig beschädigt.

Nach Ansicht der Linkspartei gefährdet das deutsche Vorgehen beim Stabilitätspakt den Bestand der EU. Merkel habe noch bei der Verabschiedung des Lissabon-Vertrags vor acht Monaten versprochen, dass an dem Abkommen nichts mehr geändert werden solle, sagte ihr Abgeordneter Diether Dehm. Davon wolle sie jetzt nichts mehr wissen.

Merkel bleibt standhaft

Merkel räumte ein, dass die deutsch-französischen Pläne umstritten sind. Sie stellte jedoch auch klar, dass beide Länder zu harten Verhandlungen bereit seien: "Es ist wahr: Eine deutsch-französische Einigung ist nicht alles in Europa", sagte die Kanzlerin. "Aber wahr ist auch: Ohne eine deutsch-französische Einigung wird vieles nichts."

Besonders ein "neuer, robuster Krisenbewältigungsrahmen für Notfälle" sei nötig, um die Stabilität der Eurozone zu sichern, sagte Merkel. Dieser Mechanismus müsse "rechtlich unangreifbar" sein. "Gelingen wird das nur mit einer Änderung der europäischen Verträge." Der bisherige Rettungschirm für verschuldete EU-Staaten sei nur eine Übergangslösung. "Eine einfache Verlängerung kann und wird es mit Deutschland nicht geben, stellte die Kanzlerin klar.

Für den G-20-Gipfel der führenden Schwellen- und Industrieländer am 11. und 12. November im südkoreanischen Seoul kündigte Merkel an, dass sich Deutschland für international gültige Regeln einsetzen wolle, nach denen Banken in Krisenfällen grenzüberschreitend abgewickelt werden können. Zudem müsse auch der Finanzsektor Vorsorge für künftige Krisen treffen, etwa durch eine Finanztransaktionssteuer.

Griechische Sorgen

Begleitet wird die Stabilitäts-Debatte von neuen Entwicklungen in den Euro-Staaten mit Finanzproblemen. In Griechenland gab Finanzminister Giorgos Papakonstantinou bekannt, dass die griechische Wirtschaft 2011 um bis zu drei Prozent schrumpfen werde - und damit stärker als bisher erwartet. Dies könnte Zweifel nähren, ob das Land in der Lage ist, seine wachsende Schuldenlast zurückzuzahlen.

Im ebenfalls hoch verschuldeten Portugal scheiterten Gespräche über den Haushalt 2011 zwischen den oppositionellen Sozialdemokraten (PSD) und der sozialistischen Minderheitsregierung. In der kommenden Woche droht damit der Haushalt 2011 im Parlament zu scheitern. Dagegen kündigte die irische Regierung neue Sparmaßnahmen an. Die Regierung teilte mit, dass bis 2014 statt der bisher vereinbarten 7,5 Milliarden Euro 15 Milliarden einsparen werden sollten.

Quelle: ntv.de, tis/rts/AFP/dpa

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