Grass' Attacke gegen Israel "Mit Schmackes auf die Blechtrommel"
05.04.2012, 09:54 Uhr
Der Atomstreit mit dem Iran: Eigentlich steht das Regime um Präsident Ahmadinedschad im Mittelpunkt der Debatte. Doch Günter Grass rückt nun ein anderes Land in den Fokus. Israel gefährde den Weltfrieden, schreibt er in einem Gedicht. Das Land sei schließlich auch eine Atommacht. Deshalb müsse es sich auch genauso internationalen Kontrollen stellen wie der Iran. Ist es erlaubt, Israel und den Iran auf diese Weise gleichzusetzen? Ist Israel wirklich eine Gefahr für die Welt? Oder hat sich Grass mit seinen Äußerungen vergaloppiert? Die Presse diskutiert.
Der Tagesspiegel stellt Grass' als moralische Instanz in Frage. Er schreibt: "Ach, Grass. Zu fürchten ist, zu befürchten auch, dass sich hier einer um den Ruhm schreibt, wenigstens um den Ruf, dass er was zu sagen hätte. Weil er die Weisheit des Alters hätte. Oder weil er eine moralische Instanz wäre. So ist es nicht." So seien die Worte von Grass ein Schlag gegen die moralische Integrität. Weisheit spreche jedenfalls nicht aus seinen Worten. "Was bleibt? Das Alter. Und dass er Willy Brandt gut kannte. Und selbst das ist lange her."
Die Frankfurter Rundschau schreibt: "Was da angeblich gesagt werden musste, wäre besser ungesagt geblieben. Politisch ist es Unfug." Das Urteil über die literarische Qualität wolle man der Literaturkritik überlassen. Warum ein "alter Mann glaubt, 'mit letzter Tinte' ein angebliches Tabu brechen zu müssen, das er sich und seiner Generation selbst auferlegt hat", könne wohl nur ein Psychologe erklären.
Für die Nürnberger Nachrichten ist schon der Titel des fürchterlich aufgeblasen daherkommenden Alterswerks ist eine rechte Zumutung. "Was gesagt werden muss", heißt das Grass-Gedicht - "... was sich außer mir aber keiner traut", könne der Leser da wohl ergänzen. "Und schon ist die alte Stammtisch-Tonlage bestimmt, in der Kritik an Israel gerne angestimmt wird", schreibt die Zeitung. Grass erhebe sich damit zum vermeintlich letzten Mutigen und Aufrechten. "Nach dem Motto der vermeintlich letzten Mutigen und Aufrechten: Leider darf man das als Deutscher alles gar nicht sagen. Wenn Grass in seiner offenbar grenzenlosen Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und öffentlicher Bedeutung jetzt mit Schmackes auch mal auf diese billige Blechtrommel haut, klingt das nur etwas schwülstiger."
Die Pforzheimer Zeitung fragt sich: "Musste das wirklich gesagt werden?" Ihre Antwort: "Stünde nicht der Name des deutschen Nobelpreisträgers unter dem Text, fast jede Redaktion hätte das Gedicht im Papierkorb endgelagert. Fakt ist, auch wenn es Grass auf üble Weise ins Gegenteil verdreht: Der iranische Präsident hat Israel mit Vernichtung bedroht; nicht umgekehrt, wie es Grass suggeriert. Dass der iranische Präsident obendrein den Holocaust leugnete, scheint den Dichter nicht zu tangieren." Seit sich Grass im Jahr 2006 zu seiner SS-Mitgliedschaft bekennen musste, so die Kommentatoren aus Baden-Württemberg, habe er ohnehin keine glückliche Figur mehr abgegeben. "Im Bestreben, sich nun als streitbarer Aufklärer zu profilieren, hat er sich kläglich verrannt. So demontiert sich eine Geistesgröße selbst, was wirklich nicht sein muss."
Für die Leipziger Volkszeitung ist Grass kein Antisemit. "Wer diesen Vorwurf macht, sollte Beweise vorlegen. Aber weder Broder, noch Emmanuel Nahshon, Gesandter der israelischen Botschaft in Deutschland, können das. Stattdessen wühlen sie in der Schublade mit den Totschlagargumenten und bestätigen damit doch nur Grass, der da vom "Verdikt 'Antisemitismus' fabuliert". Allerdings könne man Grass eine Menge vorwerfen. Eitelkeit, und Selbstgerechtigkeit zum Beispiel. "Er, der sich als Instanz auf den Sockel stellte und das Recht zu moralisieren nahm, hat über 60 Jahre geschwiegen über sich selbst, der im Alter von 17 Jahren der Waffen-SS beitrat."
Die Hannoversche Allgemeine weist darauf hin, dass es das von Grass behauptete Tabu gar nicht gibt: "Wahr ist vielmehr, dass Israels Politik auch in Deutschland - vom Kanzleramt bis zu den Leitartikel- und Leserbriefspalten der Zeitungen - immer wieder auf Kritik stößt. Dass sich Israel gegen Teherans Aggression rüstet, wird dabei kaum bemängelt. Gegenstand der Kritik ist eher Israels Besatzungsregime und Landnahme in den Palästinensergebieten." Doch darüber verliere Grass in seinem Werk kein Wort. Wichtiger als der Nahostkonflikt sei ihm offenbar das Podest des Tabubrechers. "Das aber erweist sich bei näherem Hinsehen als ziemlich brüchig."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Christian Rothenberg