Kooperation im Syrienkrieg Rebellen und Regierung versorgen sich mit Brot
20.06.2013, 14:27 Uhr
"Weizen hat doch nichts mit der Regierung zu tun". Zwei syrische Flüchtlinge in Jordanien beim Backen von traditionellem Brot.
(Foto: picture alliance / dpa)
Im Syrienkrieg ist der Frontverlauf längst nicht so eindeutig, wie es von außen bisweilen erscheint. Deutlich wird dies unter anderem durch die Zusammenarbeit zwischen Anhängern von Opposition und Regierung bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Auch in anderen Bereichen leistet sich Assad keine kompromisslose Bekämpfung der Rebellen mehr.
Sie bekämpfen sich erbittert. Aber ohne einander können sie nicht überleben. Und so finden in Syrien Rebellen und Getreue von Präsident Baschar al-Assad Wege, sich gegenseitig zu helfen - mitten im Bürgerkrieg.
In der Provinz Idlib im Nordwesten des Landes kontrollieren die Aufständischen das Anbaugebiet für Weizen. Sie besitzen aber keine Mühlen. Die stehen in der Stadt Idlib, die in der Hand der Regierungstruppen ist. Dort gibt es jedoch nicht genug Getreide, um die Menschen zu versorgen. Weil aber beide Seiten Brot brauchen, liefern die Aufständischen nun das Korn an den Feind. Der mahlt es zu Mehl, behält einen Teil und schickt den Rest zurück an die Rebellen. "Weizen hat doch nichts mit der Regierung zu tun", sagt Abu Hassan, ein Oppositioneller, der in einer Bäckerei in Salkin in der Provinz Idlib arbeitet. "Weizen, das hat etwas mit den Menschen zu tun."
Ähnlich pragmatisch versuchen viele Syrer, ihr Leben in dem seit mehr als zwei Jahren dauernden Konflikt zu organisieren. In der Hauptstadt Damaskus gibt es Geschäftsleute, die in den von Aufständischen eroberten Randbezirken wohnen. Ihre Läden haben sie im Zentrum, wo Assads Truppen das Sagen haben. Also rasen sie jeden Tag in ihren Autos mit Höchstgeschwindigkeit über die Frontlinien. Morgens hin, abends zurück. Was sollten sie sonst tun? Zivilisten wechseln zum Arbeiten und Einkaufen die Fronten, auch wenn sie dabei immer wieder in Schießereien geraten. Selbst Kinder gehen so zur Schule. Es erinnert ein wenig an das geteilte Berlin, bevor die DDR-Führung den Sektorenwechsel durch den Bau der Mauer unterband.
Assads Haltung ist flexibler geworden
Selbst im hart umkämpften Aleppo im Norden Syriens gibt es eine erstaunliche Zusammenarbeit zwischen den Feinden. Als die Rebellen in die Millionenmetropole vorrückten, unterbrach die Regierung die Hauptstromversorgung. Im Gegenzug kappten die Aufständischen die Kabel, die ins Regierungsgebiet führen. Nach einigen Wochen stimmte die Assad-Führung zu, die Stadt wieder mit Strom zu versorgen. Die Rebellen versprachen, die Leitungen zu reparieren. Heute hat Aleppo Strom. 24 Stunden am Tag.
Die Assad-Regierung sei flexibler geworden, sagt Wadschdi Saidu, ein Oppositioneller, der mit dem Bäcker Hassan im Verwaltungsrat von Salkin arbeitet. Vor einigen Monaten sei ein Gouverneur eingesetzt worden, der Absprachen mit den Rebellen wesentlich offener gegenüberstehe als sein Vorgänger. So sei auch der Weizen-Deal zustande gekommen, sagt Saidu. Beide Seiten wollten den Verwaltungsapparat aufrechterhalten. "Mit dieser Revolution werden wir nicht die staatlichen Einrichtungen los. Wir werden das Regime los", unterstreicht Saidu.
Dass das schon bald geschieht, erwarten die Menschen wohl nicht. Sie richten sich auf einen langen Konflikt ein. Weil die öffentlichen Wasserleitungen versiegen, graben die Menschen ihre eigenen Brunnen, denn Wasser in Flaschen zu kaufen, ist auf die Dauer zu teuer. Weil den Bauern der Treibstoff fehlt, um aus Weizen das Grundnahrungsmittel Bulgur zu machen, verbrennen sie Abfall - der ist inzwischen ein begehrtes Gut. Und am Stadtrand von Aleppo, wo Rebellen und Assads Soldaten um die Kontrolle kämpfen, arbeiten junge Männer in verdreckten Jeans und T-Shirts in Sichtweite des Qualms der Geschosse und bauen ein neues Haus.
Quelle: ntv.de, rts