Röttgen-Rauswurf lässt Bosbach nicht verzweifeln "Merkel muss sich keine Sorgen machen"
23.05.2012, 10:38 Uhr
Die Schatten von Bundespräsident Gauck (M.), Bundeskanzlerin Merkel (l.) und Ex-Umweltminister Röttgen bei der Überreichung der Entlassungspapiere im Schloss Bellevue.
(Foto: dpa)
Am Tag nach dem Röttgen-Rauswurf hat Kanzlerin Merkel den CDU-Abgeordneten Bosbach angerufen, um ihm ihre Gründe zu erläutern. Überzeugt hat sie ihn nicht. Das Lob von Bundespräsident Gauck für Röttgen hat er "mit Freude vernommen". Bei aller Kritik betont Bosbach: Angst vor einer eventuellen Retourkutsche Röttgens müsse Merkel nicht haben.
n-tv.de: Der Landesverband Nordrhein-Westfalen gilt in der CDU als recht einflussreich. Jetzt gibt es nur noch zwei Fachminister aus Nordrhein-Westfalen im Bundeskabinett, und die gehören beide der FDP an. Wie stark ist die NRW-CDU nach dem Rauswurf von Norbert Röttgen noch?
CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach ist seit 1994 Abgeordneter im Deutschen Bundestag - genauso lange wie Norbert Röttgen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Wolfgang Bosbach: Die Entlassung von Norbert Röttgen ist bedauerlich, aber für uns kein Grund zur Verzweiflung. Das Thema Repräsentanz in der CDU-NRW in der Regierung hat auch am vergangenen Montag bei der Sitzung der Landesgruppe der nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten nur am Rande eine Rolle gespielt. Entscheidend ist nicht der Regionalproporz, sondern dass wir die Ämter im Bundeskabinett bestmöglich besetzen. Und mit Peter Altmaier ist das der Fall. Er ist eine gute Entscheidung, die in der NRW-Landesgruppe allgemein begrüßt wurde.
Glauben Sie, dass Altmaier ein stärkerer oder ein schwächerer Umweltminister sein wird als Röttgen es war? Denn er hat zwar die Unterstützung der Kanzlerin, aber er hat auch den klaren Auftrag, sich nicht mit Wirtschaftsminister Rösler zu streiten.
Man sollte Peter Altmaier jetzt die Zeit geben, sich in eine schwierige Materie einzuarbeiten. Die erste große Aufgabe liegt ja schon vor ihm, nämlich den Streit um die Förderung der Solarenergie zu schlichten. Altmaier weiß genau, dass er ein schwieriges Ressort übernimmt, aber auch, dass Norbert Röttgen gute Vorarbeit geleistet hat. Der Bundespräsidenten hat ihn ja auch deshalb ausdrücklich gelobt.
Aber ist nicht Röslers Position gestärkt? Rösler weiß ja, dass Altmaier den Kompromiss finden soll.
Wieso sollte das Rösler stärken?
Man könnte meinen, dass Altmaier entgegenkommender sein wird als Röttgen es war, um schneller zum Kompromiss zu kommen.
In einer Koalition sollte es nie Sieger und Verlierer geben. Natürlich fragen die Medien immer, wer sich durchgesetzt hat, aber auf dieses Spiel sollten wir uns nicht einlassen. Peter Altmaier wird sich genauso um ein kollegiales Miteinander bemühen wie Norbert Röttgen. Gelegentlich haben die Ministerien eben unterschiedliche Auffassungen. Dann muss man sich einigen.
Sie haben es gesagt, der Bundespräsident hat sehr freundliche Worte für Röttgen gefunden. Er hat betont, dass Röttgen "früher als andere" erkannt habe, "dass es Zeit für die Energiewende ist", und er hat gesagt, er wünsche sich, dass Röttgen sich auch künftig für unser Gemeinwesen wird einsetzen "können". Muss die Bundeskanzlerin das nicht als Affront verstehen?
Was der Bundespräsident gesagt hat, habe ich mit Freude vernommen. Es war schon interessant zu beobachten, dass Norbert Röttgen unmittelbar nach dieser sehr eindrucksvollen Laudatio die Entlassungsurkunde überreicht wurde. Mit einer solchen Situation war aber zu rechnen, und das war sicher auch für Angela Merkel keine Überraschung. Das ist doch regelmäßig der Fall, dass der Bundespräsident Ministern, die ihr Amt auf welchen Gründen auch immer aufgeben, für ihre bisherige Arbeit dankt und sie lobt. Das war nicht als Affront gemeint - und das ist von Angela Merkel auch nicht als Affront wahrgenommen worden.
Die Kanzlerin hatte in der Erklärung, in der sie Röttgens Entlassung verkündet hat, die Gründe für ihre Entscheidung nur angedeutet, aber offenbar wollte sie so verstanden werden, dass Röttgen für die Umsetzung der Energiewende nicht - oder nicht mehr - stark genug war. Können Sie das nachvollziehen?
So habe ich das auch verstanden. Das ist natürlich eine reine Einschätzungsfrage. Auf der einen Seite kann man sagen, dass Röttgen belastet war mit der Hypothek der schweren Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen. Dadurch könnte ihm vielleicht die notwendige Autorität fehlen, um wichtige Entscheidungen durchzusetzen. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass Röttgen als Bundesminister immer beste Kritiken bekommen hat. Er war in der Union unumstritten, und deswegen haben ihm viele eine zweite Chance im Amt gewünscht, und dazu gehöre auch ich.
Ganz unumstritten war Röttgen ja nicht, Horst Seehofer hielt zuletzt nicht mehr so viel von ihm. Glauben Sie, dass ein Motiv für den Rauswurf der Wunsch der Kanzlerin war, es dem CSU-Chef einmal recht zu machen?
Dass das das entscheidende Motiv für die Entlassung aus dem Amt war, halte ich für ausgeschlossen. Angela Merkel würde alles vermeiden, um auch nur den Eindruck zu erwecken, dass ein Minister der CDU entlassen wird, wenn der CSU-Chef ihn öffentlich rüffelt. Das war eine souveräne Entscheidung von Angela Merkel, die sie ohne Einfluss von außen getroffen hat.
Als eigentlicher Grund für den Rauswurf gilt, dass Röttgen es an der notwendigen Loyalität habe fehlen lassen.
Ich bin überrascht, jetzt immer wieder neue Argumente für die Entlassung von Norbert Röttgen zu hören. In den Monaten und Jahren davor habe ich davon nie etwas vernommen. Im Gegenteil. Auf Norbert Röttgen wurde ein Loblied nach dem anderen gesungen. Kaum ein Unionspolitiker bekam so viel lobende Worte wie Norbert Röttgen. Er galt als "Muttis Klügster", als Reservekanzler, als glänzender Analytiker, als hervorragender Rhetoriker. Das alles soll sich jetzt in wenigen Tagen total geändert haben? Das kann ich nicht nachvollziehen.
Sie haben im Passiv gesprochen - wer hat das Loblied gesungen? Die Medien oder die CDU?
Schwerpunktmäßig die Medien, aber auch innerparteilich gab es viel Lob.
Am vergangenen Donnerstag hat die Kanzlerin Sie angerufen, um Ihnen ihre Gründe für den Rauswurf zu erklären. Wie häufig sind solche Telefonate?
Auch wenn wir in punkto Euro-Rettungsstrategie unterschiedliche Auffassung haben, so hat es doch nie an persönlicher Wertschätzung gefehlt. Ich glaube, auch heute noch sagen zu können, dass Angela Merkel und ich ein persönlich gutes Verhältnis haben. Jedenfalls würde ich es bedauern, wenn sie es anders sehen würde. Es kommt nicht häufig, aber doch ab und zu vor, dass wir uns austauschen - mal per SMS, mal telefonisch.
Sagen Sie mir, was Frau Merkel Ihnen gesagt hat?
Sie hat mir Ihre Beweggründe mitgeteilt - ein wenig deutlicher als in der öffentlichen Erklärung, aber es waren dieselben Motive. Interessant ist dabei vielleicht, dass Angela Merkel und Norbert Röttgen den Ablauf der vergangenen Tage übereinstimmend schildern. Da gibt es keine großen Differenzen.
Was haben Sie ihr gesagt?
Ich habe ihr erklärt, warum ich diese Entscheidung bedauere und dass ich mich gefreut hätte, wenn Norbert Röttgen im Amt eine zweite Chance bekommen hätte.
Ungewöhnlich an der Entlassung war ja auch Röttgens Weigerung, von sich aus zurückzutreten, nachdem die Kanzlerin dies von ihm verlangt hatte.
Stimmt.
Halten Sie diese Entscheidung für richtig?
Ich halte sie für nachvollziehbar, denn er hat sich wohl die Frage gestellt: Warum, was wirft man mir als Bundesminister vor? Als CDU-Landesvorsitzender hat er sofort Konsequenzen gezogen, er hat sein Amt zur Verfügung gestellt. Er hat die volle Verantwortung übernommen, er hat noch nicht einmal versucht, das Ergebnis schönzureden oder andere für das Debakel in Mithaftung zu nehmen.
Sie sind Mitglied des konservativen "Berliner Kreises" in der CDU. Röttgen gilt als Liberaler. Eigentlich müsste sein Rauswurf Sie freuen.
Das ist wirklich abwegig. Die CDU war immer dann stark, wenn sie sich darüber im Klaren war, dass sie eine christlich-soziale, eine liberale und eben auch eine konservative Wurzel hat. Wenn wir beginnen, uns gegeneinander auszuspielen, weil wir unterschiedlichen politischen Denkschulen angehören, machen wir einen kapitalen Fehler.
Könnte es aber vielleicht doch sein, dass Röttgen zu liberal für die CDU-Wähler in Nordrhein-Westfalen war?
Das war ganz bestimmt nicht ausschlaggebend. Wir liegen wirklich falsch, wenn wir die Gründe für das Debakel auf zwei Wörter reduzieren, auf "Norbert" und "Röttgen". Das hätte zwar den Vorteil, dass man sich dann über alle anderen Gründe für die Wahlniederlage keine Gedanken mehr machen müsste, es wäre aber viel zu schlicht.
An welche anderen Probleme denken Sie?
Wir leiden seit Jahren darunter, dass ein großer Anteil ehemaliger Unionswähler nicht etwa zur Konkurrenz überläuft, sondern in das Lager der Nichtwähler. Wir haben in Nordrhein-Westfalen auch überdurchschnittlich viele Wähler an die Piraten verloren. Doch nicht weil alle von deren Programm begeistert sind, sondern aus Unzufriedenheit mit dem politischen Kurs der Union. In zentralen bundespolitischen Fragen geben wir zur Zeit leider kein klares Bild ab. Es fehlt an der notwendigen Profilschärfe und an der eindeutigen Beantwortung der Frage: Wofür steht die Union und was unterscheidet uns von der politischen Konkurrenz?
Der Kreisverband Unna hat vorgeschlagen, dass Sie den Vorsitz der nordrhein-westfälischen CDU übernehmen.
Das ehrt mich, und es gibt nicht wenige Stadt- und Kreisverbände, die mich in dieser Richtung ermuntern. Aber ich bin und bleibe Bundespolitiker. Ich empfehle dem Landesverband auch dringend eine landespolitische Lösung. Ich helfe gern dabei mit, einen momentan niedergeschlagenen Landesverband wieder aufzurichten. Aber für Führungsämter in der CDU NRW oder gar für den Landesvorsitz stehe ich nicht zur Verfügung. Ich habe im Moment mehr persönliche Sorgen als politische.
Sie meinen Ihre Erkrankung an Prostatakrebs.
So ist es.
Glauben Sie, dass Norbert Röttgen doch noch sein Bundestagsmandat abgeben wird?
Nein. Ich freue mich, dass er der Politik erhalten bleibt. Er will im Herbst 2013 wieder für den Bundestag kandidieren, und so wie ich Norbert Röttgen kenne, wird er auf Dauer nicht als Hinterbänkler arbeiten wollen.
Was ist mit dem stellvertretenden CDU-Vorsitz? Kann er den behalten?
Das ist wohl eher ein Platz für den nordrhein-westfälischen Landesverband der CDU. Da wird man eine Lösung finden müssen. Ich persönlich glaube nicht, dass Norbert Röttgen eine erneute Kandidatur anstrebt. Er wird mithelfen, dass der Platz für die CDU NRW erhalten bleibt.
Es gab ein wenig Verwirrung um die Frage, ob Röttgen sich zu den Umständen seiner Entlassung äußern wird - was nach allgemeinem Verständnis ein Angriff auf die Kanzlerin wäre. Muss Merkel nun Angst haben, dass er eine tickende Zeitbombe ist?
Nein, da muss sie überhaupt keine Sorge haben. Beim Treffen der Landesgruppe hat Norbert Röttgen nichts gesagt. Er war zwar die ganze Zeit über anwesend und wir alle haben auch gemerkt, was in ihm vorgeht. Aber selbst, wenn er sich öffentlich äußern sollte, wird er das in einer Form tun, die weder der Partei noch der Kanzlerin schadet. Denn am Ende würde ihm das selbst am meisten schaden.
Bei der Entlassung durch den Bundespräsidenten hat Röttgen scheinbar entspannt gelächelt. Was, glauben Sie, geht jetzt in ihm vor? Hat er das Thema schon verarbeitet?
Auch Politiker sind keine Roboter. So etwas nimmt man sich schon zu Herzen. Aber Norbert Röttgen ist lebensklug genug um zu wissen, dass Politik ein wichtiger Teil seines Lebens ist, aber es ist nicht sein ganzes Leben. Ich kann mir vorstellen, dass er auch denkt: Jetzt hast du wieder etwas mehr Freizeit, vielleicht sogar etwas mehr Freiheit.
Mit Wolfgang Bosbach sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de