Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg? Palästinenser klagen, Israel zittert
01.04.2015, 10:48 Uhr
Zerstörte Häuser im Gazastreifen nach dem Krieg.
(Foto: REUTERS)
Ab sofort können die Palästinenser israelische Politiker und Generäle wegen Kriegsverbrechen verklagen. Israel und die USA schimpfen schon und drohen damit, den Geldhahn zuzudrehen.
Es klingt wie ein unbedeutender Verwaltungsakt. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nimmt sein 123. Mitglied auf. Die Institution hat keine Macht, Angeklagte festzunehmen, hat bisher nur wenige Prozesse geführt und in seiner 13-jährigen Geschichte genau drei Urteile gesprochen. Doch durch das neue Mitglied Palästina wird sich einiges ändern. Die Palästinenser haben mit Israel die eine oder andere Rechnung offen. Menschenrechtsorganisationen sehen gute Chancen, dass israelische Politiker oder Armeeangehörige wegen des Gaza-Krieges und wegen der Siedlungspolitik verurteilt werden könnten.
Am 31. Dezember 2014 trat Palästina, dessen Status als eigener Staat umstritten ist, dem Strafgerichtshof bei. Ab diesem Mittwoch ist es ein gleichberechtigtes Mitglied. Damit können die Palästinenser wegen Kriegsverbrechen auf ihrem Gebiet klagen und verklagt werden. Für einige hohe palästinensische Beamte ist das durchaus ein Risiko: Immer wieder feuerten im vergangenen Jahr Hamas-Kämpfer aus dem Gazastreifen Raketen auf israelisches Gebiet. Sie versuchten wohl auch, Zivilisten zu treffen – was vor dem IStGH strafbar wäre.
Aber die Palästinenser wollen etwas mehr Augenhöhe im Konflikt mit Israel erreichen. Es geht ihnen vor allem darum, mögliche Kriegsverbrechen vom vergangenen Sommer aufzuklären. "Human Rights Watch hat ungesetzmäßige Angriffe dokumentiert, worunter auch einige sind, die Kriegsverbrechen gleichkommen", schreibt die Menschenrechtorganisation. Israel hatte damals als Reaktion auf die Ermordung dreier Jugendlicher eine Offensive in den Gazastreifen gestartet.
Zivile Häuser als Schutz missbraucht
Laut UN starben dabei 2250 Palästinenser, darunter 1563 Zivilisten und unter diesen 538 Kinder. Vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind laut Römischem Statut, der Grundlage für den IStGH, ein Kriegsverbrechen. Auf israelischer Seite starben 67 Soldaten und fünf Zivilisten, darunter ein Kind. Sollte auch Israel vor den IStGH ziehen, müssen sich Palästinenser wohl vor allem für die Raketen gegen israelische Städte verantworten und dafür, zivile Häuser als Schutz missbraucht zu haben.
Weiteren Anlass zur Klage bietet die Siedlungspolitik Israels. Laut Römischem Statut ist es auch ein Kriegsverbrechen, wenn eine Besatzungsmacht ihre eigene Zivilbevölkerung im besetzten Gebiet ansiedelt. Seit Benjamin Netanjahu 2009 Premierminister wurde, hat Israel mit dem Bau von über 10.000 Häuser im Palästinensergebiet begonnen. Geklagt werden kann allerdings nur wegen Entscheidungen, die ab dem 29. November 2012 gefallen sind – erst damals erkannte die UN-Generalversammlung Palästina als Staat an.
Die Klagen würden sich auch nicht gegen Israel als Staat richten, sondern immer gegen Einzelpersonen, also den Politiker oder den Armeeangehörigen, der die Tat zu verantworten hat. In vielen Fällen wird es schwierig sein, militärische Anweisungen Monate später nachzuvollziehen. Israel könnte den Ermittlern auch weitere Steine in den Weg legen: So darf der IStGH nur ermitteln, wenn Israel nicht selbst oder nur unzureichend selbst ermittelt. Das aber wird nicht leicht darzulegen sein. Denn das Land hat bereits 13 Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg eingeleitet. Außerdem ist Israel kein Mitglied des Strafgerichtshofs und könnte sich einfach weigern, Informationen herauszugeben oder Zeugen zur Aussage zu zwingen.
USA kritisieren Palästinenser
Palästinas Mitgliedschaft im IStGH wird also wohl erst einmal nicht dazu führen, dass israelische Spitzenpolitiker auf der Anklagebank platznehmen müssen. Aber das Instrument verstärkt den politischen Druck auf Israel – was dort auch so verstanden und beantwortet wird. Eine Verhandlungslösung des Konflikts werde so nur noch schwieriger, heißt es. Netanjahu sprach von einem "Weg der Konfrontation", den die palästinensische Führung einschlage. Er werde sich das nicht untätig ansehen.
Als erste Reaktion fror Israel das Geld ein, das es monatlich an die palästinensische Autonomiebehörde überweist. Angeblich soll dieses Geld nun bald überwiesen werden und Palästina im Gegenzug auf Klagen verzichten – was die Palästinenser aber heftig bestreiten. Auch von einem Ende der Gespräche über die Zwei-Staaten-Lösung war schon die Rede.
Ein weiterer wichtiger Geldgeber der Palästinenser sind die USA. Und die stehen in der Frage der internationalen Strafgerichtsbarkeit an Israels Seite: Sie lehnen den Strafgerichtshof generell ab. Senator Lindsey Graham sagte bereits, den Palästinensern würden die Hilfen gestrichen, sobald sie von ihrem neuen Klagerecht Gebrauch machten.
Quelle: ntv.de