Politik

"Deutschland diktiert niemandem" Merkels Nein beunruhigt Europa

Merkel sorgt für Unmut in einigen europäischen Ländern.

Merkel sorgt für Unmut in einigen europäischen Ländern.

(Foto: dapd)

Kanzlerin Merkel sorgt mit ihrem harten Kurs in der Eurokrise weiter für Verstimmung der europäischen Partner. Deutschland habe sich "aus der Europa-Avantgarde verabschiedet", heißt es. Merkel nehme zu viel Rücksicht auf die Anti-Euro-Stimmung. Die Kanzlerin versucht die Vorwürfe zu entkräften und fordert gar "eine Art Wirtschaftsregierung" für Europa.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor dem EU-Gipfel den Vorwurf eines zu machtbewussten Auftritts Deutschlands in Europa zurückgewiesen. "Deutschland diktiert niemandem etwas", sagte die Kanzlerin der "Bild"-Zeitung mit Blick auf die Diskussion um die Einführung gemeinsamer Euro-Anleihen. Der belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt appellierte allerdings an Merkel, in Brüssel ein klares Signal für "mehr Europa" zu setzten. Unterdessen warnte Polens Ministerpräsident Donald Tusk vor einem Auseinanderdriften der EU.

Die Staats- und Regierungschefs der Union wollen sich heute und morgen mit einer besseren Absicherung des Euro befassen. Es geht um einen dauerhaften Auffangschirm für kriselnde Eurostaaten für die Zeit nach 2013. Auf deutschen Wunsch hin sollen die "Chefs" beschließen, den vor einem Jahr in Kraft getretenen Lissabonner Reformvertrag zu ergänzen, um die Kriseneinrichtung rechtlich zu verankern. Beschlüsse zu den in der Öffentlichkeit viel diskutierten Eurobonds stehen nicht an. Sie hatten im Vorfeld zu heftigem Streit zwischen Deutschland und Luxemburg geführt, weil die Bundeskanzlerin die gemeinsamen Anleihen strikt ablehnt, während ihr Kollege Jean-Claude Juncker die Einführung befürwortet.

"Eine Art Wirtschaftsregierung"

Merkel appellierte an die Staats- und Regierungschefs, beim Gipfel Geschlossenheit zu zeigen. Dadurch werde deutlich: "Der Euro steht für keinen von uns infrage. Spekulanten haben keine Chance". Deutschland sei gut durch die Wirtschaftskrise gekommen, weil die Menschen keine Angst gehabt und große Gelassenheit gezeigt hätten. "Diese Entschlossenheit und Zuversicht brauchen wir jetzt weiter. An Europa und den Euro zu glauben, sich nicht beirren zu lassen, ist schon die Hälfte der Lösung", sagte Merkel der "Bild"-Zeitung.

Die Kanzlerin sprach sich zugleich für eine engere Zusammenarbeit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik aus. "Die EU-Länder müssen noch enger zusammenwachsen", sagte Merkel. Die Krise habe gezeigt, dass eine bessere Abstimmung Europa stärker mache. "Wir brauchen mehr Harmonie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, eine Art Wirtschaftsregierung in Europa auf der Basis gemeinsamer Stabilitätsregeln."

Kritik an Deutschland

Die Kritik an der deutschen Haltung reißt aber nicht ab. Nach Ansicht Verhofstadts hat sich die Kanzlerin aus Rücksicht auf eine Anti-Euro-Stimmung in Deutschland "aus der Europa-Avantgarde, zumindest vorläufig, verabschiedet". Der EU-Gipfel dürfe sich nicht mit Beschwichtigungen nach der Devise "Kein Stress vor Weihnachten, bitte!" begnügen, schreibt der Vorsitzende der Liberalen im Europaparlament in der "Berliner Zeitung".

Verhofstadt stellte sich hinter Junckers Forderung nach Einführung von Euro-Anleihen. Es sei ein Fehler, dass der EU-Gipfel auf Berliner Wunsch möglichst nicht darüber sprechen solle. Eurobonds sollten "ein Kernelement des künftigen Wirtschaftens in der Europäischen Union" sein. Der Euro könne nicht überleben, wenn er weiter mit 16 Regierungen, 16 wirtschaftspolitischen Strategien und 16 Anleihenmärkten konfrontiert werde. Das "jämmerliche Scheitern der Lissabon-Strategie" habe deutlich gezeigt, dass "sanfter Druck in Europa nicht ausreicht", schreibt Verhofstadt.

Luxemburgs Premierminister Juncker warf im "Handelsblatt" den EU-Staats- und Regierungschefs vor, bei Entscheidungen "allzu sehr Rücksicht auf die innenpolitische Agenda" zu nehmen. Gipfelbeschlüsse hätten "Anlass zu Marktturbulenzen gegeben". Für eine engere wirtschaftspolitische Abstimmung in der Währungszone reichten Treffen der Euro-Finanzminister nicht aus. Deshalb müssten Gipfeltreffen der Euro-Staaten einberufen werden.

Sorge um Spaltung

Sieben deutsche Stiftungen riefen in einem offenen Brief die Bundesregierung auf, beim EU-Gipfel einen "mutigen Schritt voran zu einer echten Wirtschafts- und Finanzunion" zu wagen. "Eine pro-europäische Führungsrolle liegt im ureigenen Interesse Deutschlands", erklärten die Allianz Kulturstiftung, die Bertelsmann Stiftung, die BMW Stiftung Herbert Quandt, die Schering Stiftung, die Schwarzkopf- Stiftung Junges Europa, die Stiftung Mercator und die Stiftung Zukunft Berlin.

Auch Polens Regierungschef Tusk befürchtet indes eine Spaltung der EU. "Wir beobachten in der EU neuerdings, dass das gemeinschaftliche Denken schwächer wird", sagte er der Zeitung "Die Welt". Das finde seinen Ausdruck zum Beispiel darin, dass die Teilung der EU in die Länder der Eurozone und die Länder draußen immer schärfer werde. Dies erinnere an "das unselige Projekt vom Europa der zwei Geschwindigkeiten", sagte Tusk. Es klinge, als wolle jemand einen Teil der Gemeinschaft aussperren.

Tusk stärkte Merkel zudem den Rücken. "Bundeskanzlerin Merkel ist, so glaube ich, einer der wenigen Politiker in Europa, die sehr gut verstehen, wie wichtig das Gleichgewicht oder sogar die Synergie dieser Interessen ist", sagte Tusk in Bezug auf die Interessen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten und der Union insgesamt. "Man darf nicht auf Kredit leben und kann nur dann leihen, wenn man in der Lage ist, das auch abzuzahlen."

Quelle: ntv.de, tis/dpa/AFP/rts

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