Politik

"Verfallserscheinungen der Koalition" Opposition spottet über Merkel

Und jetzt? Bundeskanzlerin Angela Merkel kämpft mit Gegenwind aus den eigenen Reihen.

Und jetzt? Bundeskanzlerin Angela Merkel kämpft mit Gegenwind aus den eigenen Reihen.

(Foto: dpa)

Die verfehlte Kanzlermehrheit bei der Abstimmung zum zweiten Griechenland-Rettungspaket ist Steilvorlage für die Opposition. "Die Kanzlerschaft erodiert", so die Grünen. Für die Union zählt indes nur die Mehrheit. Der Koalitionspartner FDP schiebt der Union die Schuld zu. "Rettungsschirme wirken wie Brandbeschleuniger", kartet Euro-Skeptiker Schäffler bei n-tv nach.

Nach dem Verfehlen der Kanzlermehrheit bei der Abstimmung des Bundestags über das zweite Griechenland-Hilfspaket sehen SPD und Grüne Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schwer beschädigt. "Merkel hat ihre Regierung nicht mehr im Griff", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Sie verwies auf Äußerungen von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der vor der Abstimmung einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ins Spiel gebracht hatte. "Durch Leute wie Friedrich fühlen sich andere ermuntert. Friedrich macht Merkel die Kanzlermehrheit kaputt. Wenn sie Mumm hätte, würde sie ihn rauswerfen", sagte Nahles.

Die Abweichler bei der Abstimmung

Zur Kanzlermehrheit haben der schwarz-gelben Koalition bei der Abstimmung über das zweite Griechenland-Paket sieben Stimmen gefehlt. Insgesamt lehnten 17 Abgeordnete von CDU/CSU und FDP die Finanzhilfen ab. Drei enthielten sich. Die Gefolgschaft verweigerten Merkel …

… von der CDU: Veronika Bellmann, Wolfgang Bosbach, Thomas Dörflinger, Alexander Funk, Manfred Kolbe, Carsten Linnemann, Christian von Stetten, Klaus-Peter Willsch

…von der CSU: Herbert Frankenhauser, Peter Gauweiler, Paul Lehrieder, Thomas Silberhorn, Stephan Stracke

… von der FDP: Jens Ackermann, Sylvia Canel, Frank Schäffler, Torsten Heiko Staffeldt

Es enthielten sich: Christian Hirte (CDU), Hans-Georg von der Marwitz (CDU), Erwin Lotter (FDP)

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck sagte, Merkel hätte die Kanzlermehrheit auch verfehlt, wenn alle abwesenden Koalitionsabgeordneten sie unterstützt hätten. "Nach den Rüpeleien von FDP-Chef Philipp Rösler, dem offenen Widerspruch von Innenminister Hans-Peter Friedrich steht das Abstimmungsdebakel vom Montag in einer Reihe von Verfallserscheinungen der Koalition. Frau Merkel muss die Frage beantworten, in wessen Namen sie in Brüssel verhandelt."

Kurz nach der Abstimmung hatte Beck vermutet: "Der Koalition geht langsam die Puste aus." Seine Fraktionsvorsitzenden waren da drastischer: "Jetzt ist Kanzlerinnendämmerung", teilten Jürgen Trittin und Renate Künast mit. "Es offenbart die ganze Handlungsunfähigkeit der schwarz-gelben Koalition. Merkels Kanzlerschaft erodiert." Bei der nächsten Abstimmung zur Europapolitik müsse die Kanzlerin die Vertrauensfrage stellen.

Widerspruch von Schwarz-Gelb

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder widersprach. "Auf die Kanzlermehrheit kam es überhaupt nicht an. Wir hatten eine deutliche eigene Mehrheit", sagte er der "Bild"-Zeitung. Kauder betonte, die Koalition habe Handlungsfähigkeit bewiesen. Euro-Skeptiker Frank Schäffler von der FDP bewertet die Meinungsverschiedenheiten als nötig: "Es kann ja nicht sein, dass das Parlament alles abknickt, was die Regierung vorlegt, sondern da muss es einen Diskurs geben über den richtigen Weg", sagte er bei n-tv. Und fügte beschwichtigend hinzu: "Da sollte man keine Regierungskrise daraus machen."

Das zweite Griechenland-Paket

Das neue Hilfsprogramm bis Ende 2014 umfasst bis zu 130 Milliarden Euro, die der Euro-Rettungsschirms EFSF in mehreren Tranchen auszahlen soll. Für wie viel Geld Deutschland garantieren soll, steht noch nicht genau fest.

Hinzu kommen 24,4 Milliarden Euro, die aus dem ersten Hilfsprogramm für Griechenland vom Mai 2010 nicht ausgeschöpft wurden.

Ziel ist es, dass Griechenland mit den Nothilfen und einem scharfen Reform- und Sparprogramm seinen Schuldenstand bis 2020 auf 120,5 Prozent der Wirtschaftsleistung drückt. Derzeit sind es mehr als 160 Prozent.

Auch andere Abweichler der Koalition, die gegen das Griechenland-Paket gestimmt hatten, bestritten, dass dies der Koalition geschadet habe. Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch sagte der "Mitteldeutschen Zeitung": "Für die Kanzlerin ist das nicht schön." Aber: "Das hat keine Auswirkungen."

Ähnlich argumentierte Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Wenn 496 von 591 abstimmenden Abgeordneten dem Kurs der Bundesregierung zustimmten, sei dies ein Hort der Stabilität, erklärte er im Deutschlandfunk. "Alles andere ist oppositionelles Wunschdenken." Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach von einer "Phantomdiskussion". Im "Die Kanzlermehrheit wird in seltenen Fällen rechtlich benötigt", sagte er.

FDP schiebt Schuld auf Union

Der Bundestag hatte das zweite Rettungspaket für Griechenland zwar mit großer Mehrheit gebilligt. Schwarz-Gelb verfehlte aber die politisch-symbolisch wichtige Kanzlermehrheit von 311 Stimmen. Allerdings war die Koalition nicht auf die Opposition angewiesen, um das Hilfspaket durchzubringen, weil sie mit ihren 304 Ja-Stimmen zumindest eine eigene Mehrheit erreichte.

Es war das erste Mal, dass Union und FDP bei einer wichtigen Euro-Entscheidung die Kanzlermehrheit verfehlten. Der designierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring gab der Union die Schuld dafür: "Wir sehen mit Sorge, dass die Zustimmung zum Euro-Kurs der Bundesregierung innerhalb der Unionsfraktion ganz offensichtlich kontinuierlich schwindet", sagte er dem "Tagesspiegel".

Allerdings hatte es in der namentlichen Abstimmung auch 4 Nein-Stimmen und 1 Enthaltung von FDP-Abgeordneten gegeben. In der wesentlich größeren CDU/CSU-Fraktion wurden 13 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen gezählt.

"Die Rettungsschirme wirken wie Brandbeschleuniger", so Schäffler bei n-tv. Das sehe man in Griechenland, aber auch in Portugal und Spanien. "Überall steigen die Probleme an und es wird nichts besser. Deshalb ist es immer blöd, wenn man gutes Geld schlechtem hinterherwirft", sagte der FDP-Abgeordnete.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte: "Der Zerfall der Koalition ist in vollem Gange. Inzwischen ist die Grenze zur Handlungsunfähigkeit erreicht." Nicht einmal das Kabinett folge der Kanzlerin mehr. "Merkels Autorität ist schwer beschädigt."

Silberhorn auf Friedrichs Linie

Der CSU-Europapolitiker Thomas Silberhorn, der gegen das Hilfspaket gestimmt hatte, riet Griechenland, zur Drachme zurückzukehren. "Den Griechen wäre besser geholfen, wenn sie die Euro-Zone verlassen", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Innenminister Friedrich habe in seinen gleichlautenden Äußerungen vom Wochenende "nur zum Ausdruck gebracht, was vielen auf den Nägeln brennt". Allerdings hatte Friedrich danach seine Aussage relativiert und im Bundestag mit "Ja" für das Rettungspaket gestimmt.

Auch Schäffler wiederholte: "Griechenland muss aus der Eurozone raus und braucht einen richtigen Schuldenschnitt, und anschließend kann man helfen." Das Land werde in diesem Jahr sehr wahrscheinlich 7 bis 8 Prozent Wirtschaftseinbruch haben und damit innerhalb von drei Jahren 18 Prozent.

Die Linke forderte indes eine "unabhängige juristische Überprüfung" des beschlossenen Rettungspakets. Fraktionsvize Ulrich Maurer sagte der "Leipziger Volkszeitung": "Ein so wichtiges Gesetz darf nicht von einem führungslosen Präsidialamt durchgewinkt werden." Horst Seehofer (CSU) sei Vorsitzender einer Regierungspartei und amtierendes Staatsoberhaupt. "Da sind Zweifel an der Neutralität allemal angebracht."

Quelle: ntv.de, rpe/dpa

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