Politik

Der Aussitzer Noch bleibt Koch

von Peter Poprawa

Die Hessen haben gewählt und ihren Regierungsvertretern den größten anzunehmenden Unfall beschert. Am Tag danach steht lediglich fest, dass die klassischen Konstellationen aus Schwarz-Gelb und Rot-Grün jeweils keine Mehrheiten haben werden. Voreilige Koalitionsaussagen der Akteure haben Dreierbündnisse ebenfalls schwer gemacht – vor allem die Liberalen müssten hier über ihren Schatten springen, um eine Ampelkoalition zu ermöglichen. Ausgeschlossen dürfte hingegen sein, dass die Grünen in Hessen ein Bündnis mit der Union eingehen. Dafür liegen die jeweiligen Interessen viel zu weit auseinander. Um aus diesem Kuddelmuddel eine stabile Regierung in Wiesbaden zu erreichen, bedarf es viel Zeit, vieler guter Worte und vor allem eines bedingungslosen Willens zur Einigung. Aber gerade beim Willen zeigen die Parteien zur Stunde noch relativ wenig Bewegungsfreude.

Koch hat sich verzockt

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Theo Schiller hat der hessische Ministerpräsident eine deutliche Quittung für seinen polarisierenden Wahlkampf bekommen. "Wenn Koch das Thema Jugendstrafrecht und Jugendgewalt nicht gebracht hätte, wäre die Wahl vielleicht anders ausgefallen", sagte der emeritierte Professor der Universität Marburg. Das Ergebnis für die CDU sei "katastrophal". Aber auch Koch selbst lässt seine politische Zukunft weiter offen. Die Entscheidung über den Regierungschef fälle der Landtag, sagte der Christdemokrat. Und so lange werde er selbstverständlich die Amtsgeschäfte in Wiesbaden weiter führen. CDU und SPD lägen mit ihren politischen Vorstellungen in Hessen derzeit zu weit auseinander, fügte Koch hinzu. "Eine große Koalition ist mit diesen Programmen fast nicht vorstellbar." Aber eben nur fast.

Koch in die Wüste

Eine Regierung in Hessen wird es aber nur geben, wenn eine Partei deutlich nachgibt. Um Gesichtsverluste kommt man dabei nicht herum. Will die CDU weiter regieren, geht das nur mit der SPD. Dafür müsste sie aber Koch in die Wüste schicken, oder in die Wirtschaft. Doch das dürfte mit Koch schwer zu machen sein. Koch ist ein Aussitzer. Zudem kann er ja noch den Wahlsieg für sich in Anspruch nehmen. Geht es nach Koch, wird er noch lange an der Spitze der hessischen CDU verweilen. Er werde sich aber selbstverständlich nicht einem Votum gegen ihn verweigern, wenn dies denn falle, sagte Koch in Berlin. Die dramatischen Verluste für die CDU werden in wenigen Tagen Geschichte sein. Für Koch sind sie es heute schon, denn er sieht sich weiter als Wahlgewinner. Moral spiele dabei keine Rolle, dies sehe die Demokratie nicht vor, so Koch.

Aber auch die Sozialdemokraten könnten sich im Gegenzug auf einen Deal einlassen und auf Andrea Ypsilanti verzichten. Obgleich man diesen Gedanken getrost wieder verwerfen kann, denn Ypsilanti hat schließlich den Erfolg für die SPD eingefahren und Koch die herbe Niederlage beschert. Die Genossen werden nicht auf sie verzichten oder gar in Berlin verschleißen wollen. Sie erhoffen sich von ihrem Erfolg eine bundesweite Erfolgswelle; demnächst schon in Hamburg.

Das "Stalking der Genossen"

Bleiben also doch nur wieder Dreierbündnisse unter Gesichtsverlust. Für eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen müssten die Liberalen in Hessen ihrem Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle in den Rücken fallen. Er war es, der von "Stalking der Genossen" sprach. Westerwelle ackert wie wild daran, seiner Spaßpartei wieder ein bürgerlich-seriöses Image zu verpassen. Würden die Wiesbadener Liberalen jetzt in eine Koalition mit SPD und Grünen eintreten, käme Westerwelle in arge Erklärungsnot.

Zu den bisherigen Absagen der Freien Demokraten an ein solches Bündnis sagte SPD-Fraktionschef Peter Struck: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die FDP auf Dauer verweigern wird, denn es geht ja darum, dass das Land regierungsfähig wird." Das sieht die FDP allerdings ganz anders: Obgleich sich Parteivize Cornelia Pieper und das Berliner Vorstandsmitglied Markus Löning nach den Stimmenverlusten der CDU in Hessen und Niedersachsen gegen vorzeitige Koalitionsfestlegungen ausgesprochen hatten, wurden sie nur wenige Stunden später vom Bundesvorstand zurückgepfiffen. Die FDP-Führung warnte in Berlin vor abweichenden Äußerungen von dieser Linie, die das Bild der Geschlossenheit gefährdeten.

Rot-rotes Gespenst

Die Wahlen haben nicht nur eine unangenehme Pattsituation zwischen den beiden großen Volksparteien gebracht, sondern auch den Einzug der Linkspartei. Auch in Niedersachsen, wo die CDU zusammen mit der FDP weiterregieren kann, hat sie sich festgesetzt. Somit hat nun auch im Westen Deutschlands das Fünfparteien-Muster Fuß gefasst, welches nicht gerade als Stärkung des parlamentarischen Systems gilt. Für Hessen scheint ein rot-rot-grünes Bündnis aber eher unwahrscheinlich, da Ypsilanti noch am Wahlabend ein Zusammengehen mit den Linken ausschloss. Dies hatte sie bereits im Wahlkampf ihren potentiellen Wählern gebetsmühlenartig versichern müssen. Auch würde sie damit der Bundes-SPD keinen Gefallen tun. Parteichef Kurt Beck, der in Rot-Rot ein rotes Tuch sieht, könnte einpacken.

Unterm Strich darf man also getrost sagen, dass in diesem Machtpoker wirklich niemand gute Karten hat. Der eine und/oder die andere wird wohl die politische Bühne in Hessen verlassen müssen. Indes richtet sich die Hessen-FDP bereits auf Neuwahlen 2009 ein. "Bis dahin wird wohl Koch Ministerpräsident bleiben", meint Landeschef Jörg-Uwe Hahn.

Das Procedere

Nach der hessischen Verfassung kann der Landtag einen neuen Ministerpräsidenten nur mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder wählen. Er muss also die Stimmen von 56 der 110 Abgeordneten auf sich vereinen. Selbst im zweiten Wahlgang würde keine einfache Mehrheit genügen. Diese magischen 56 Stimmen kommen aber nur zusammen, wenn sich CDU und SPD einigen oder SPD, Grüne und Linke oder SPD, Grüne und FDP oder aber CDU, FDP und Grüne. Da es dafür bislang am politischen Willen fehlt, darf Amtsinhaber Koch geschäftsführend im Amt bleiben.

Zwar müssten Ministerpräsident und Landesregierung zurücktreten, sobald ein neugewählter Landtag erstmalig zusammentritt. Aber sie brauchen Nachfolger im Amt, eine neue Landesregierung muss also erst einmal zustande kommen - und das kann unter Umständen Jahre dauern. Und so lange gilt: "Es lebe der König!", oder "der geschäftsführende Ministerpräsident führt die Geschäfte weiter".

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen