Anti-Regierungsproteste in Moskau Putin stellt sich blind
25.12.2011, 11:52 Uhr
Putin soll verschwinden.
(Foto: AP)
Seit Tagen fordern Zehntausende Menschen den politischen Umbruch in Moskau. Doch Regierungschef Putin spielt die Massenproteste herunter. Er habe die Mehrheit hinter sich, lässt er verkünden - und diese Mehrheit müsse auch von den Demonstranten respektiert werden. Der deutsche Russland-Beauftragte Schockenhoff setzt dagegen auf die neuen "Mutbürger".
Der russische Regierungschef Wladimir Putin hat trotz der Massenproteste nach Ansicht seines Sprechers noch die Mehrheit des Landes hinter sich. "Als Politiker und Präsidentschaftskandidat hat Putin nach wie vor die Unterstützung der Mehrheit", sagte Dmitri Peskow. Die Ansicht dieser Mehrheit müsse respektiert werden. Putin, der im März mit Staatschef Dmitri Medwedew die Ämter tauschen will, laufe als Präsidentschaftskandidat "außer Konkurrenz".
Zu den bisher größten Protesten, die sich am Samstag auch gegen die Dominanz Putins in der russischen Politik richteten, sagte Peskow, die Forderungen der Demonstranten seien gehört worden. "Die Menschen, die auf die Straße gegangen sind, sind ein sehr wichtiger Teil der Gesellschaft, aber sie sind in der Minderheit." An dem Protest gegen die von Fälschungsvorwürfen überschattete Parlamentswahl hatten sich nach Angaben der Organisatoren 120.000 Menschen und nach Polizeiangaben knapp 30.000 Menschen beteiligt.
Demonstranten brauchen Unterstützung aus Europa
Derweil setzt der Russland-Beauftragte der Bundesregierung vor der Präsidentenwahl am 4. März auf die Kontrolle durch die Bevölkerung. Zu glauben, das Volk sei passiv, sei ein Trugschluss, sagte Andreas Schockenhoff (CDU). "Wir haben es mit einer neuen Form von Zivilcourage in Russland zu tun." Die neuen "Mutbürger" würden sich den "inszenierten Rollentausch" von Noch-Regierungschef Wladimir Putin und Staatspräsident Dmitri Medwedew nicht gefallen lassen, zeigte sich Schockenhoff überzeugt. Europa müsse diese neue Generation unterstützen.
"Diejenigen, die den Mut haben, auf die Straße zu gehen, sind nicht allein", sagte Schockenhoff. Europa werde in den bis zur Präsidentenwahl verbleibenden Wochen sehr genau beobachten, ob es "wirklich Wettbewerb gibt" oder im Fernsehen die Meinungsvielfalt abgebildet werde. Auch werde darauf geachtet, ob es "massive Einschüchterungen" wie vor der Parlamentswahl gebe. Er gehe davon aus, dass der Kreml "alles unternehmen" werde, Putin nach zwei Amtszeiten von 2000 bis 2008 wieder zum Präsidenten zu machen.
Russland habe den Anspruch, eine Demokratie zu sein, und bekenne sich dazu nicht nur in seiner Verfassung, sondern etwa auch in der Charta des Europarats und zahlreichen internationalen Übereinkünften. "An diesem Anspruch müssen wir Russland messen", forderte Schockenhoff. Nötig seien "echter Pluralismus" und eine Dezentralisierung.
Nicht ohne den Westen
Putins Vorwürfe nach der Parlamentswahl, der Westen steuere die Demonstrationen gegen den Kreml, bezeichnete Schockenhoff als "innenpolitisch motivierten Reflex". Putin wisse, dass es ohne eine Zusammenarbeit mit dem Westen nicht gehe. Als Beispiele nannte Schockenhoff die Olympischen Winterspiele 2014 und die Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2018 in Russland. Putin brauche diese "Prestigeprojekte für seine eigene Propaganda".
Ohnehin sieht Schockenhoff eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen Russland und dem Westen. Zwar sei Europa von russischem Gas abhängig, andererseits bestehe der Haushalt des riesigen Landes weitgehend aus Einnahmen aus Primärrohstoffen. Wenn also Abnehmer verloren gingen, gerate Russland in Schwierigkeiten.
Den Forderungen nach einer Wiederholung der Parlamentswahl vom 4. Dezember, wie sie das Europaparlament erhebt, schloss sich Schockenhoff nicht an. Zunächst müssten die Ergebnisse der von Medwedew angeordneten Prüfung der Unregelmäßigkeiten abgewartet werden. Diese müssten "nachprüfbar und transparent" sein. Anschließend müssten auch Konsequenzen aus den Manipulationen gezogen werden, also beispielsweise Betriebsleiter bestraft werden, die ihre Mitarbeiter zur Wahl der Kreml-Partei Einiges Russland gezwungen hätten, oder Schulleiter, die vor der Wahl im Beisein der Eltern Geschenke der Partei an die Kinder verteilten.
Quelle: ntv.de, dsi/AFP/dpa