Steinmeier sieht Wankelmütigkeit Merkel wirbt für Stabilität
02.12.2011, 11:29 Uhr
Die Kanzlerin erklärte, ...
(Foto: dapd)
Raunen, klatschen, murren, lachen im Bundestag: Kanzlerin Merkel präsentiert ihren neuen Fahrplan für den Weg aus der Euro-Schuldenkrise und SPD-Fraktionschef Steinmeier platzt der Kragen: Merkel rede am Kern der Sache vorbei, findet Steinmeier und wirft der Kanzlerin Wankelmütigkeit vor. Beide finden ihre Claqueure.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine Woche vor dem EU-Gipfel eindringlich für eine neue Stabilitätsunion in der Eurozone geworben. Notwendig sei eine "neue europäische Schuldenbremse für Mitglieder der Eurozone", sagte die CDU-Chefin in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag. Zugleich bemühte sie sich, Ängste vor einer deutschen Dominanz in Europa zu zerstreuen. Merkel unterstrich ihren Einsatz gegen eine Spaltung der EU und für eine gemeinsame Fortentwicklung der 27 Mitgliedstaaten.
Die Notwendigkeit einer Fiskalunion sei inzwischen weitgehend anerkannt. "Wir reden nicht nur über eine Stabilitätsunion, sondern wir fangen an, sie schaffen", sagte Merkel. Dies sei gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die Autorität der europäischen Institutionen müsse so gestärkt werden, dass für sie auch glaubwürdige Durchgriffsrechte möglich seien.
Merkel betonte, sie fahre mit dem Ziel von Vertragsänderungen für verbindliche Stabilitätsregeln zum EU-Gipfel. Der zweitbeste Weg zu mehr Stabilität seien neue Verträge zwischen Euro-Staaten. Eine Spaltung der Europäischen Union müsse dabei verhindert werden. Jedem der zehn EU-Mitglieder, die nicht der Währungsunion beigetreten sind, müsse es freistehen, sich den geplanten härteren Haushaltsregeln für die Euro-Länder anzuschließen. Merkel sagte weiter, die Konstruktionsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion müssten überwunden und die Schaffung einer Fiskalunion angestrebt werden. "Wir müssen stärkere und besser verzahnte Strukturen in der Eurozone schaffen, Fehlentwicklungen müssen frühzeitig erkannt und korrigiert werden, damit Krisen gar nicht entstehen", fordert die Kanzlerin.
Deutschland will nicht dominieren
Die klaren Vorstellungen Deutschlands für eine Stabilitätsunion hätten nichts damit zu tun, dass die Bundesrepublik Europa dominieren wolle. "Das ist abwegig." Die deutsche und die europäische Einigung "waren und sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Und das werden wir nie vergessen."
Merkel sprach sich dafür aus, den Euro-Rettungsschirm ESM zu stärken. Er müsse zu einem schlagkräftigen Instrument für Notsituationen ausgebaut werden. Gemeinsamen Staatsanleihen der Euro-Länder erteilte Merkel erneut eine Absage: "Die Diskussion über Euro-Bonds sei kein Beitrag zur Krise". Als Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin daraufhin schallend lachte, fügte die Kanzlerin hinzu: "Das mag für die Grünen lustig sein, für mich ist es logisch. Das ist der Unterschied."
Die Lösung der Staatsschuldenkrise werde Jahre dauern, sagte Merkel. Einfache, schnelle Lösungen zur Überwindung der Krise gebe es nicht. Es werde vor allem auch darum gehen, das von der Politik verspielte Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Die Politik habe seit der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion viele ihrer Regeln nicht angewandt oder gar gebrochen. Die Kanzlerin beendete ihre Rede mit einem starken Bekenntnis zum Euro: "Er ist stabil und als Exportnation profitiert Deutschland vom Euro. Weit mehr als eine Währung steht der Euro für den Willen Europa seine innere Entwicklung zu festigen."
"Das geht auf keine Kuhhaut"
Weit weniger versöhnlich ergriff SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier daraufhin das Wort. Er warf unter dem zustimmenden Geraune der Oppositionsreihen der schwarz-gelben Bundesregierung im Allgemeinen und Kanzlerin Angela Merkel im Besonderen vor, ein Stabilitätsrisiko für Europa zu sein. Merkel habe am Kern der Sache vorbeigeredet, hielt Steinmeier der Regierungschefin vor. "Keiner, Frau Merkel, wirft Ihnen vor, dass es die Krise gibt. Aber wie Sie mit ihr umgehen, das geht auf keine Kuhhaut." Merkel trage mit Wankelmütigkeit und Entscheidungslosigkeit Mitverantwortung dafür, dass nichts stabiler geworden sei. "Ihr Taktieren macht die Lage in Europa nicht stabil", bemängelte er. Das Gegenteil sei der Fall.
Der SPD-Politiker kritisierte, Merkel habe bislang alle Bastionen geräumt, die sie einmal in der europäischen Diskussion über die Beilegung der Krise eingenommen habe. Daher fehle es ihr an jeder Glaubwürdigkeit. Auch der Koalitionspartner kam nicht gut davon: So sei FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle am Montagmorgen für Elitebonds, am Montagnachmittag gegen Elitebonds: "Das ist liberale Offenheit, wie wir sie kennen", sagte Steinmeier unter allgemeinem Gelächter.
Merkel scheue in der Krisenbekämpfung Verantwortung und schiebe diese letztlich der Europäischen Zentralbank zu, sagte Steinmeier weiter. In den hellen Tagesstunden kritisiere die Kanzlerin die anderen Europäer, die in der EZB die letzte Instanz für die Lösung der Krise sähen, "und wenn es dunkel wird, beten sie dafür, dass die EZB weiter Anleihen kauft". Dieses Handeln der EZB kritisierte er nicht. Es sei aber nichts anderes als eine Form gemeinsamer Haftung in Europa. "Sie findet statt, durch Anleihenkäufe der EZB." Das sei wohl unvermeidbar, man dürfe das aber auch nicht leugnen, wie es die Regierung tue. Was Merkel zur Bewältigung der Krise anbiete, "das ist keine Politik, das ist Schauspielerei"."Sie stehen vor dem europäischen Haus, es brennt lichterloh und Sie haben Angst, sich zu verbrennen und Verantwortung zu übernehmen."
Der SPD-Fraktionschef warb für Einigkeit in Europa. "Europa kann sich aus diesem Schlamassel nur gemeinsam wieder herauskämpfen." Ein Zusammenbruch der Euro-Zone würde Deutschland mehr treffen, als die Griechen. "Wir retten nicht die Griechen oder Italiener, wir retten uns selbst: Unser Vermögen, unsere Arbeitsplätze, unsere Wirtschaft. Das von Anfang an zu sagen, hätte Ihnen, Frau Merkel, manches einfacher gemacht. Stattdessen haben Sie auch die wohlmeinendsten Nachbarländer gegen uns aufgebracht", sagte Steinmeier unter zustimmenden Applaus. Er warf der Kanzlerin "unerträgliche Schulmeisterei" vor. "Wer Lehrmeister sein will, der muss wenigstens sein eigenes Haus in Ordnung halten", fügte der Politiker in Richtung Volker Kauder hinzu. Der Fraktionschef der Union hatte unlängst erklärt, in Europa werde jetzt Deutsch gesprochen und damit unter anderem den Ärger der Briten auf sich gezogen.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin nannte die Sparvorschläge für die Krisenländer nicht umsetzbar und warf Schwarz-Gelb vor, "Steuersenkungen auf Pump" zu planen. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sieht Merkel gescheitert. Es sei der falsche Weg, die Probleme durch drastischen Sozialabbau lösen zu wollen.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle pochte auf die Schaffung einer eigenen europäischen Ratingagentur. Es sei höchste Zeit, dass Europa eine Institution zur Bonitätsbewertung als Gegengewicht zu den US-Ratingagenturen bekomme
Von dem EU-Gipfel Ende nächster Woche werden wichtige Weichenstellungen zur Bekämpfung der Euro-Schuldenkrise erwartet. Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy wollen sich am Montag über ihr Vorgehen abstimmen. Von dem EU-Gipfel soll erneut auch ein Signal zur Beruhigung der Finanzmärkte ausgehen. Mehrere überschuldete Euro-Länder können sich derzeit nur mit der Zusicherung hoher Zinszahlungen Kredite auf den Märkten besorgen. Merkels Koalitionspartner, die CSU, geht davon aus, dass sich die Kanzlerin auf dem Gipfel dem Druck der anderen Euro-Länder beugen und den Weg für die Einführung europäischer Staatsanleihen doch freimachen muss.
Quelle: ntv.de, sla/dpa/rts