Jesiden weiter eingekesselt Obama spricht von "Langzeitprojekt" im Irak
09.08.2014, 18:48 Uhr
Der Abzug aus dem Irak war Obamas erklärtes Wahlkampfziel. Nun greifen die USA wieder in dem Land ein.
(Foto: REUTERS)
Mit Luftschlägen werden die Islamisten im Irak nicht besiegt. Das weiß auch US-Präsident Obama. Truppen will er aber nicht entsenden. Die Lage der Minderheiten in der Region ist weiter dramatisch: Die Islamisten drohen mit der Exekution Hunderter jesidischer Familien.
Trotz des Eingreifens der US-Luftwaffe rechnet US-Präsident Barack Obama nicht mit einer schnellen Beilegung des Konfliktes im Irak. "Ich glaube nicht, dass wir das Problem innerhalb weniger Wochen lösen können", sagte er in Washington. Der Oberbefehlshaber der US-Armee bezeichnete den Kampf gegen die radikalsunnitischen Milizen als "Langzeitprojekt" und bekräftigte erneut, dass er den Einsatz von US-Bodentruppen im Irak ausschließe.

Vor allem kurdische Peschmerga-Milizen leisten den Islamisten im Nordirak Widerstand.
(Foto: imago/Xinhua)
"Ich werde keinen bestimmten Zeitplan nennen", sagte Obama. Wann immer US-Personal oder US-Einrichtungen bedroht seien, sei es seine Pflicht diese zu schützen. Damit bezog er sich auf US-Militär- und Botschaftsangehörige, die in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Kurdenregion, stationiert sind. Der Vormarsch der Dschihadisten sei "schneller als gedacht" gewesen.
Angesichts des Vormarsches der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Norden des Irak hatte Obama am Donnerstag "gezielte Luftangriffe" angeordnet, um US-Einrichtungen in Erbil zu schützen und einen "möglichen Völkermord" an der religiösen Minderheit der Jesiden zu verhindern. Mit der Entscheidung griff die US-Armee zweieinhalb Jahre nach ihrem Abzug wieder in das Geschehen im Irak ein.
Islamisten drohen mit Exekutionen
IS-Milizen drohten derweil im Nordirak mit der Exekution von mehr als 300 jesidischen Familien. Wie Augenzeugen und ein jesidischer Abgeordneter der Nachrichtenagentur Reuters berichteten, sind die Familien in mehreren Dörfern von den Extremisten umzingelt. Die Extremisten drohen mit der Tötung der Familien, falls diese nicht zum Islam konvertieren. In den vergangenen Wochen haben die IS-Aufständischen bereits zahlreiche Jesiden hingerichtet, die sie als Teufelsanbeter bezeichnen.
Unterdessen bereiteten irakische Streitkräfte und Kurdenmilizen eine gemeinsame Militäroffensive gegen den IS vor. Ein ranghoher Kurdenvertreter kündigte an, nach den US-Luftangriffen würden sich die kurdischen Peschmerga-Milizen zunächst sammeln, dann in zuvor geräumte Gebiete zurückkehren und schließlich den Vertriebenen die Rückkehr in ihre Häuser ermöglichen. Der irakische Armeechef Babaker Sebari erklärte, seine Offiziere würden mit den Peschmerga und US-Experten Ziele für weitere Luftangriffe festlegen.
Bei den bisherigen Luftangriffen seien Ausrüstung und Waffen der Terrormiliz IS erfolgreich zerstört worden, sagte Obama weiter. Zudem hätten die USA und die irakische Regierung ihre militärische Hilfe für die kurdischen Streitkräfte erhöht. Bei den Angriffen kamen neben F18-Jets eines Flugzeugträgers auch Predator-Kampfdrohnen zum Einsatz. Nach kurdischen Angaben kamen bei einem US-Angriff in der Chasir-Region mindestens 20 Dschihadisten ums Leben. Die irakische Luftwaffe tötete nach Angaben aus Sicherheitskreisen bei drei Angriffen 28 IS-Kämpfer.
Nach Angaben kurdischer Behörden wurde die Ölproduktion durch den Vormarsch des IS nicht beeinträchtigt. Sowohl die einheimischen als auch die Exportmärkte würden weiter mit Öl versorgt, erklärte das Ministerium für Rohstoffe in Erbil. Zuvor hatten Ölfirmen wegen der näher rückenden Kämpfe Personal aus dem Kurdengebiet abgezogen und teils den Betrieb eingestellt. Die schlechte Sicherheitslage sorgt an den Börsen für Verunsicherung.
Hunderttausende Menschen auf der Flucht
Dem US-Präsidenten zufolge ist derzeit unklar, wie Tausende in das Sindschar-Gebirge geflüchtete Jesiden dauerhaft in Sicherheit gebracht werden könnten. Die USA prüften mit ihren Verbündeten, wie "sichere Korridore" geschaffen werden könnten. Der britische Regierungschef David Cameron und Frankreichs Präsident François Hollande hätten ihm Unterstützung bei der humanitären Hilfe zugesagt, sagte Obama. Nach US-Angaben haben Flugzeuge bisher mehr als 36.000 Packungen Fertigessen und Behälter mit mehr als 31.000 Liter Wasser für die Flüchtlinge abgeworfen. Auch Australien kündigte an, sich beteiligen zu wollen.
Nach Angaben der Vereinten Nationen sind etwa 380.000 Iraker vor den Angriffen der Islamisten in die kurdische Autonomieregion im Nordirak geflohen. Hinzu kämen rund 230.000 Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg. Die meisten Flüchtlinge stammen aus christlichen und jesidischen Dörfern. Weiterhin seien noch Tausende vornehmlich jesidische Familien im Sindschar-Gebirge eingeschlossen. Die UN-Mission im Irak schätzt ihre Zahl auf 15.000 bis 55.000.
Obama appellierte zugleich an die politischen Vertreter von Schiiten, Sunniten und Kurden in Bagdad, eine Einheitsregierung zu bilden. Nur ein vereinter Irak könne den IS besiegen, sagte er. Kritiker werfen dem schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki vor, die Sunniten im Lande zu benachteiligen und damit dem Aufstand der IS den Boden zu bereiten. Die USA fordern die Bildung einer Regierung, die alle Volksgruppen einbezieht.
In einem Interview der "New York Times" hatte Obama zuvor gesagt, die USA hätten keine Absicht, "die Luftwaffe Iraks zu sein". Die USA seien jedoch offen für die Unterstützung dauerhafter Bemühungen, sunnitische Militante aus dem Irak zu treiben. "Wir werden sie kein Kalifat in Syrien und dem Irak schaffen lassen", sagte Obama. Dabei bekommt er auch innenpolitischen Druck: Mehrere führende Oppositionspolitiker zeigten sich zwar einverstanden mit der Offensive gegen die Dschihadisten, ihnen gehen die Angriffe jedoch nicht weit genug.
Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa/rts