Basis plant Sturz des Vorstands Piraten tagen und beschließen
25.11.2012, 21:17 Uhr
"Next": Wohin steuern die Piraten nun?
(Foto: dapd)
Wirtschaft, Außenpolitik, Europa und Energie: Die Piratenpartei stellt sich auf dem Parteitag in Bochum breiter auf. Ob das die Partei stabilisiert, ist aber fraglich. Die Basis plant, den Bundesvorstand per Unterschriftenaktion zu stürzen. Wie das ausgeht, weiß keiner - der Antrag zur Erforschung von Zeitreisen fällt nämlich durch.
Die Piraten haben ihre Krise für beendet erklärt und gehen mit neuen Inhalten in das Wahljahr 2013. Bei einem zweitägigen Parteitag in Bochum verankerten sie erstmals Positionen zur Wirtschafts- und Außenpolitik im Grundsatzprogramm, die trotz gesunkener Umfragewerte den Weg in den Bundestag ebnen sollen.
Auch bei Fragen zu Europa, zum Jugendschutz oder zur Rente kann die junge Partei jetzt Antworten liefern. Der Vorsitzende Bernd Schlömer sprach von einem "Neustart vor der Landtagswahl in Niedersachsen und vor der Bundestagswahl". An dem Parteitag nahmen 2032 Mitglieder teil - so viele wie nie zuvor in der jungen Geschichte der Partei.
"Wir haben bewiesen, dass wir Politik machen wollen", sagte Schlömer in seiner Bilanz. Die Basis gab dem amtierenden Bundesvorstand das von Schlömer erbetene Vertrauensvotum - nach dem Rücktritt von zwei Vorstandsmitgliedern waren Zweifel an der weiteren Arbeitsfähigkeit des im April gewählten Gremiums laut geworden. Der Politische Geschäftsführer Johannes Ponader, der im Mittelpunkt der Personalquerelen stand, sagte, die Piraten müssten durchaus ihre Streitkultur leben, aber auch respektvoll miteinander umgehen.
Unterschriftenaktion gegen Vorstand geplant
Allerdings droht dem Bundesvorstand einem Medienbericht zufolge ein Aufstand. Mitglieder aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und anderen Ländern wollten eine Unterschriftenaktion unter den mehr als 34.000 Parteimitgliedern starten. Ziel sei es, gegen die sieben Vorstandsmitglieder einen Abwahlantrag durchzusetzen, berichtete der "Focus". Grund für die Aktion ist demnach vor allem der Auftritt von Parteichef Bernd Schlömer am Vortag beim Parteitag in Bochum.
Schlömer hatte die zu diesem Zeitpunkt mehr als 1800 anwesenden Mitglieder gefragt, ob sie auf dem nächsten planmäßigen Bundesparteitag im Mai in Neumarkt bei Nürnberg einen neuen Bundesvorstand wählen oder erneut über das Programm diskutieren wollten. Der Parteitag sprach sich gegen eine Neuwahl aus. Die Initiatoren der Unterschriftenaktion seien der Ansicht, dass Schlömer den Parteitag überrumpelt habe und die Entscheidung nicht dem Wunsch der Mehrheit der Mitglieder entspreche, hieß es. In den Reihen der Kritiker wurde demnach von einem "Ermächtigungsgesetz" gesprochen.
"Wir können nicht immer von Transparenz reden und dann auf diesem Weg so eine wichtige Entscheidung fällen", sagte Hans-Jörg Tangermann, Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl in Wiesbaden Ende Februar. In einer Partei wie den Piraten müsse die Basis eine so wichtige Entscheidung treffen und auch diskutieren.
Gegen Vollbeschäftigung, für Mindestlohn
"Das Leitbild der Piraten ist eine Ordnung, die sowohl freiheitlich als auch gerecht als auch nachhaltig gestaltet ist", heißt es im Grundsatzprogramm zur Wirtschaftspolitik, das am Samstag beschlossen wurde. Darin setzen sich die Piraten von der Wachstumspolitik anderer Parteien ab. Das Ziel der Vollbeschäftigung wird als "weder zeitgemäß noch sozial wünschenswert" abgelehnt. Befürwortet wird ein bundesweiter gesetzlicher Mindestlohn als Zwischenlösung zu dem mittelfristig angestrebten System einer "bedingungslosen Existenzsicherung" für alle.
Beim gesetzlichen Jugendschutz nahmen die Piraten die Forderung nach einer Lockerung ins Programm auf. Die Regelungen seien "zu streng, überbürokratisiert und nicht mehr zeitgemäß". Rentner sollen nach dem Willen der Piraten eine Mindestrente erhalten. Alle Rentensysteme, auch die Pensionen im öffentlichen Dienst, sollen zu einer Rentenkasse zusammengeführt werden.
Zudem gab sich die Partei erstmals Grundsätze zur Außenpolitik. "Leitmotiv des globalen Handelns der Piratenpartei ist das Engagement für Menschenrechte und eine gerechte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung", heißt es darin. "Wir treten weltweit für die Förderung der Zivilgesellschaft und die Lösung von Konflikten mit friedlichen Mitteln ein." Die Piraten sprachen sich für eine weitere Integration Europas und eine gemeinsame Verfassung aus. Allerdings müsse die Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene verbessert werden.
Gegen Atomlager und Lobbyisten-Einfluss
In der Umwelt- und Energiepolitik plädierten die Piraten für den Ausstieg aus der Kernenergie binnen drei Jahren und sprachen sich gegen ein Endlager für Atommüll in Gorleben aus. Eines der Kernthemen der Partei ist die Transparenz - hier wird die Offenlegung der Einflussnahme von Interessenverbänden und Lobbyisten auf politische Entscheidungen verlangt. Die Annahme von Spenden durch Abgeordnete soll untersagt werden. Beim Datenschutz wollen die Piraten, dass das im internationalen Vergleich hohe Niveau in Deutschland nicht nur erhalten bleibt, sondern ausgebaut wird - auch nach der geplanten Reform des EU-Datenschutzrechtes.
Ponader warf Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel vor, ihre "farblose" Politik zu Unrecht als alternativlos darzustellen. Von "Salamitaktik" sprach er mit Blick auf die Nebentätigkeiten des designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Die Grünen liebäugelten mit der Union, am Ende stünde eine große Koalition, die Stillstand bedeuten würde. "Deshalb braucht es uns Piraten", sagte Ponader.
Schlömer sprach sich für den Plan aus, Entscheidungen künftig nicht mehr auf Parteitagen vor Ort, sondern in einer Ständigen Mitgliederversammlung im Internet zu treffen. Klar dagegen stellte sich jedoch sein Stellvertreter Sebastian Nerz. Ein entsprechender Antrag für eine Satzungsänderung wurde vom Parteitag nicht behandelt und soll nun auf dem nächsten Parteitag im Mai 2013 im bayerischen Neumarkt auf die Tagesordnung.
Antrag für Zeitreisen fällt durch
Schließlich beschäftigten sich die Piraten auch noch mit der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Zeitreisen. Der Bundesparteitag änderte unter dem Jubel der Teilnehmer kurzfristig seine Tagesordnung und zog einen Antrag vor mit der Forderung: "Die Piratenpartei spricht sich für eine intensive Erforschung von Zeitreisen aus, mit dem Ziel, diese noch in diesem Jahrzehnt Realität werden zu lassen." Ein Pirat jubelte: "Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung, es ist so geil!"
Als Grund für ihren Vorstoß nannten die beiden Antragsteller den Wunsch, Menschen zu helfen, "deren innere Lebenszeit nicht der aktuellen chrononormativen 'Wirklichkeit' entspricht". Auch könnten durch die "Korrektur unerwünschter Zeitlinien" die Anlässe für "Shitstürme" verhindert werden, bevor diese überhaupt entstünden. In der Abstimmung verfehlte der Antrag für das Grundsatzprogramm der Piratenpartei die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Antragsteller Anatol Stefanowitsch zeigte sich im Kurznachrichtendienst Twitter wenig überrascht: "Ich wusste, dass der Zeitreise-Antrag abgelehnt wurde. Da, wo ich herkomme, steht das in den Geschichtsbüchern."
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP