Karlsruhe moniert ESM-Entscheidung Merkel muss Rücksicht nehmen
19.06.2012, 10:45 Uhr
Die Verfassungsrichter verlangen eine stärkere Einbeziehung des Parlaments.
(Foto: dpa)
Ohne das Parlament einzubinden, handelt Kanzlerin Merkel mit den Euro-Ländern das Währungsbollwerk ESM aus. Die Grünen ziehen deshalb vor das Bundesverfassungsgericht. Aus Karlsruhe kommt nun der Ordnungsruf für Merkel: Bei solch weitreichenden Euro-Entscheidungen müssen die Volksvertreter früher und besser informiert werden.
Die Regierung hat in den Augen der Opposition bei der Aushandlung des permanenten Euro-Rettungsschirm ESM die Rechte des Parlaments verletzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte die Parlamentarier stärker einbeziehen müssen, so der Vorwurf. Dieser Meinung hat sich nun auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen. In einem Urteil mahnen die Karlsruher Richter an, dass die Abgeordneten umfassender und früher hätten informiert werden müssen.
Das Urteil kann als juristischer Warnschuss gegen Merkel gewertet werden. Die wird in Zukunft stärker auf die Befindlichkeiten der Opposition eingehen müssen, wenn es um finanziell weitreichende europäische Entscheidungen geht. Doch es bleibt bei einer Ermahnung: Die Einrichtung des permantenten Rettungsschirms ESM selbst ist damit nicht infrage gestellt.
Die Kanzlerin selbst gab sich in einer Reaktion am Rande des G20-Gipfels in Mexiko entspannt. Die Entscheidung der Karlsruher Richter werde für die Regierung künftig "Leitlinie" ihres Handelns sein. "Was das Urteil anbelangt, so werden wir das umsetzen", sagte Merkel. Sie begrüßte auch, dass es zur Frage der Parlamentsrechte jetzt "klare Maßstäbe" gebe.
EU-Werk oder nicht?
Ursprünglich hatte die Bundesregierung argumentiert, der ESM-Vertrag sei kein Vertragswerk der Europäischen Union, sondern auf völkerrechtlicher Ebene entstanden und stelle eine Vereinbarung zwischen souveränen Staaten dar. Deshalb habe der Bundestag auch kein Recht auf Information oder Mitwirkung vor der Ratifizierung des Vertragswerks.
Dem widersprach Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Der Vertrag sei sehr wohl eine Angelegenheit der EU: So weise der Vertrag etwa der Europäischen Union und dem Europäischen Gerichtshof neue Zuständigkeiten zur Überwachung des Finanzierungsprogramms notleidender Euro-Staaten zu. Darin sei eine Nähe zum Integrationsprogramm der Europäischen Verträge erkennbar.
Nicht der erste Weckruf aus Karlsruhe
Voßkuhle sagte zur Begründung der Entscheidung, dass damit die parlamentarische Verantwortung gestärkt werden solle. "Die Unterrichtung muss dem Bundestag eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen und so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät."
Geklagt hatte im konkreten Fall die Bundestagsfraktion der Grünen. Nach dem Grundgesetz muss die Regierung in Angelegenheiten der Europäischen Union den Bundestag und den Bundesrat "umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt" unterrichten. Das sieht Artikel 23 des Grundgesetzes vor.
Die Verfassungsrichter haben immer wieder die zentrale Rolle des Bundestags bei der europäischen Integration betont: Zuletzt bremsten sie Pläne, wichtige Entscheidungen über Maßnahmen zur Euro-Rettung auf ein Geheimgremium aus nur neun Abgeordneten zu übertragen.
Der ESM-Vertrag war im Februar 2011 von den Euro-Staaten vereinbart und bereits einen Monat später beschlossen worden, ohne dass der Bundestag daran mitwirken konnte. Deutschland muss in den ESM in diesem Jahr Bareinlagen in Höhe von 8,7 Milliarden Euro entrichten. Bundestag und Bundesrat können dem Vertragswerk nur noch zustimmen, Änderungen daran sind ihnen nicht möglich.
Quelle: ntv.de, jog/AFP/dpa