Aufständische in Libyen kontrollieren Ölhäfen NATO übernimmt Einsatz-Kommando
27.03.2011, 21:44 Uhr
Französische Mirage sind an dem Einsatz über Libyen beteiligt.
(Foto: dpa)
Die NATO übernimmt die Führung sämtlicher internationaler Militäreinsätze in Libyen. Das beschließen die Botschafter der 28 Bündnisstaaten in Brüssel. Somit wird die NATO über die Kontrolle der Flugverbotszone und eine Seeblockade hinausgehend auch die Einsätze zum Schutz der Zivilbevölkerung leiten wird. In Libyen sind die Rebellen auf dem Vormarsch und kontrollieren die Ölhäfen im Osten des Landes.
Die NATO hat sich auf die vollständige Leitung des Militäreinsatzes in Libyen geeinigt. Die Botschafter der 28 Bündnisstaaten stimmten in Brüssel einem Operationsplan zu, wonach die NATO künftig auch die Einsätze zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung leiten wird. Diese Einsätze, bei denen das Mandat des UN-Sicherheitsrates "alle notwendigen Maßnahmen" erlaubt, wurden bisher von einer "Koalition" aus elf Staaten geflogen, die von den USA, Großbritannien und Frankreich angeführt wird.
Damit übernimmt die NATO auch die Führung über die Luftangriffe auf Bodentruppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi. In der Nacht zum Freitag hatte die NATO bereits beschlossen, die Durchsetzung der Flugverbotszone über Libyen zu kontrollieren. Zuvor war schon eine Seeblockade zur Verhinderung von Waffenlieferungen vereinbart worden.
Die Aufständischen in Libyen haben unterdessen nach eigenen Angaben den Heimatort des libyschen Machthabers Muammar Gaddafi eingenommen. Sirte sei in der Hand der Rebellen, sagte ein Sprecher. Eine unabhängige Bestätigung dafür lag zunächst nicht vor.
Französische Jets zerstören Panzer und Depot
Französische Kampfjets haben am Sonntag nahe der umkämpften libyschen Stadt Misurata sowie östlich der Hauptstadt Tripolis Panzer und ein größeres Munitionsdepot zerstört. Nach Angaben des Generalstabs in Paris verstärkte Allianzpartner Katar mit dem Eintreffen von vier weiteren Kampfflugzeugen des Typs Mirage 2000-5 auf der griechischen Insel Kreta sein Kontingent auf sechs Militärjets.
Erst am Samstag hatten französische Kampfjets die Zerstörung von mehreren einstrahligen Flugzeugen sowie zwei schweren Kampfhubschraubern bekanntgegeben.
Rebellen sind auf dem Vormarsch nach Westen
Die Milizen der libyschen Regimegegner haben bei ihrem Vormarsch nach Westen den Ort Bin Dschawwad erreicht. Wie schon Stunden zuvor in Brega und Ras Lanuf trafen sie auf keinen Widerstand der Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi, berichtete ein Korrespondent des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira aus Bin Dschawwad. "Die Gaddafi-Truppen zogen sich zurück oder ergaben sich, es gab keine Schlacht", sagte er.
Die Aufständischen hatten erst am Samstag die Stadt Adschdabija, 160 Kilometer südlich von Bengasi, eingenommen. Am Sonntag legten sie eine Strecke von 250 Kilometern zurück, ohne in Kampfhandlungen verwickelt worden zu sein. Damit kontrollieren sie nun alle Ölhäfen im Osten Libyens - Tobruk, Adschdabija, Suweitina, Brega, Ras Lanuf, und Al-Sidra.
Der britische Verteidigungsminister Liam Fox hatte zuvor gesagt, wenn die Aufständischen sich weiter entlang der Küste bewegten, hieße das, dass sie die libyschen Ölexporte in ihrer Kontrolle hätten. Dadurch könnte das Gleichgewicht in Libyen neu verteilt werden.
Aufständische wollen Ölexport wieder aufnehmen
Aus den von libyschen Aufständischen kontrollierten Ölfeldern werden nach Angaben der Rebellen täglich zwischen 100.000 und 130.000 Barrel Öl gefördert. Innerhalb der kommenden sieben Tage solle der Export wiederaufgenommen werden, sagte der für Wirtschaftsfragen zuständige Sprecher der Aufständischen, Ali Tarhoni, in der Rebellenhochburg Bengasi. Zudem sei eine Ausweitung der Förderung auf bis zu 300.000 Barrel pro Tag "leicht" möglich, fügte er hinzu.
Nach Tarhonis Angaben schlossen die Aufständischen eine Vereinbarung mit Katar, das den Vertrieb des Öls vorerst übernehmen solle. Ein Vertreter der Ölgesellschaft des Emirats lehnte eine Stellungnahme zunächst ab und kündigte für Montag eine schriftliche Erklärung des Unternehmens an.
Luftangriffe helfen
Den Bodengewinnen der Regimegegner waren in der Nacht zum Samstag massive Luftangriffe der westlichen Militärallianz auf die Gaddafi-Truppen bei Adschdabija vorausgegangen. Seitdem befinden diese sich auf einem eiligen Rückzug in Richtung Sirte, der 560 Kilometer westlich von Bengasi gelegenen Geburtsstadt und Hochburg Gaddafis. Die Rebellen wollen nun nach eigenem Bekunden dorthin vormarschieren.
Bislang ist unklar, wo die Gaddafi-Truppen ihre nächste Verteidigungslinie errichten wollen. Hinter Sirte folgt als nächste größere Stadt Misrata. Die Stadt wird seit Tagen von Gaddafi-Truppen bombardiert. Kampfjets der Koalition griffen derweil den Stützpunkt der Regierungsarmee in Misrata an. Berichten zufolge wurde der Beschuss der Stadt am Samstagabend eingestellt.
Bin Dschawwad war der am westlichsten gelegene Ort, den die aus Bengasi kommenden Anti-Gaddafi-Milizen unter ihre Kontrolle zu bringen vermochten. Die Gaddafi-Truppen hatten sie vor zweieinhalb Wochen von dort verdrängt.
Türkei will vermitteln
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte der britischen Zeitung "The Guardian", Ankara sei bereit, eine baldige Waffenruhe in Libyen zu vermitteln. Erdogan warnte davor, dass ein langwieriger Konflikte das Land in einen "zweiten Irak" oder "ein weiteres Afghanistan" verwandeln könnte. Dies könnte verheerende Auswirkungen auf Libyen und die Nato-Länder haben, die die Militärintervention anführten. Erdogan sagte, dass Gespräche mit der Regierung des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi und mit dem Nationalen Übergangsrat der Aufständischen weiter liefen.
"Italien hat einen Plan: Gaddafi ins Exil"
Als Ausweg aus der Libyen-Krise brachte Italiens Außenminister Franco Frattini ein Exil für Gaddafi ins Gespräch. Ganz Europa und die Vereinten Nationen hätten klargemacht, dass Gaddafi kein akzeptabler Gesprächspartner mehr sei und daher sei eine "Lösung, bei der er an der Macht bleibt" nicht denkbar, sagte Frattini der Zeitung "La Repubblica". Auch in Gaddafis Umfeld werde eine Exil-Lösung diskutiert. Italien habe einen Plan und werde "sehen, ob daraus ein deutsch-italienischer Vorschlag" werden könne, sagte Frattini weiter.
Frattini will den Plan am Dienstag in London vorstellen, wenn sich die Außenminister der an der internationalen Militärkoalition gegen Gaddafi beteiligten Länder sowie andere Staaten der Region treffen. Der Plan sieht demnach einen von den UN überwachten Waffenstillstand sowie umfangreiche Kontakte mit den wichtigsten Stämmen des Landes und einen "ständigen humanitären Korridor" vor, an dem Italien bereits mit der Türkei arbeite.
"Viele Tote durch Luftangriffe"
Durch die Luftangriffe der internationalen Militärkoalition in Libyen wurden nach Angaben des libyschen Regimes in der Nacht zu Sonntag zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet. "Heute Nacht gehen die Luftangriffe gegen unser Volk mit voller Wucht weiter", hatte Regierungssprecher Mussa Ibrahim am Samstagabend gesagt. Die Angriffe zwischen den Städten Sirte und Adschdabija hätten "stundenlang ohne Unterbrechung" angedauert. Die Regierung gehe davon aus, dass durch die Angriffe viele Zivilisten, darunter Familien, die mit ihren Autos vor den Luftangriffen geflohen seien, getötet wurden.
Ibrahim forderte erneut eine Waffenruhe und eine Notfallsitzung des UN-Sicherheitsrates. Die Regierungstruppen hätten bereits vor einigen Tagen ihre Offensive gegen die Rebellen gestoppt, dagegen hätten die alliierten Luftangriffe zugenommen, sagte Ibrahim.
"Regime legt Leichen an Angriffspunkte"
US-Verteidigungsminister Robert Gates warf der Gaddafi-Regierung vor, nur so zu tun, als würden Zivilisten durch die Angriffe der Militärkoalition getötet. Es würden Erkenntnisse von Geheimdiensten vorliegen, dass Gaddafi die Leichen der von ihm getöteten Menschen an den Orten abgelegt habe, die zuvor von den alliierten Truppen angegriffen worden seien, sagte Gates dem Sender CBS News.
Nicht nur die US-Piloten, sondern auch die Piloten der anderen am Militäreinsatz beteiligten internationalen Truppen seien "extrem vorsichtig" gewesen und hätten "außerordentliche Arbeit" geleistet, sagte Gates.
Quelle: ntv.de, hdr/hvo/rts/AFP/dpa