Angst vor Tibets Beispiel Peking fährt die harte Tour
23.03.2008, 08:42 UhrChina hat zur Niederschlagung der "Verschwörung und Sabotage" durch die Unabhängigkeitskräfte in Tibet aufgerufen. Als vorläufiger Höhepunkt der angelaufenen Propagandakampagne wurde dieser Aufruf des kommunistischen Parteiorgans "Renmin Ribao" (Volkszeitung) am Sonntag über größere Zeitungen verbreitet. Einigen internationalen Medien wurde Verdrehung von Tatsachen vorgeworfen. Ausländische Kritiker wurden beschuldigt, die Gewaltakte der Randalierer bei den Ausschreitungen in Lhasa und das Vorgehen der chinesischen Sicherheitskräfte mit zweierlei Maß zu messen. Doch meldeten sich auch in China kritische Stimmen, die ihrerseits der Regierung "einseitige Propaganda" vorwarfen.
Offener Brief an die Regierung
Eine Gruppe chinesischer Autoren und Intellektueller bemängelte, dass in Chinas Staatsfernsehen vor allem tibetische Demonstranten in Lhasa gezeigt würden, wie sie chinesische Läden und Behörden angriffen. Die Berichterstattung heize die Feindseligkeiten zwischen den Volksgruppen zusätzlich an und verschärfe eine ohnehin gespannte Situation, hieß es in einem offenen Brief von 29 Unterzeichnern, der im Internet veröffentlich wurde. Sie riefen die Regierung zum Dialog mit dem Dalai Lama auf, forderten ein Ende der "gewalttätigen Unterdrückung" und ermahnten die Tibeter zur Gewaltlosigkeit.
"Ein Land, das die Spaltung seines Gebiets verhindern will, muss zu allererst die Teilung zwischen seinen Volksgruppen verhindern", hieß es in dem Brief. "Deshalb appellieren wir an die Führung unseres Landes, einen direkten Dialog mit dem Dalai Lama zu führen." Peking solle angebliche Beweise veröffentlichen, wonach die blutigen Unruhen in Tibet von langer Hand vom Dalai Lama und Exiltibetern vorbereitet worden seien. Diese Vorwürfe sowie die Situation in Tibet sollten von unabhängiger Seite untersucht werden. Zu den 29 unterzeichnenden Autoren, Journalisten, Juristen und Akademikern gehören auch der Vorsitzende des chinesischen Pen-Clubs, Liu Xiaobo, und der praktisch unter Hausarrest gestellte Schriftsteller Wang Lixiong. Sie forderten auch die Öffnung Tibets für die in- und ausländische Presse.
Peking setzt Truppen in Marsch
Die kommunistische Führung demonstriert aber weiter eine harte Linie. Die größeren staatlichen Zeitungen gaben den Aufruf des Parteiorgans weiter, die Unabhängigkeitskräfte zu "zerschmettern". Der Dalai Lama und die Exiltibeter hätten die Unruhen geplant und organisiert haben - "mit der bösartigen Absicht, die Olympischen Spiele untergraben und Tibet vom Vaterland abspalten zu wollen". Ein Kommentar der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua übte scharfe Kritik an der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die sich am Freitag bei einem Besuch beim Dalai Lama im indischen Dharamsala gegen Chinas "Unterdrückung" in Tibet ausgesprochen hatte. "Als Verteidigerin von Brandstiftern, Plünderern und Mördern" habe Pelosi ihre eigene "moralische Autorität verloren, über Menschenrechte zu sprechen".
Nachdem die Proteste von Lhasa auf andere Gebiete des alten Tibets in den Nachbarprovinzen Gansu, Qinghai und Sichuan übergegriffen hatten, sind große Truppenkontingente entsandt worden. Nach amtlichen Angaben sind bei Unruhen in dem Gebiet Gannan in Gansu insgesamt 94 Menschen verletzt worden. Auch in den Orten Xiahe, Machu, Luchu, Jone und Hezuo habe es Ausschreitungen gegeben, berichtete Xinhua. In Gannan sowie in der Region Aba in Sichuan herrsche jetzt Ruhe. Exiltibeter hatten von Dutzenden von Toten in den Gebieten berichtet.
Exil-Tibeter werden unterwandert
Bei ihren Protesten in Deutschland werden Exil-Tibeter nach eigener Darstellung von chinesischer Seite ausspioniert. "Chinesische Spitzel aus Botschaft und Konsulaten mischen sich in Deutschland unter unsere Demonstranten. Sie versuchen uns auszuspionieren oder die Veranstaltungen zu stören", sagte der Mitbegründer des Vereins der Tibeter in Deutschland, Tsewang Norbu, der "Bild am Sonntag". Nach einer Emnid-Umfrage für das Blatt befürworten 36 Prozent der Deutschen einen Olympia-Boykott. 58 Prozent wollten hingegen, dass Deutschland an den Olympischen Spielen in China teilnimmt.
Kontroverse Boykott-Diskussion
Chinas Umgang mit den Protesten hat zunehmend internationale Kritik hervorgerufen und auch Diskussionen über einen möglichen Boykott der Olympischen Spiele angeheizt. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, forderte: "Peking muss sich entscheiden. Es sollte unverzüglich mit dem Dalai Lama verhandeln. Bleiben Signale der Verständigung aus, halte ich Boykottmaßnahmen für gerechtfertigt." Weiter sagte Pöttering. "Wir wollen erfolgreiche Spiele - aber nicht zum Preis des kulturellen Völkermords an den Tibetern, von dem der Dalai Lama spricht." Am Mittwoch werde das EU-Parlament über Tibet beraten.
Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Eckart von Klaeden, warnte jedoch vor verfrühten Drohungen mit einem Boykott. Ein solcher Boykott sei lediglich eine "Ultima Ratio", sagte von Klaeden der Zeitung "Welt am Sonntag".
Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle sprach sich für "Dialog-Offensive" mit China aus. "Wir sollten mehr Kraft darauf verwenden, auf diejenigen in China zuzugehen, die gesprächsbereit und weltoffen sind", sagte Westerwelle der Deutschen Presse-Agentur dpa. Ein Olympia-Boykott sei jenseits des kurzfristigen Symbols von keinerlei Nutzen: "Im Gegenteil verabschieden wir uns damit von Gesprächsmöglichkeiten mit China."
Quelle: ntv.de