Politik

Die schwierigen Beitrittsverhandlungen Merkel tanzt mit der Türkei

Angela Merkel im Göreme-Nationalpark in Kappadokien.

Angela Merkel im Göreme-Nationalpark in Kappadokien.

(Foto: dpa)

Sie kommt nicht mit leeren Händen in die Türkei: Kanzlerin Merkel verspricht, "Schwung" in die EU-Beitrittsverhandlungen zu bringen. Doch gewünscht hatten sich die Türken viel mehr. Trotz diplomatischer Worte und Gesten ist das Land von einem Beitritt allerdings weit entfernt.

Besichtigungstouren gehören normalerweise nicht zum Programm auf Merkels Staatsbesuchen. Für die Klosterhöhlen in Kappadokien machte sie eine Ausnahme

Besichtigungstouren gehören normalerweise nicht zum Programm auf Merkels Staatsbesuchen. Für die Klosterhöhlen in Kappadokien machte sie eine Ausnahme

(Foto: dpa)

Seit Jahren liefern sich die Türkei und die Europäische Union einen diplomatischen Tanz, in dem alle zur Verfügung stehenden Schrittfolgen ausprobiert werden. Wenn Angela Merkel nun über schmale Stufen in eine Klosterhöhle in Kappadokien hinabsteigt, macht sie wieder einen Schritt auf den Tanzpartner zu und wartet dann seine Reaktion ab. Denn das Kulturprogramm, das Merkel zwischen Truppenbesuch und Hauptstadtvisite absolviert, ist ein Angebot. Die Kanzlerin widmet sich auf ihren Reisen selten den Sehenswürdigkeiten ihrer Gastgeber. Tut sie es doch, demonstriert sie ihren guten Willen, die Beziehungen zu vertiefen. Wie das aussehen soll, wurde aus Kreisen der Regierung vor der Reise an deutsche Journalisten übermittelt: Die Kanzlerin wird anbieten, dass die EU ein neues Kapitel in den Verhandlungen um einen Beitritt der Türkei eröffnet. Läuft es gut, könnten es wohl sogar mehrere Kapitel werden.

Seit 1999 ist die Türkei offizieller Beitrittskandidat. Seitdem sind durch zwei Osterweiterungen zwölf neue Staaten aufgenommen worden, das Land am Bosporus steht aber noch weitgehend mit leeren Händen da. Von den 35 Kapiteln, über die für einen Beitritt verhandelt werden muss, sind gerade einmal 13 eröffnet worden. Nur eines ist bereits abgeschlossen verhandelt. So lange wie die Türkei verhandelte noch kein Land über seinen Beitritt, ohne dann auch aufgenommen zu werden.

Dabei haben beide Seiten handfeste Interessen, die für eine Mitgliedschaft sprechen. Die Türkei möchte vor allem ihr Wirtschaftswachstum weiter stärken, indem sie sich den lukrativen Binnenmarkt der EU erschließt. Bereits jetzt profitiert sie davon, in die Zollunion eingebunden zu sein. Im Westen gibt es relativ stabile Absatzmärkte, während das Land im Osten an mehrere Krisenstaaten grenzt: Georgien, Armenien, Iran, Irak und Syrien. Rund die Hälfte der türkischen Exporte geht in die EU. Das heißt auch: Entscheidungen, die in Brüssel fallen, betreffen das Land ganz massiv. Es ist darum nur verständlich, dass die Türkei an diesen Entscheidungen beteiligt sein möchte. Der Einfluss wäre kein geringer: Als Land mit der zweitgrößten Bevölkerungszahl stünden ihr Dutzende Parlamentssitze zu, im Ministerrat würde ihre Stimme so viel zählen wie sonst nur die von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien.

"Wir sagen der EU auf Wiedersehen"

Staatspräsident Abdullah Gül empfing Merkel im Präsidentenpalast.

Staatspräsident Abdullah Gül empfing Merkel im Präsidentenpalast.

(Foto: REUTERS)

Die EU würde mit dem Mitglied Türkei eine Brücke in den Nahen Osten bauen. Die ganze Region könnte dadurch zu mehr Stabilität finden, so die Hoffnung. Weitere Länder könnten sich dem westlichen Modell von Demokratie und Freiheitsrechten zuwenden. Auch die Türkei selbst wäre in der Frage, wo sie ihren Platz sieht, festgelegt. Derzeit flirtet Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan in eine andere Richtung. Zum russischen Präsidenten Wladimir Putin habe er gesagt: "Nehmt uns in die 'Shanghai Five' auf und wir sagen der EU auf Wiedersehen." Der recht junge Zusammenschluss heißt offiziell "Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit" und will den Handel unter seinen Mitgliedern stärken. Dazu zählen derzeit China, Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan. Die Integration ist bei Weitem nicht so weit fortgeschritten wie in der EU, doch die repräsentierte Wirtschaftskraft ist enorm. Sollte sich die Türkei in diese Richtung orientieren, würde der Einfluss der EU in der gesamten Region abnehmen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte der "Passauer Neuen Presse" im Vorfeld der Reise Merkels: "Wenn wir nicht achtgeben, wird die Stunde kommen, in der Europa mehr Interesse an der Türkei hat als die Türkei Interesse an Europa."

Das größte Hindernis in den Verhandlungen ist seit Jahren die Zypern-Frage. Die Insel ist seit 2004 EU-Mitglied, doch der Norden ist von türkischen Truppen besetzt. So sieht es zumindest die EU. Aus Sicht der Türkei ist Nordzypern ein unabhängiger Staat, Südzypern wird nicht anerkannt. Die Republik Zypern übt ihre Macht tatsächlich nur im Süden aus, der Norden spricht türkisch, hat eine türkische Telefonvorwahl und wird von türkischen Soldaten verteidigt. Die Türkei akzeptiert nicht, dass auch Zypern zur Europäischen Zollunion gehört und sperrt seine Häfen darum für Waren aus dem Land. Eine Zusage, die Importe wieder zuzulassen, war Voraussetzung für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen 2005. Passiert ist seitdem jedoch nichts. Über die acht Verhandlungskapitel, die mit der Zollunion zu tun haben, wird seitdem nicht weiter gesprochen. Die EU wird in dieser Frage wohl hart bleiben, denn die Trennung zwischen Norden und Süden war mit Vertreibungen in den 1970er Jahren verbunden, als die im Norden lebenden Griechen in den Süden fliehen mussten. Würde sie so geschaffene ethnische Grenze nun zu einer Staatsgrenze erklärt, wäre das Verbrechen im Nachhinein legalisiert. Die EU will diesen Schritt darum unbedingt vermeiden.

Solange die Türkei also in der Zypern-Frage nicht nachgibt, können die Verhandlungen in den anderen Kapiteln kaum von Erfolg gekrönt sein. Angela Merkels Stil war es aber ohnehin nie, auf eine ferne Vision hinzuarbeiten. Sie spricht davon, dass sie in den Beziehungen "ein Stück vorankommen" wolle. Sie versucht, das Verhältnis zur Türkei so weit zu stärken, wie es ohne die Nennung eines Beitrittsdatums möglich ist. Das Konzept der "privilegierten Partnerschaft", das in der CDU entworfen wurde, ist wohl die realistischste Form der Zusammenarbeit für die nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Die Außenpolitiker der Union wollen den Begriff allerdings nicht mehr benutzen, weil er in der Türkei schlecht ankommt. Eine "Beitrittsperspektive" sei wichtig, damit das Land in Menschenrechtsfragen vorankomme und sich nicht gänzlich von Europa abwende, heißt es von deutschen Politikern unterschiedlicher Parteien. Dass die Türkei tatsächlich einmal zum EU-Staat wird, ist dadurch aber noch lange nicht gesichert.

Quelle: ntv.de

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