Politik

Noch eine Kehrtwende Merkel plant Mindestlöhne

Merkel auf der CDU-Regionalkonferenz in Karlsruhe im September.

Merkel auf der CDU-Regionalkonferenz in Karlsruhe im September.

(Foto: picture alliance / dpa)

Als CDU-Vorsitzende hat Kanzlerin Merkel ihrer Partei bereits einiges zugemutet. Was die einen "Modernisierung" nennen, empfinden andere als Linksschwenk. Nun steht offenbar eine Korrektur der Position zum Mindestlohn bevor. Ein Ministerpräsident sowie Vertreter des Arbeitnehmer- und Mittelstandsflügels der Union sind bereits eingebunden.

Nach dem Atomausstieg, der Abschaffung der Wehrpflicht und der geplanten Abkehr von den Hauptschulen plant Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbar eine weitere Wende: die Einführung eines Mindestlohns beziehungsweise von Mindestlöhnen für alle Branchen in Deutschland.

Details sind noch unbekannt. Die "Welt am Sonntag" schreibt, Merkel plane einen allgemeinen Mindestlohn, der noch im schwarz-gelben Koalitionsvertrag ausdrücklich ausgeschlossen worden war. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, die Antragskommission des anstehenden CDU-Parteitags in Leipzig schlage vor, allgemeine Lohnuntergrenzen von einem Komitee festlegen zu lassen, in dem die Tarifpartner sitzen. Dies wäre nicht der von der Opposition geforderte - und in den meisten europäischen Ländern existierende - "politische" Mindestlohn, sondern eine Ausweitung der einzelnen Mindestlöhne auf alle Branchen.

Koalitionskrach so gut wie sicher

Wenn das Konzept Gesetz werden soll, müssen allerdings zunächst CSU und FDP überzeugt werden. Vor allem mit den Liberalen könnte das Thema für einige Diskussionen sorgen. Innerhalb der CDU könnte der neuerliche Schwenk leichter durchzusetzen sein: Bei den sechs Regionalkonferenzen, mit denen die CDU ihren im November anstehenden Parteitag vorbereitet hat, war die Basis bereits vorsichtig auf das Thema eingestimmt worden. Zugleich hatten Redebeiträge auf den Regionalkonferenzen gezeigt, dass Mindestlöhne für CDU-Mitglieder keineswegs ein Tabu sind.

SPD-Chef Gabriel und DGB-Chef Sommer fordern mindestens 8,50 Euro für alle Branchen.

SPD-Chef Gabriel und DGB-Chef Sommer fordern mindestens 8,50 Euro für alle Branchen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Laut "Welt am Sonntag" hat Merkel zwei Vertreter unterschiedlicher Parteiflügel gebeten, ein gemeinsames Modell zu erarbeiten und dies auch mit Gewerkschaften und Arbeitgebern rückzukoppeln. Beteiligt seien Karl-Josef Laumann, der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmer, und Michael Fuchs, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Leiter des Parlamentskreises Mittelstand. Beide hätten sich am Montag der vergangenen Woche getroffen und sich darauf geeinigt, dass eine Kommission künftig eine Untergrenze für Löhne bestimmen solle.

Diese Lohnuntergrenze solle dann von der Bundesregierung bestätigt werden und für alle Branchen gelten, in denen es keine Tarifvereinbarungen gibt. Besetzt werde die Kommission vor allem durch Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Laumann sagte der "Welt am Sonntag", er schließe nicht aus, "dass es nach einem Parteitagsbeschluss sogar noch in dieser Legislaturperiode zu einer gesetzlichen Lohnuntergrenze kommt".

Merkel hatte einen Mindestlohn bislang vor allem mit dem Argument abgelehnt, dass eine gesetzliche Regelung die Tarifautonomie schwäche. Stattdessen plädierte sie für einzelne, branchenspezifische Lösungen.

McAllister ist auch dabei

Erst am Samstag hatte der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister von seiner Partei eine Neuausrichtung ihrer Sozialpolitik gefordert. "Wir müssen uns heute eingestehen, dass es teilweise zu niedrige Löhne in Deutschland gibt", sagte McAllister der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung".

Die Frage einer angemessenen Bezahlung sei für die soziale Gerechtigkeit von zentraler Bedeutung und müsse für die CDU als Partei der sozialen Marktwirtschaft ein zentrales Thema sein. Auf ihrem Bundesparteitag im November könne sich die CDU "sozial- und wirtschaftspolitisch weiterentwickeln", sagte McAllister.

Arbeitgeber und Gewerkschaften sollten für Branchen ohne ausreichende Tarifbindung einen Mindestlohn festlegen. "Wir brauchen in mehr Branchen als bisher Regelungen zu verbindlichen Lohnuntergrenzen", forderte McAllister. Das Einkommen aus einem Vollzeitjob müsse am Ende reichen, um eine Familie davon ernähren zu können.

Es gehe darum, "soziale Verwerfungen im Niedriglohnsektor wirksamer zu verhindern", betonte der Ministerpräsident. Zur Menschenwürde gehöre für ihn auf jeden Fall auch eine menschenwürdige Bezahlung. Auch der Missbrauch von Leiharbeit müsse eingeschränkt werden. "Nach einer angemessenen Einarbeitungszeit muss auch in der Leiharbeit der Grundsatz gelten: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort", sagte McAllister.

Niedriglohnsektor weitet sich aus

Ebenfalls am Samstag hatte die "Leipziger Volkszeitung" gemeldet, dass sich der Niedriglohnsektor in Deutschland ausweitet. Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten, die einen Niedriglohn erhalten, liege inzwischen bei 22,8 Prozent, zitiert das Blatt aus Jahresstatistiken der Bundesagentur für Arbeit. Niedriglöhne sind Gehälter unter 1379 Euro in Ostdeutschland und 1890 Euro in Westdeutschland.

Im Gastgewerbe in Deutschland und bei den Haushaltshilfen arbeiten inzwischen drei von vier Vollzeitangestellten zu Löhnen unterhalb der Niedriglohngrenze. Entsprechend der Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fällt ein Arbeitnehmer als sozialversicherungspflichtiger Vollzeitangestellter dann unter die Niedriglohnschwelle, wenn er weniger als zwei Drittel des Durchschnittslohns erhält.

Quelle: ntv.de, hvo/dpa/rts

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