"Humanitäre Krise droht" Millionen müssen hungern
28.03.2009, 17:43 UhrDie Entwicklungshilfeorganisation World Vision und das Welternährungsprogramm WFP schlagen Alarm: Die Wirtschafts- und Finanzkrise bedroht immer mehr Menschen in den Entwicklungsländern. Rund 50 Millionen seien zusätzlich unmittelbar von Hunger bedroht, warnte das Welternährungsprogramm der UN (WFP). Alle zwei Minuten könnte dadurch ein Kind mehr sterben, sagte Kurt Bangert, Armutsexperte bei World Vision, gegenüber n-tv.de.
Der Leiter des Berliner WFP-Büros, Ralf Südhoff, warf den Industrienationen Doppelzüngigkeit vor und forderte mehr Hilfen für die armen Länder. "Seit Jahrzehnten sagen viele Industriestaaten, sie könnten ihr Versprechen nicht halten und die Entwicklungshilfe um ein paar Milliarden Dollar erhöhen. Nun werden binnen Wochen Billiarden von Dollar für Banken und Versicherungen aus dem Hut gezaubert", sagte Südhoff bei n-tv.de. "Wir diskutieren täglich über die Krise der Banken - doch tatsächlich droht eine humanitäre Krise."
Das WFP verweist darauf, dass ausbleibende Kredite, fallende Exporterlöse und sinkende Auslandsüberweisungen sich drastisch in den Entwicklungsländern bemerkbar machen. Jedes Prozent weniger Wachstum stürzt laut Weltbank in den Entwicklungsländern im Schnitt 20 Millionen Menschen in die Armut.
Ernährungskrise nicht vorbei
Dabei leiden die Entwicklungsländer immer noch unter den Folgen der globalen Ernährungskrise, die im vergangenen Jahr die Welt aufschreckte. Allein durch fehlende Lebensmittel stieg die Zahl der weltweit Hungernden von 850 Millionen Anfang 2008 um weitere 115 Millionen, "eine einmalige Steigerung", so das WFP. Durch die Finanzkrise könnte nun die Zahl der Hungernden weltweit erstmals eine Milliarde überschreiten.
Die Nahrungsmittelpreise seien zwar zuletzt gefallen, aber nur von "einem absurd hohen auf ein sehr hohes Niveau - und das hilft den Ärmsten der Armen nicht weiter", so Südhoff. Noch immer seien die Nahrungsmittelpreise hoch; in Afghanistan kostet Weizen beispielsweise 60 Prozent mehr als vor einem Jahr, in Kenia ist Mais sogar mehr als doppelt so teuer. Insgesamt liegen die Getreidepreise, die für die Entwicklungsländer relevant sind, noch über 70 Prozent des Vorkrisenniveaus.
Kritik an "Gleichgültigkeit"
Die Kinderhilfsorganisation World Vision ruft die Industrienationen dazu auf, ihre "Gleichgültigkeit" gegenüber der Situation der ärmsten Menschen" aufzubrechen. Dabei seien die Gelder, die "für eine erhebliche Verbesserung der Situation in den Entwicklungsländern benötig würden, "Peanuts", so Bangert. Mit 15 Milliarden US-Dollar könnten beispielsweise jährlich 6 Millionen Kinder vor dem Tod gerettet werden, 400.000 junge Mütter und Schwangere müssten nicht sterben und die Behandlung von gefährlichen Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS könnte erheblich verbessert werden." Bei dem G20-Gipfel kommende Woche in London sei es dringend notwendig, dass die Industrienationen tatsächlich ihr Bankensystem reformierten.
Das WFP beklagte, das die Welternährungskrise anders als 2008 nicht auf der Agenda der Staats- und Regierungschef stehe. Südhoff forderte die Industrienationen auf, ihre Entwicklungshilfeversprechen – nämlich eine deutliche Steigerung der Gelder bis 2010 – auch einzuhalten. Die Finanzkrise dürfe nicht zum Anlass genommen werden, versprochene Hilfen einzufrieren oder gar zu senken, wie es beispielsweise Italien und Irland schon angekündigt haben.
IWF: Mindestens 25 Milliarden Dollar nötig
Die UNESCO hatte erst Anfang März davor gewarnt, dass wegen der Finanzcrashs bis zu 400.000 Kinder sterben könnten. Millionen von Kindern würden zudem als Folge der Finanzkrise "einen Schaden erleiden, der für lange Zeit nicht rückgängig gemacht werden kann", warnte Patrick Montjourides, Autor des Global Monitoring Report der UNESCO. Der Studie zufolge könnte das Einkommen der 390 Millionen ärmsten Afrikaner um rund 20 Prozent sinken.
Einer Untersuchung des Internationalen Währungsfonds IWF zufolge benötigen die ärmsten Länder im Kampf gegen die Krise in diesem Jahr umgerechnet mindestens 20 Milliarden Euro zusätzlich. Die Krise gefährde das höhere Wachstum und die größere politische Stabilität. Einigen Staaten drohten sogar bewaffnete Konflikte. Laut IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn sind mindestens 25 Milliarden Dollar in diesem Jahr nötig, um den von der Krise am meisten betroffenen Staaten mit Krediten zu helfen.
Quelle: ntv.de