Haushaltsdebatte im Bundestag Merkel kämpferisch wie selten
15.09.2010, 19:11 Uhr
"Dies ist der Herbst der Entscheidungen für wichtige Weichenstellungen in Deutschland, für das neue Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020. Dies ist unser Anspruch, und dem werden wir gerecht", sagt Merkel.
(Foto: dpa)
Bundeskanzlerin Merkel verteidigt den Kurs der schwarz-gelben Koalition. Die Landtagswahl in Baden-Württemberg im kommenden Jahr erklärt sie zur Abstimmung über Stuttgart 21. SPD-Chef Gabriel nennt Merkel eine "Kanzlerin der Konzerne". Außenminister Westerwelle ist aus Sicht der Opposition ein Ausfall.
Mit einer ungewohnt kämpferischen Rede hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Politik der Koalition verteidigt. Als Erfolg der Regierung nannte die Kanzlerin unter anderem den Rückgang der Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren. Auch in der Krise habe sich der Arbeitsmarkt als "robust" erwiesen. "Wir sind wieder auf Wachstumskurs", sagte Merkel. Sie räumte zugleich ein, dass zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise noch viel zu tun sei: "Das ist der Herbst der Entscheidungen für wichtige Weichenstellungen in Deutschland für das neue Jahrzehnt." Das Schlagwort "Herbst der Entscheidungen" ist Mekels Chiffre für einen Neuanfang der zerstrittenen Koalition nach der Sommerpause.
CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sagte mit Verweis auf den Rückgang der Arbeitslosenzahl von fünf Millionen auf gut drei Millionen: "Wir haben allen Grund, selbstbewusst zu sein". Auch FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger verteidigte den Kurs der Regierung. Während die SPD ihre Positionen verändere "wie Fähnchen im Wind", stehe die Regierung für Klarheit und Verlässlichkeit. FDP-Generalsekretär Christian Lindner hielt der Opposition vor, lediglich mit "sozialer Rhetorik" aufzuwarten, während Schwarz-Gelb Chancen für die Menschen schaffe.
Gabriel kritisierte die Regierung als Handlanger der Wirtschaft: "Wie konnte es dazu kommen, dass eine Regierung derart heruntergekommen ist?" Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, nannte Merkel eine "Kanzlerin der Lobbyisten". Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf der Koalition vor, vor den Atomkonzernen und der Pharmaindustrie eingeknickt zu sein: "Sie, Frau Merkel, sind die Kanzlerin von RWE, Eon, EnBW und Vattenfall."
Westerwelle "fantasielos und gleichgültig"
Als weitgehenden Ausfall bewertete die Opposition die bisherige Arbeit von Außenminister Guido Westerwelle (FDP). "Es gab selten einen Außenminister, der so fantasielos und gleichgültig mit seinem Amt umgeht", kritisierte SPD-Experte Rolf Mützenich.
Die Grünen-Außenpolitikerin Kerstin Müller erklärte, Westerwelle werde in die Geschichte als "Ritter von der traurigen Gestalt" eingehen. Entweder werde er von der Kanzlerin "zurückgepfiffen" oder er schweige bei schwierigen Themen. Union und FDP stellten sich hinter Westerwelle. Dieser habe etwa auf dem Balkan schon einiges erreicht.
"Gänse von Weihnachten überzeugen"
Gabriel nannte Merkel eine "Kanzlerin der Konzerne". Auf der anderen Seite fehle der Regierung "jede Vorstellung davon, was eigentlich Gemeinwohl ist in Deutschland". Mit ihrer Energiepolitik behindere die Regierung nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energien, sie eröffne auch erneut "einen gesellschaftlichen Großkonflikt" und bereite einen Verfassungsbruch vor. "Monatelang wird über Steuern nicht in der Regierung oder im Parlament verhandelt, sondern hinter verschlossenen Türen mit der Atomlobby", kritisierte Gabriel das Vorgehen der Regierung.
"Irgendwie ist es keine so richtig große intellektuelle Herausforderung, heute etwas zu Ihrem Haushalt zu sagen und zu Ihrer Regierungspolitik", meint Gabriel.
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Die Regierung habe größten Schaden mit den Milliarden für die Atomwirtschaft durch die Laufzeitverlängerung angerichtet, so Gabriel. Nun wolle sie die Stromkonzerne von der Förderung der erneuerbaren Energien überzeugen. Das sei so, wie Gänse für Weihnachten zu begeistern.
In ihrer Erwiderung ging Merkel auf Gabriels Vorwürfe nicht ein. Über den Ausbruch der Finanzkrise vor zwei Jahren sagte sie: "Wir wollten stärker aus der Krise herauskommen als wir hineingegangen sind." An die SPD gewandt fügte sie hinzu: "Damals waren Sie ja noch vernünftig." Während der Eurokrise habe die SPD allerdings versagt.
Merkel: Landtagswahl ist Votum über Stuttgart 21
Merkel griff SPD und Grüne für ihre Positionen im Streit um das umstrittene Bauvorhaben Stuttgart 21 an. "Die Grünen sind immer für die Stärkung der Schiene. Und wenn's dann mal um einen neuen Bahnhof geht, sind sie natürlich dagegen." Die SPD sei jahrelang für Stuttgart 21 gewesen: "Und jetzt, wo man ein bisschen dafür kämpfen muss, da fangen sie an, dagegen zu sein."
Forderungen nach einer Bürgerbefragung lehnte Merkel ab. Die Entscheidungen für die Verlegung des Bahnhofs unter die Erde seien völlig rechtmäßig getroffen worden. "Die Landtagswahl im nächsten Jahr, die wird genau die Befragung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs, über Stuttgart 21 und viele andere Projekte mehr." Nach aktuellen Umfragen muss die schwarz-gelbe Landesregierung fürchten, von Rot-Grün abgelöst zu werden - wobei die Grünen Chancen haben, stärker als die SPD zu werden.
Grünen-Fraktionschef Trittin konterte, dass das Geld, das man im neuen Hauptbahnhof versenke, im Regionalverkehr und beim Ausbau wichtigen Güter-Fernverbindungen fehlen werde. "Sie können jeden Euro nur einmal ausgeben."
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/rts