Keine Einigung mehr beim Fiskalpakt Merkel zeigt sich skeptisch
12.06.2012, 16:43 Uhr
Merkel berät am Mittwoch mit den Partei- und Fraktionschefs.
(Foto: dapd)
Der Streit um den Fiskalpakt wird zum Rennen gegen die Zeit. Selbst Kanzlerin Merkel rechnet nicht mehr mit einer endgültigen Einigung beim Spitzentreffen im Kanzleramt. Hinter den Kulissen werden derweil die Strippen gezogen. Die SPD-Troika erhofft sich Rückendeckung aus Paris.
Der Poker um den europäischen Fiskalpakt steuert auf eine Entscheidung in letzter Minute zu. Bundeskanzlerin Angela Merkel rechnet bei dem Spitzentreffen mit den Partei- und Fraktionsspitzen nicht mehr mit einer endgültigen Einigung. Zwar komme man bei den Verhandlungen gut voran, sagte die CDU-Chefin in der Unionsfraktion. Es dürften aber keine falschen Erwartungen geweckt werden: "Wir sind mitten in der Arbeit." In der Opposition wird schon über eine Sondersitzung des Bundestages Anfang Juli spekuliert.
Auch bei den letzten Gesprächen erzielten Koalition und Opposition keinen Durchbruch hin zu einem Wachstumspakt. Eine Arbeitsgruppe wurde sich in Berlin aber über eine Erhöhung des Stammkapitals der Europäischen Investitionsbank einig. Die Experten berieten über Ansätze, um den EU-Krisenstaaten wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen. Das Thema werde beim Gipfeltreffen Ende Juni auf der Tagesordnung stehen, sagte SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil nach dem Treffen. Auf Druck der Opposition gebe die Regierung ihre Unverbindlichkeit an diesem Punkt allmählich auf. Er sprach von positiven Nachrichten. Die Möglichkeiten der Bank sollten durch die Kapitalerhöhung vergrößert werden, wie der Vizechef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Max Straubinger, betonte. "Da haben wir einen Gleichklang." Über den Grad der Konkretion herrschte weiter Uneinigkeit.
Extrem knapper Zeitplan
Bereits in der Nacht zu Dienstag hatten Regierung und Opposition ihren Konflikt über die Ratifizierung des EU-Fiskalpakts nicht entschärfen können. Der Zeitplan ist extrem knapp. Die Regierung dringt darauf, den Fiskalpakt gemeinsam mit dem dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM bis Ende Juni zu billigen, um ein Signal an die Finanzmärkte zu senden. Dies dürfte nun aber nicht mehr zu halten sein. Der ESM tritt am 1. Juli in Kraft.
Umkämpft bleibt vor allem die Finanztransaktionssteuer. SPD und Grüne fordern von der Koalition einen verbindlichen Zeitplan zu ihrer Einführung. Außerdem stellen sich die Bundesländer quer, die im Gegenzug für ihre Zustimmung im Bundesrat eine Entlastung der Kommunen bei den Sozialausgaben fordern. Am Mittwoch berät Merkel mit den Partei- und Fraktionschefs, am Donnerstag mit den Länder-Ministerpräsidenten.
Eigentlich sollten die Experten aus beiden Lagern in zwei Gesprächsrunden am Montagabend die letzten Details vor dem Spitzentreffen mit Merkel klären. Doch weder die Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer bei Kanzleramtschef Ronald Pofalla noch die der Länder-Finanzminister bei Finanzminister Wolfgang Schäuble fand einen Ausweg aus dem Konflikt. Damit der Pakt in Deutschland ratifiziert werden kann, müssen ihm sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Er soll für mehr Etatdisziplin in der EU sorgen.
Derweil warb Merkel eindringlich für Vertrauen in Europa und den Euro und erklärte die Stabilisierung Griechenlands dabei zur Wegmarke. "Wir stehen am Scheideweg", mahnte Merkel in Berlin bei einer Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrates.
Regierung: Opposition verzögert
Vertreter von Koalition und Opposition überzogen sich erneut mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle warf der Opposition vor, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte, SPD und Grüne rückten von bereits getroffenen Vereinbarungen ab. Die Experten hatten sich bereits vergangene Woche auf eine Linie zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in mindestens neun EU-Ländern geeinigt. Am Wochenende waren dann Zweifel aufgekommen, ob es die Koalition damit ernst meint.
Brüderle versicherte, die Opposition könne sich auf die Koalition verlassen. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Michael Grosse-Brömer, sagte, die Union werde die Steuer "mit Schwung und Überzeugung vertreten." Auf Ablehnung stößt in der Koalition die Forderung vor allem der Grünen, einen Altschuldentilgungsfonds der Euro-Länder aufzulegen. Das sei "Zinssozialismus", den man nicht mitmache, sagte Brüderle. FDP-Chef Philipp Rösler forderte die Opposition auf, "das kleinkarierte parteipolitische Taktieren endlich zu beenden".
Der Pakt wurde von der Koalition mit der Abstimmung über den neuen EU-Rettungsschirm ESM verknüpft, der am 1. Juli seine Arbeit aufnehmen soll. Ohne Deutschland kann er nicht starten.
SPD zweifelt an Ernsthaftigkeit der Regierung
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, er könne nicht sicher sein, ob die Zusagen der Koalition noch hielten. "Ich hoffe sehr, dass diese Zweifel beseitigt werden", sagte er mit Blick auf das Gespräch bei Merkel. Es sei nicht seine Absicht, die Abstimmung auf den Herbst zu schieben. Wer ein frühes Ergebnis wolle, müsse aber jetzt ernsthaft verhandeln.
Am Mittwoch wollen Steinmeier, SPD-Chef Sigmar Gabriel und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück in Paris mit Frankreichs Präsident Francois Hollande sprechen. Steinmeier sagte, die SPD führe nun eigene Gespräche mit anderen Ländern, die bei der Finanztransaktionssteuer mit Deutschland voran gehen könnten.
Am Donnerstag muss Merkel versuchen, bei einem Treffen mit den Ministerpräsidenten die Länder mit ins Boot zu holen. Der rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD) sagte, mit dem Fiskalpakt kämen auch die Kommunen bei der gesamtstaatlichen Verschuldung ins Visier. Ihnen gehe es aber schlecht, hier stünden die Bundesländer in der Pflicht. Nach Angaben von Teilnehmern fordern einige SPD-Länder Entlastung bei den Eingliederungshilfen für Behinderte, die bisher die Kommunen tragen und sie jährlich mit etwa 13,8 Milliarden Euro belasten.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP