USA verfügen über "klare und schlüssige" Beweise Obama: Noch keine Syrien-Entscheidung getroffen
30.08.2013, 21:58 Uhr
Obama: "Eine Menge Leute denken, dass etwas getan werden sollte, aber niemand will es tun."
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Die US-Regierung erwägt einen Militärschlag gegen Syrien. Die Streitkräfte des Assad-Regime sollen dort mit einem Giftgasangriff in der vergangenen Woche mindestens 1429 Menschen getötet haben. Die USA stützen sich dabei auf einen Geheimdienstbericht. Für die Verantwortung Assads gebe es "klare und schlüssige" Beweise. US-Präsident Obama lässt offen, wann der "begrenzte Militärschlag" erfolgt.
US-Präsident Barack Obama hat noch keine Entscheidung über eine Militärintervention gegen das syrische Regime getroffen. Er erwäge aber einen "begrenzten" und "eingeschränkten" Einsatz, sagte er am Abend im Weißen Haus in Washington. Was auch immer die USA unternähmen, sei keine "große Operation". "Ein unbefristetes Engagement ziehen wir nicht in Erwägung", betonte Obama. Es würden auch keine Bodentruppen eingesetzt.
Eine US-Antwort auf die Geschehnisse in Damaskus solle sicherstellen, dass Syrien und die Welt verstehe, dass die Nutzung von Chemiewaffen nicht zugelassen werde. Zudem bestehe das Risiko, dass solche Waffen auch in die Hände von Terroristen fielen und später einmal "gegen uns" verwendet würden, sagte Obama. Zuvor hatten hochrangige Regierungsvertreter vor Journalisten gesagt, dass eine "begrenzte militärische Antwort" zur Diskussion stehe, die auf das Problem chemischer Waffen in Syrien "zugeschnitten und fokussiert sei".
Kerry stützte sich bei seinen Angaben auf einen Geheimdienstbericht zu dem Chemiewaffenangriff.
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Zuvor hatte US-Außenminister John Kerry aus einem Geheimdienstbericht zitiert, wonach die USA "klare und schlüssige" Beweise hätten, dass das Regime von Präsident Baschar al-Assad am 21. August chemische Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Dabei seien 1429 Menschen getötet worden, darunter 426 Kinder.
Die US-Geheimdienste hätten alle Fakten ausführlich überprüft und seien sich sicher, was exakt passiert sei. Die Ergebnisse der Untersuchung der Vereinten Nationen würden keine zusätzlich nötigen Beweise mehr erbringen.
UN-Ergebnisse ohne weitere Erkenntnis
Kerry sagte, er stimme nicht mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon darin überein, dass noch immer weitere Beweise gesucht werden müssten. Die USA hätten Dokumente mit erdrückender Beweiskraft, die eine militärische Reaktion auf den Chemiewaffeneinsatz des Assad-Regimes legitimieren würden. Auch Kerry deutete an, dass die USA derzeit einen zeitlich limitierten Einsatz von Raketen auf militärische Ziele in Syrien planten. Dies sei auch ohne den Segen der Vereinten Nationen möglich.
Das Weiße Haus hatte einen Bericht zu den Geschehnissen veröffentlicht. Darin heißt es: "Die US-Regierung stellt fest, dass die syrische Regierung mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Giftgasangriff in den Vororten von Damaskus ausgeführt hat", heißt es darin. Es sei "äußerst unwahrscheinlich", dass die Opposition für die Angriffe verantwortlich sei.
Assads Chemiewaffen-Personal habe drei Tage vor dem Angriff in der betroffenen Region Vorbereitungen getroffen. Kerry ergänzte: "Wir wissen, von wo und wann die Raketen abgeschossen wurden und wo sie landeten." Sie seien aus einem Gebiet gekommen, das nur vom Regime kontrolliert worden sei. Die US-Geheimdienste hätten alle Fakten ausführlich überprüft und seien sich sicher, was exakt passiert sei.
Entscheidungen werden "anhand eigener Werte" getroffen
Kerry sagte in seiner hochemotionalen Rede, dass die US-Regierung wegen der "garantierten russischen Blockadepolitik" im UN-Sicherheitsrat weiter mit ihren Verbündeten und dem Kongress über das Vorgehen in Syrien beraten werde. "Wir werden unsere eigenen Entscheidungen zu den von uns gewählten Zeiten anhand unserer eigenen Werte treffen", stellte Kerry klar.
Ein möglicher Militärschlag würde keine Bodentruppen und kein längerfristiges Engagement in dem Bürgerkriegsland bedeuten. Er hätte auch keine Ähnlichkeit mit den Missionen in Libyen, im Irak oder Afghanistan.
"Wir müssen uns fragen: Was ist das Risiko, nichts zu unternehmen?", sagte Kerry. Die Reaktion in Washington habe auch Folgen für die Glaubwürdigkeit der USA und ihre Führungsrolle in der Welt.
Inspekteure verlassen Syrien
Der Angriff wird möglicherweise erst dann erfolgen, wenn die UN-Experten das Land verlassen haben.
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Am Nachmittag hatten die UN-Inspekteure die Suche nach Beweisen für einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien beendet. "Das Team hat die Sammlung von Proben und Beweisen abgeschlossen", sagte UN-Sprecher Martin Nesirky in New York. Die Experten würden am Samstag aus Syrien zurückkehren und "rasch" einen Bericht über den mutmaßlichen Giftgasangriff bei Damaskus vorlegen. In anderen Quellen heißt es, die Inspekteure würden am Samstag in den USA zurück erwartet. Damit ist noch immer unklar, wann genau die UN-Experten ausreisen werden.
Die UN-Abrüstungsbeauftragte Angela Kane habe Syrien bereits verlassen und sei auf dem Weg nach Istanbul, verlautete aus Sicherheitskreisen in Beirut. Kane hatte am vergangenen Sonntag die Zustimmung von Damaskus erhalten, dass die UN-Fachleute, die schon im Land waren, die jüngsten Vorwürfe vor Ort überprüfen durften.
UN setzen auf Zeit und weitere Untersuchungen
Nach UN-Angaben ist noch unklar, wann ein Untersuchungsbericht veröffentlicht werden kann. "Es gibt da keinen Zeitplan", sagte ein Sprecher in New York. "Es gibt technische Beschränkungen, wie schnell die Proben in den Laboren untersucht werden können." Alle gesammelten Informationen und Proben müssten zunächst vollständig analysiert werden, bevor ein Bericht an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon übergeben werden könne. Nach derzeitiger Planung sollen die Chemiewaffen-Inspekteure zu einem späteren Zeitpunkt nach Syrien zurückkehren, um mit der Untersuchungen anderer Vorfälle weiterzumachen.
Nach dem britischen Nein zur Beteiligung an einem Militärschlag gegen Syrien hatten sich die Augen auf US-Präsident Barack Obama gerichtet. Mit Spannung war erwartet worden, ob er notfalls einen Alleingang in Kauf nimmt, um Machthaber Assad wegen des vermuteten Einsatzes von Giftgas in die Schranken zu weisen. Nach dem Worten seines Außenministers Kerry, könnte ein solcher Einsatz unmittelbar bevorstehen.
Deutschland wird sich an einem internationalen Militärschlag gegen das Assad-Regime nicht beteiligen. Nach dem Nein des britischen Parlaments schlossen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle einen Einsatz der Bundeswehr erstmals strikt aus.
Bundesregierung sagt Nein
Bundeskanzlerin Angela Merkel wünscht sich weiterhin ein Einlenken Russlands, um im UN-Sicherheitsrat zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen. "Wir hoffen, der Sicherheitsrat wird eine einstimmige Haltung entwickeln", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Mit Blick auf Moskau und Peking, die ein härteres Vorgehen blockieren, sagte er: "Wir hoffen, dass niemand im UN-Sicherheitsrat seine Augen verschließt vor einem solchen Verbrechen."
Mit seiner Festlegung, dass sich Deutschland selbst an keinem Militäreinsatz beteiligen werde, habe Außenminister Guido Westerwelle "für die gesamte Bundesregierung gesprochen". "Wir ziehen einen Militärschlag nicht in Betracht", sagte Seibert. In der Syrien-Frage gebe es innerhalb der Regierung die "engstmögliche Abstimmung".
Deutsche Öffentlichkeit sagt Ja
Die Position der deutschen Regierung trifft nicht die mehrheitliche Ansicht der Deutschen. 54 Prozent sind aktuell nämlich für ein militärisches Eingreifen in den Bürgerkrieg. 42 Prozent davon finden, es sollte einen Militärschlag gegen die syrische Führung geben, sofern dieser durch ein UN-Mandat gedeckt ist, ergab eine Umfrage für den ARD-"Deutschlandtrend Extra", durchgeführt von "Infratest dimap". Weitere 12 Prozent sind auf jeden Fall für einen solchen Militärschlag, also auch ohne ein UN-Mandat. Zusammen ist das die Mehrheit. 41 Prozent lehnen ein militärisches Eingreifen indes grundsätzlich ab.
Wegen des mutmaßlichen Giftgaseinsatzes hatte die Bundesregierung seit Beginn der Woche immer wieder "Konsequenzen" verlangt. Die Hoffnung in Berlin ruht nun darauf, dass Russland und China ihren Widerstand im UN-Sicherheitsrat aufgeben und doch noch eine diplomatische Lösung möglich wird.
Franzosen stehen an Obamas Seite
Zählen kann Washington wohl weiterhin auf eine Unterstützung Frankreichs. Präsident François Hollande will eine internationale Reaktion gegen Syrien notfalls auch ohne UN-Mandat. "Wenn der Sicherheitsrat nicht in der Lage ist zu handeln, wird sich eine Koalition formieren", sagte Hollande der Tageszeitung "Le Monde". Ein solches Bündnis solle so breit wie möglich sein. Frankreich sei im Rahmen seiner Möglichkeiten bereit.
Auch das Nein des britischen Parlaments zu einer Militärintervention in dem Land ändere nichts an der Position Frankreichs, so Hollande. Am Mittwoch berät das französische Parlament über Syrien, über einen Militäreinsatz entscheidet in Frankreich allerdings allein der Präsident. Frankreich würde im Falle einer Entscheidung für einen Militäreinsatz somit zum wichtigsten Bündnispartner für die USA.
Der britische Premierminister David Cameron zeigte sich nach der Abstimmungsschlappe im Unterhaus enttäuscht. Er werde sich dem Votum des Parlaments beugen, jedoch international weiter für eine "robuste Antwort" auf die - für ihn erwiesene - Anwendung von Chemiewaffen durch das Assad-Regime werben.
Die Niederlage Camerons nach mehr als siebenstündiger Debatte wurde in Großbritannien als Demütigung für den Regierungschef aufgefasst. Viele Abgeordnete hatten die Situation mit der vor dem Irak-Krieg 2003 verglichen. Damals hatte Labour-Premier Tony Blair aufgrund nicht gesicherter US-Geheimdienstinformationen Truppen geschickt.
G20 lassen Syrien außen vor
Die Europäische Union will die Syrienkrise beim G20-Gipfel in der kommenden Woche in St. Petersburg nicht auf die Tagesordnung setzen. Die G20 seien kein Forum für die Außenpolitik, sagte ein EU-Diplomat in Brüssel. "Syrien ist nicht auf der Tagesordnung." Russlands Präsident Wladimir Putin hatte schon vorher erklärt, dass Syrien kein Thema der G20 sein solle.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP