Gewalt in Kairo geht weiter Mursi drückt Verfassung durch
07.12.2012, 01:24 Uhr
Mursi-Gegner rangeln mit Angehörigen der Republikanischen Garden.
(Foto: REUTERS)
Mit Spannung wird eine Fernsehansprache von Ägyptens Präsident Mursi erwartet. Lenkt der Islamist ein, um die blutigen Krawalle zu beenden? Er tut es nicht, Mursi will den umstrittenen Verfassungsentwurf auf jeden Fall zur Abstimmung stellen. Nach der TV-Ansprache brennt der Kairoer Sitz der Muslimbrüder.
Die brutalen Straßenkämpfe zwischen Islamisten und Oppositionellen haben Ägyptens Präsident Mohammed Mursi nicht zum Einlenken bewegt. Am Donnerstagabend ging er in seiner ersten Fernsehansprache seit Beginn der blutigen Ausschreitungen in Kairo mit keiner Silbe auf die Forderungen der Opposition ein.
Die Schuld an der Gewalt gab Mursi seinen politischen Gegnern. In der Nacht zuvor waren nach Informationen des Senders Al-Dschasira vom Donnerstagabend bei den Straßenkämpfen in Kairo und Suez insgesamt sieben Menschen getötet und 771 verletzt worden. Die Polizei nahm 150 Personen fest.
Mursi, der im Juni als Kandidat der islamistischen Muslimbrüder zum Präsidenten gewählt worden war, bot den Oppositionellen ein Treffen am kommenden Samstag an. Beobachter vermuten jedoch, dass die Führung des liberalen Oppositionsbündnisses um Mohammed ElBaradei und Amre Mussa dieses Angebot nicht annehmen wird, da Mursi ihre Forderungen nicht erfüllen will. "Wir erleben die Bewährungsprobe der Revolution", sagt der Politologe Stephan Stetter n-tv.de. "Wenn Mursi hart bleibt, kommt es zur Konfrontation."
Abstimmung findet am 15. Dezember statt
Die liberalen und linken Parteien verlangen eine Überarbeitung des von den Islamisten formulierten Entwurfs für eine neue Verfassung. Außerdem bestehen sie auf einer Verschiebung der Volksabstimmung über die Verfassung, die für den 15. Dezember geplant ist. Mursi lehnt das ab. Die Volksabstimmung finde wie geplant statt und die Bürger müssten sich nach dem Ausgang richten. Der Verfassungsentwurf ist umstritten, weil er der Scharia und den islamischen Rechtsgelehrten ein noch stärkeres Gewicht bei der Gesetzgebung verleiht als bisher.
Von der Opposition wurde Mursis Rede mit Entsetzen und Spott aufgenommen. Der Schriftsteller Alaa al-Aswani sagte im Gespräch mit einem ägyptischen Fernsehsender, Mursis Ansprache habe ihn stark an die Reden des gestürzten Langzeit-Machthabers Husni Mubarak erinnert.
Demonstranten zünden Zentrale der Muslimbrüder an
Nach Mursis Ansprache zogen etwa 200 aufgebrachte Demonstranten vor den Kairoer Sitz der Muslimbrüder, aus denen auch Mursi hervorging. Einige von ihnen hätten das Gebäude in Brand gesetzt, sagte Muslimbrüder-Sprecher Mahmud Ghoslan. Auch in der südlichen Provinzstadt Assiut gingen nach Berichten lokaler Medien Tausende Anhänger der Opposition auf die Straße.
Am Nachmittag hatte die Republikanische Garde vor dem Präsidentenpalast einen Schutzwall errichtet und die Demonstranten aufgefordert sich zurückzuziehen. Die Anhänger der Muslimbruderschaft hielten sich daran und zogen ab. Einige Mursi-Gegner demonstrierten aber weiter.
Heftigste Ausschreitungen seit Mursis Amtsantritt
Mursis Rede war den ganzen Tag über mit Spannung nahezu stündlich erwartet worden. Zuletzt hatte der Nachrichtensender Al-Arabija gemeldet, der Präsident wolle in der Nacht eine "wichtige Entscheidung" bekanntgeben.
Die Krawalle vor seinem Regierungssitz hatten am Mittwoch begannen, als Muslimbrüder Zelte zerstörten, die Aktivisten aus Protest gegen die Machtpolitik der Islamisten vor dem Präsidentenpalast aufgebaut hatten. Die Zusammenstöße zwischen den Oppositionellen und Anhängern der regierenden Islamisten-Parteien waren die heftigsten Ausschreitungen seit Mursis Amtsantritt.
Entzündet hatte sich der Streit an einem Dekret Mursis, mit dem dieser seine Machtbefugnisse für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer neuen Verfassung auf Kosten der Justiz ausgeweitet hatte. Auch daran hielt Mursi in seiner Rede fest. Lediglich zum Verzicht auf Artikel VI der Erklärung sei er bereit. Dieser hätte es ihm erlaubt, ohne Rücksprache "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Revolution, die Einheit und die nationale Sicherheit zu wahren".
Die Kairoer Tageszeitung "Al-Shorouk" berichtete auf ihrer Webseite, ein weiterer Berater des Präsidenten habe aus Protest gegen die Gewalt auf den Straßen seinen Rücktritt erklärt. Mohammed Esmat Seif al-Daula ist damit der siebte Berater von Mursi, der sein Amt niederlegt.
Quelle: ntv.de, hvo/che/dpa/AFP