Mehr Macht für Erdogan? Präsidialreform erreicht türkisches Parlament
01.12.2016, 16:57 Uhr
Recep Tayyip Erdogan möchte genauso viel Macht haben wie der US- oder der französische Präsident.
(Foto: AP)
Die Türkei ist ähnlich wie Deutschland eine parlamentarische Demokratie. Doch Präsident Erdogan will mehr: Mithilfe einer Reform möchte er das Land nach US-Vorbild zum Präsidialsystem umbauen. Jetzt rückt die Erfüllung seines Wunsches ein Stück näher.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht ernst mit seinen Plänen, die Türkei zu einer Präsidialdemokratie umzubauen. In der kommenden Woche werde der Gesetzentwurf, der erweiterte Befugnisse für den Staatschef vorsehe, dem Parlament vorgelegt, kündigte Regierungschef Binali Yildirim an. Ziel sei es, Erdogan ähnliche Befugnisse wie den Präsidenten der USA und Frankreichs zu übertragen.
Sollte das Parlament dem Gesetzentwurf zustimmen, werde die Bevölkerung im "Frühsommer" in einem Referendum darüber entscheiden, sagte Yildirim weiter. Der Text werde von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und der Oppositionspartei MHP unterstützt. Die Ultranationalisten von der MHP waren ursprünglich gegen das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem.
Fällt der Ministerpräsident weg?
Erdogan war von 2003 bis 2014 türkischer Ministerpräsident. Im August 2014 wechselte er ins Amt des Staatspräsidenten, weil er die maximal mögliche Zahl an Amtszeiten erreicht hatte. Auch als Präsident kontrolliert er aber den Kurs von Regierung und AKP, obwohl diese Rollen laut der türkischen Verfassung dem Ministerpräsidenten und Parteichef vorbehalten sind. Mit dem Umbau der Türkei zum Präsidialsystem mit ihm an der Spitze will Erdogan seine Führung legitimieren.
Der Reform zufolge sollen die wichtigsten exekutiven Befugnisse des Ministerpräsidenten auf den Präsidenten übergehen. Laut Presseberichten könnte der Posten des Regierungschefs sogar ganz abgeschafft werden. Der Präsident würde offiziell die Führung des Staates übernehmen, heißt es, unterstützt von einem oder zwei Vize-Präsidenten.
Umbau zu Autokratie?
Kritiker werfen Erdogan vor, schon jetzt ein autokratisches System aufgebaut zu haben und kritische Medien oder Oppositionelle mundtot zu machen. Nach dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli habe Ankara dieses Vorgehen noch einmal verschärft. Mehr als hunderttausend Regierungsgegner wurden im Nachgang entlassen oder festgenommen, darunter viele Journalisten und Politiker der kurdischen Opposition.
Um die Reform direkt durchsetzen zu können, bräuchte Erdogan im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Das wären 367 Stimmen. Um die Verfassungsänderung der Bevölkerung zur Abstimmung vorlegen zu können, müssten mindestens drei Fünftel der Abgeordneten zustimmen. Das wären 330 Stimmen.
Die AKP verfügt im türkischen Parlament über 317 Abgeordnete, sie alleine würde die erforderliche Mehrheit also verpassen. Aus diesem Grund waren Gespräche mit der rechtsnationalen MHP geführt worden, die 40 Abgeordnete stellt. Der Chef der MHP, Devlet Bahceli, signalisierte Unterstützung für die Verfassungsänderung.
Quelle: ntv.de, chr/dpa/AFP