Eskalation in der Ost-Ukraine Putin erörtert verschärfte Lage mit Merkel
16.04.2014, 05:24 Uhr
Wladimir Putin.
(Foto: REUTERS)
Ukrainische Sondereinheiten machen gegen prorussische Separatisten mobil. Ein Schritt, vor dem Moskau gewarnt hat. Kreml-Chef Putin sieht das Land am Rande eines Bürgerkrieges - und versucht Kanzlerin Merkel von seiner Position zu überzeugen.
Nach dem Beginn der Offensive gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine hat Russland vor einer gefährlichen Zuspitzung der Krise gewarnt. In einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte der russische Präsident das gewaltsame Vorgehen scharf. "Die Eskalation des Konflikts bringt das Land an den Rand des Bürgerkrieges", zitierte die Nachrichtenagentur Itar-Tass Wladimir Putin.
Der russische Ministerpräsident Dimitri Medwedjew warnte ebenfalls, die Ukraine stehe "am Rande eines Bürgerkriegs". Er machte allerdings den nach Russland geflohenen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch mitverantwortlich für die Unruhen. Die damalige pro-russische Führung in Kiew habe die ersten Proteste der Opposition nicht ernst genommen. "Jetzt fließt Blut", sagte Medwedjew. Das alles sei "sehr traurig".
In mehreren Orten der Ostukraine halten moskautreue Separatisten seit Tagen Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet. Aus dem Bundespresseamt hieß es zu dem Gespräch zwischen Putin und Merkel lediglich, die Situation in der Ukraine sei ausführlich erörtert worden. Bei aller unterschiedlichen Bewertung der Ereignisse habe die Vorbereitung des Treffens in Genf im Mittelpunkt gestanden.
Dort wollen die Außenminister Russlands, der USA und der Ukraine zusammen mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton über Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung der Krise beraten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Teilnehmer, das Treffen auch zu nutzen. "Ein Scheitern ist nicht erlaubt", sagte er der "Rheinischen Post".
n-tv Reporter Dirk Emmerich ist in der Ostukraine unterwegs und twittert Eindrück von dort.
Schwere Kämpfe um Flugplatz Kramatorsk
Mit einem Tag Verspätung hatte der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow den Beginn des sogenannten "Anti-Terror-Einsatzes" im Parlament in Kiew verkündet. Die Einheiten würden im Norden des Gebiets Donezk nahe der Grenze zu Russland vorrücken. "Ziel ist der Schutz der Bürger vor Terroristen, die das Land zerreißen wollen", sagte Turtschinow. Der genaue Umfang der Operation ist unklar. Der stellvertretende Kommandeur der ukrainischen Spezialkräfte (SBU), Walerij Krotow, kündigte ein entschlossenes Vorgehen an. "Sie müssen gewarnt sein, dass sie vernichtet werden, wenn sie ihre Waffen nicht niederlegen", sagte der General mit Blick auf die pro-russischen Kämpfer.
Zu Schusswechseln zwischen ukrainischen Einheiten und moskautreuen Aktivisten kam es in der Nähe der Städte Kramatorsk und Slawjansk im Verwaltungsgebiet Donezk. Nach schweren Gefechten hätten Regierungseinheiten den Flugplatz von Kramatorsk unter ihre Kontrolle gebracht, sagte Turtschinow. Das russische Staatsfernsehen berichtete von mindestens vier Toten. Die moskautreuen Aktivisten sprachen von einem Verletzten in ihren Reihen. Eine offizielle Bestätigung für die Opferzahlen gab es zunächst nicht.
Putin forderte laut Kreml von UN-Generalsekretär Ban, die Vereinten Nationen müssten das "verfassungswidrige Vorgehen" der Machthaber in Kiew verurteilen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach bei einem Besuch in Peking von einer "Verletzung ukrainischer Rechtsnormen und des Völkerrechts". US-Regierungssprecher Jay Carney sagte hingegen: "Die ukrainische Regierung hat die Verantwortung, Recht und Ordnung herzustellen." Die "Provokationen" prorussischer Kräfte "schaffen eine Situation, in der die Regierung handeln muss". Er bezeichnete die Eskalation als "sehr gefährlich". Die USA haben Russland mehrfach beschuldigt, in dessen Nachbarland politische Unruhen zu befeuern.
Juncker: Sanktionen zeigen Wirkung
Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sagte der "Passauer Neuen Presse", die gute Organisation und Ausrüstung der Milizen in den Städten deuteten auf russische Herkunft hin. Vor einer Entscheidung über mögliche weitere Sanktionen gegen Russland wollen die USA zunächst die Genfer Gespräche abwarten. Die "New York Times" berichtete, Washington prüfe unter anderem, einen engen Putin-Vertrauten auf die Sanktionsliste zu setzen. Es handele sich um Igor Setschin, Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft.
Nach Ansicht des luxemburgischen Europapolitikers Jean-Claude Juncker zeigen die bislang von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen Wirkung. "Man weiß ja jetzt schon, was es an Kapitalabfluss aus Russland in den vergangenen Wochen und Tagen gegeben hat. Das geht nicht wirkungslos an Russland vorbei", sagte Juncker in Straßburg. Der frühere luxemburgische Ministerpräsident ist Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) für die Europawahl Ende Mai.
Bisher verhängte die EU wegen der Annexion der Krim durch Russland Kontensperrungen und Einreiseverbote gegen Einzelpersonen. Über neue Wirtschaftssanktionen wurde noch nicht entschieden. Juncker sagte vor allem mit Blick auf mögliche Wirtschaftsstrafmaßnahmen: "Man kann keine Sanktionen verhängen, die einen nicht auch selbst betreffen würden. Wenn wir, was wir sind, auch weiterhin eine Wertegemeinschaft bleiben wollen, dann müssen wir dies in Kauf nehmen. Angenehm ist das nicht, aber die Verteidigung von Werten hat auch einen Preis."
Quelle: ntv.de, dsi/dpa/rts