Kommunen befürchten Zusatzkosten Ministerin kämpft für Bildungschip
19.08.2010, 16:45 UhrKein leichtes Spiel für Arbeitsministerin von der Leyen – ihre Fachkollegen in den Ländern muss sie noch von ihrem Bildungschip für Hartz IV-Kinder überzeugen. Denn außer in Bayern melden auch SPD-geführte Länder Bedenken an. Rückenwind bekommt sie unterdessen aus den Koalitrionsfraktionen.
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen treibt die Bildungs-Chipkarte für Kinder voran. Die CDU-Politikerin versicherte sich der Unterstützung der Sozialexperten in den Koalitionsfraktionen, bevor sie am Freitag mit den 16 Länderfachministern über ihr umstrittenes Konzept berät. "Ich freue mich über die Unterstützung der Regierungsfraktionen", sagte die Ministerin. Hinter ihr stehen auch die Arbeitgeberverbände und die Deutsche Kinderhilfe, die langfristig sogar eine Umstellung der gesamten Familienförderung auf Sachleistungen forderte.
Von der Leyen will die Bildungskarte für die knapp zwei Millionen bedürftigen Kinder ab dem kommenden Jahr einführen. Die Karte soll jährlich mit bis zu 200 Euro aufgeladen werden und je nach Bedarf könnte der Staat auf diesem Weg etwa Musikunterricht oder Nachhilfe, den Eintritt in Schwimmbäder und Museen bezahlen. Mit dem Modell will von der Leyen ein Verfassungsgerichts-Urteil vom Februar umsetzen. Darin hatten die Richter gefordert, die besonderen Bildungsbedürfnisse von Kindern bei der Hartz-IV-Bemessung stärker zu berücksichtigen.
CSU gegen Sachleistungen
Widerstand gegen von der Leyens Pläne kommt vor allem aus der CSU, die vor Bürokratie und einer Entmündigung der Eltern warnt. Die stellvertretende Vorsitzende der Unions-Fraktion, Ingrid Fischbach (CDU), sagte nach einem Gespräch mit von der Leyen, mit der Schwesterpartei müssten noch Gespräche geführt werden. Es gebe aber gute Erfahrungen mit der Chipkarte in Stuttgart.
Viele Fragen noch ungeklärt
FDP-Fraktionsvize Heinrich Kolb sagte, die Liberalen stünden dem Konzept der Ministerin sehr offen gegenüber. Kolb räumte aber ein, dass noch eine Reihe von Fragen geklärt werden müssten, zum Beispiel wie die Chipkarte in ländlichen Regionen eingeführt werden könne. Das Ministerium habe dazu aber gute Lösungsvorschläge gemacht.
Bayern und NRW mauern
Um ihr Modell durchzusetzen, braucht von der Leyen aber nicht nur die Unterstützung der Koalitionsfraktionen, sondern auch der Bundesländer, die im Bundesrat zustimmen müssen.
Nordrhein-Westfalen lehnt wie Bayern die Chipkarte ab. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sagte, das Verfassungsgericht verlange von der Politik eine Klärung, wie hoch der angemessene Bedarf für Kinder sei. Das habe von der Leyen bislang nicht getan. "Die Frage, wie das Geld verteilt wird, ist zweitrangig." Von der Leyen müsse endlich Zahlen vorlegen. Für den notwendigen Gesetzentwurf habe die Bundesregierung nur noch vier Monate Zeit, sagte Kraft.
Nach Ansicht der NRW-Ministerpräsidentin verursacht eine Chipkarte zudem unnötige Kosten. Um die Karte einzusetzen, müssten Kommunen, Vereine und andere Einrichtungen Lesegeräte anschaffen. "Dieses Geld sollte besser an die Kinder gehen." Eine direkte Förderung der Kinder durch kostenloses Mittagessen in Tagesstätten und Schulen sowie freie Lernmittel sei wirkungsvoller.
Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) sagte der "Rheinischen Post", ihr Bundesland werde das Chipkarten-Konzept konstruktiv begleiten. Die Kommunen sperrten sich nicht, machten aber deutlich, dass sie nicht bereit sind, eigenes Geld für den Aufbau der Infrastruktur in die Hand zu nehmen.
Kommunen fürchten Belastungen
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, warnte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor neuen Belastungen der Kommunen. Der Bund wisse, dass er für die flächendeckende Infrastruktur eines Kartensystems und für zusätzliche bargeldlose Leistungen selbst aufkommen muss. "Städte mit großen Haushaltsproblemen sind gar nicht in der Lage, solche freiwilligen Leistungen zu finanzieren."
Auch der Landkreistag verwies auf die finanzielle Verantwortung des Bundes, unterstützte aber den Vorschlag bargeldloser Leistungen. Für die Existenzsicherung von Kindern sei es wichtig, dass die Leistungen auch bei ihnen ankämen. Die Landkreise hätten die Erfahrung gemacht, dass dies bei Sachleistungen oder Gutscheinen leichter zu bewerkstelligen sei. Von daher gingen von der Leyens Überlegungen in die richtige Richtung. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sprach sich in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" dafür aus, die lokale Wirtschaft und Sponsoren einzubinden.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte die Chipkarte eine Möglichkeit, hilfebedürftige Kinder individuell zusätzlich zu fördern. Der Handwerksverband ZDH erklärte, bei der Umsetzung des Urteils dürfe es nicht nur um höhere Regelsätze gehen. Zielgenaue Förderung leiste auch mittel- und langfristig einen Beitrag zur Nachwuchsförderung in der Wirtschaft.
Kinderhilfe für Familienkarte
Am Montag will von der Leyen bei den Wohlfahrtsverbänden für ihre Pläne werben. Die Kinderhilfe erklärte, die bisherige Bar-Alimentation auf eine punktgenaue Förderung von Kindern umzustellen, sei richtig. Die Förderpraxis von Familien nach dem Gießkannenprinzip müsse beendet werden. Dass das Geld häufig nicht bei den Kindern ankomme, sei kein Problem der sogenannten Unterschicht allein. Auch Eltern, die keine Sozialtransfers, sondern Kindergeld erhielten, setzten dieses oft nicht für ihre Kinder ein. Die Karte sollte deshalb als Familienchip eingeführt werden.
Quelle: ntv.de, rts/dpa