"Seid ihr noch am Leben?" Natalia Klitschko bangt jeden Morgen neu
05.03.2022, 15:44 Uhr
Natalia Klitschko bei einer Demonstration in Hamburg.
(Foto: picture alliance/dpa)
Vitali Klitschko harrt weiter in Kiew aus. Die Stadt wird beschossen, der Bürgermeister ist ein prominentes Ziel russischer Mordpläne. 1600 Kilometer entfernt wartet die Frau des ehemaligen Box-Champions jeden Morgen aufs neue auf ein frisches Lebenszeichen.
Natalia Klitschko ist dieser Tage in Hamburg - in Sicherheit. Ihr Mann Vitali Klitschko ist der Bürgermeister von Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Stadt und Land stehen unter russischem Beschuss, Klitschko soll als einer der prominentesten Köpfe der ukrainischen Politik eines der wichtigsten Ziele von Russlands Präsident Wladimir Putin sein. Und Klitschko, der einer der schärfsten und international am lautesten gehörten Kritiker Putins ist, harrt weiter in Kiew aus. "Mein Tag fängt an, dass ich jedem, den ich liebe und den ich kenne, schreibe und ganz froh bin, Antworten zu bekommen und weiß: Ja, sie sind am Leben", berichtete Natalia Klitschko in der ARD-Sendung "Wir helfen - Gemeinsam für die Ukraine". Jeden Morgen bekomme sie die Antwort von Vitali, dass es ihm gut gehe.
Seit 1996 sind die Sängerin Natalia und der ehemalige Box-Champion Vitali Klitschko verheiratet, gemeinsam haben sie drei Söhne zwischen 17 und 21 Jahren. Natalia Klitschko erlebte den Aufstieg ihres Mannes zum ersten Schwergewichtsweltmeister aus einem Land der ehemaligen Sowjetunion und später zu einem Superstar der Boxwelt. Sie erlebte, wie Klitschko, Sohn eines sowjetischen Offiziers, in der Politik Karriere machte und nach den Wirren, der umstürzlerischen Kraft und der Gewalt des Euromaidans 2014 Bürgermeister von Kiew wurde. Nun ist ihr Mann rund 1600 Kilometer entfernt im Krieg. "Meine ganze Familie ist im Epizentrum – sie sind entweder in Kiew oder in der Nähe. Meine Freunde, meine Verwandten, meine Bekannten", berichtete sie sichtlich bewegt.
Noch gibt es kein Anzeichen, dass internationale Proteste für eine Entspannung der Lage sorgen könnten. Vitali Klitschko sprach in einem am Donnerstag aufgezeichneten und am Freitag gesendeten Interview des ARD-"Morgenmagazin" vom "Horror", der in der Stadt herrsche. "Wir müssen heute Heizung, Elektrizität und Wasser bekommen, wir müssen uns um die Menschen kümmern." Gleichzeitig schlügen überall Raketen ein. "Es ist ein Horror. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas in meiner Stadt passieren könnte. Manchmal wache ich auf und denke, es ist ein Traum. Aber es ist leider Realität." Es gebe Anschläge und russische Scharfschützen in der Stadt. "Bleiben Sie bitte mit uns, weil wir kämpfen auch für deutsche Werte."
Sein Bruder Wladimir, der ebenfalls in Kiew ist und sich in der Regel gemeinsam mit dem Bürgermeister an die Welt wendet, berichtete von Geschossen am Tage, in der Nacht aber werde es richtig schlimm: "Der Krieg herrscht meistens in der Nacht."
"Wie ist die Lage? Ist Kiew noch da?"
"Jeden Morgen frage ich Vitali: Wie ist die Lage? Ist Kiew noch da?", berichtet sie. "Und er schreibt: Ja, wir kämpfen weiter, ich bin am Leben." Natalia Klitschko hilft mit, die Realität des Krieges nach Deutschland zu tragen, zumindest medial. "Dieser Krieg ist nicht nur eine Gefahr für die Ukraine", sagte sie in der "NDR Talk Show", "er ist eine Gefahr für die ganze Welt". Bei ihrem emotionalen Auftritt dankte sie den Deutschen für ihre Hilfsbereitschaft für die vielen Geflüchteten aus der Heimat. Alleine am Freitag waren mehr als 11.000 Menschen aus der Ukraine in Berlin angekommen. Linken-Politikerin Katja Kipping hatte verkündet, die Situation werde sich zur größten Fluchtbewegung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickeln. Weltweit waren nach Schätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR bis Freitag mehr als 1,25 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, die meisten davon nach Polen.
Natalia Klitschko zeigte sich auch beeindruckt, wie viele Menschen in Deutschland für Frieden in der Ukraine einstehen. Auch sie selbst habe am Donnerstag in Hamburg demonstriert. Auch in Russland sollten die Frauen auf die Straßen gehen: Nicht für uns, für die Ukraine, aber um ihre Söhne zu schützen." Vor Kurzem hatte sie bereits auf Instagram geschrieben: "Es ist Zeit für die Frauen, zusammenzustehen und so laut wir können zu rufen: Wir wollen keinen Krieg! Wir wollen nicht den Tod unserer Kinder, Ehemänner, Brüder und Väter!"
Putin, der "Psychopath"
Auch ihre Mutter befinde sich derzeit in der Nähe von Kiew. "Sie schläft seit dieser Woche im Luftschutzbunker. Sie geht dann kurz raus, um mit mir zu telefonieren. Und um mir zu sagen: Tochter, alles in Ordnung. Wir kämpfen weiter, wir sind am Leben." Ihre Mutter versuche, die Mitmenschen und vor allem Kinder im Bunker weiter in guter Stimmung zu halten und ihnen die Angst zu nehmen. Auch die Kämpfer unterstütze sie. "Sie kocht dann etwas und bringt es den Soldaten."
2016 war Natalia Klitschko mit einem Album auf Tour gegangen, auf dem sie Lieder auf Russisch und auf Ukrainisch versammelte. Die "Welt" hatte sie damals gefragt, ob sie Wladimir Putin jemals getroffen habe. "Nein", sagte Klitschko, aber sie wisse, was sie ihm dann sagen würde: "Ich würde ihm sagen, dass es auf diesem Planeten nicht nur Russland und die Ukraine gibt, sondern dass wir alle gemeinsam auf einer ziemlich fragilen kleinen Kugel leben."
Heute nennt sie den russischen Präsidenten einen "Psychopathen", der "auf den Knopf drücken" könnte: "Dann wird die Erde nicht mehr existieren." Ihr Mann, der Bürgermeister, sei trotz der Bombardements weiter guter Dinge, berichtete sie im NDR. Und: "Ich glaube an mein Volk. Unsere Männer sind Krieger. Die russische Armee sind Terroristen." Er selbst werde in jedem Fall in Kiew bleiben, erklärte Vitali Klitschko jüngst. Man werde nicht aufgeben, "es gibt auch keinen Ort, an den wir uns zurückziehen können". Er habe geschworen, sein Land zu beschützen. "Wenn ich sterben muss, dann sterbe ich", erklärte er. "Die Russen", gab sich der Bürgermeister kämpferisch, "haben keine Chance. Sie haben keine Chance, weil niemand sie unterstützt."
Quelle: ntv.de, ter