Schweizer halten Alten Kontinent in Atem Rechtspopulisten treiben Europa um
11.02.2014, 05:20 Uhr
Die Entscheidung der Schweizer für eine Begrenzung der Zuwanderung sorgt für Unruhe in Europas Hauptstädten. Bundesfinanzminister Schäuble sorgt sich wegen möglicher Stimmenzuwächse für rechtspopulistische Parteien bei der Europawahl.
Nach dem Schweizer Votum zur Zuwanderung hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Politik zu einer klaren Abgrenzung von Populisten und Euroskeptikern aufgefordert. "Wir müssen im Europawahlkampf klar machen, wie sehr die Menschen von der Freizügigkeit profitieren", sagte der CDU-Politiker den "Stuttgarter Nachrichten". In Umfragen verzeichnen rechtspopulistische Parteien in mehreren EU-Ländern vor der Europawahl Ende Mai deutliche Zuwächse.
Schäuble bedauerte die mehrheitliche Entscheidung der Schweizer, die Zuwanderung zu begrenzen. Die Politiker müssten ernst nehmen, dass das Thema Zuwanderung die Menschen mobilisieren könne, nicht nur in der Schweiz. Dabei sei gerade die Freizügigkeit einer der wesentlichen Fortschritte in Europa. "Auch als Quelle für Wohlstand und Wachstum. Offenheit nützt uns, das müssen wir immer wieder klar machen", betonte Schäuble.
Der Schweizer Volksentscheid ist in der EU-Nachbarschaft mit Unverständnis aufgenommen worden. Während Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier den Eidgenossen "Rosinenpickerei" vorwarf, ließ die Brüsseler Kommission wissen, dass freier Zugang zum EU-Binnenmarkt an offene Grenzen gekoppelt sei. Schweizer Medien sahen ihre Regierung schwer angeschlagen und das Land tief gespalten.
Britisches Verständnis

Einträchtig nebeneinander: Fähnchen der Schweiz und der EU im Berner Nationalratssaal. Von Eintracht ist nach dem Votum in der Eidgenossenschaft nicht mehr die Rede.
(Foto: dpa)
Bundesinnenminister Thomas de Maizière hält ein ähnliches Votum in Deutschland für realitätsfern, da EU-Zuwanderung für die meisten seiner Landsleute "überhaupt kein Problem" darstelle. Nur der ebenfalls für Einwanderungsrestriktionen eintretende britische Premier David Cameron äußerte Verständnis für "die wachsende Sorge" über Negativfolgen der Personenfreizügigkeit.
Die Schweiz könne nicht einerseits alle Vorteile des freien Handels mit der EU ausschöpfen und andererseits die Personenfreizügigkeit begrenzen, sagte EU-Justizkommissarin Viviane Reding der BBC. "Man nimmt entweder beides oder gar nichts." Eine EU-Kommissionssprecherin in Brüssel nannte die Freizügigkeit "heilig", die "Gesamtbeziehungen" mit der Schweiz kämen deshalb auf den Prüfstand.
Die EU-Kommission reagierte schon einmal und setzte die Gespräche über einen grenzüberschreitenden Stromhandel aus. Neue Verhandlungen seien gegenwärtig nicht abzusehen, sagte eine EU-Sprecherin. "Das weitere Vorgehen muss im größeren Kontext der bilateralen Beziehungen analysiert werden." Das Abkommen mit der Schweiz soll einen geplanten Energie-Binnenmarkt der 28 EU-Staaten ergänzen. Die Teilnahme des Alpenstaates wäre wichtig für die Anbindung von Staaten wie Italien.
Rauswurf aus Schengen-Raum?
Tatsächlich erhielt die Schweiz als Nichtmitglied nur deshalb Zugang zum EU-Binnenmarkt, weil sie ihre Grenzen für EU-Bürger öffnete. "Wenn das eine fällt, fällt natürlich auch das andere", warnte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Selbst der Rauswurf der Eidgenossen aus dem schlagbaumfreien Schengen-Raum könnte folgen: Da die Schweiz sich offenbar auf sich selbst zurückziehen wolle, würden nun sämtliche Kooperationen mit dem Land überprüft, sagte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius.
Der Schweizer Außenminister Didier Burkhalter kündigte eine Rundreise durch europäische Hauptstädte an, als erstes will er nach Berlin fahren. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ über ihren Sprecher erklären, das Ergebnis der Volksabstimmung werfe "erhebliche Probleme" auf. Um das Verhältnis zur Europäischen Union "so eng wie möglich" halten und sich so im globalen Wettbewerb behaupten zu können, müsse die Schweiz nun "schwierige Gespräche" mit der EU führen.
Credit Suisse rechnet bereits
Diese Gespräche dürften kompliziert werden, denn das von Rechtspopulisten initiierte Referendum "Gegen Masseneinwanderung" lässt offen, wie genau die Zuwanderung gebremst werden soll. Fest steht seit dem knappen Votum (50,3 Prozent Befürworter) vom Sonntag nur, dass nach einer Übergangszeit von drei Jahren jährlich Obergrenzen für Einwanderer gesetzt werden - für Asylbewerber ebenso wie für EU-Bürger. Wegen der Unsicherheit für Investoren fürchtet der Finanzdienstleister Credit Suisse bereits 80.000 weniger Arbeitsplätze und ein um 0,3 Prozent niedrigeres Bruttoinlandsprodukt während dieser Übergangsphase.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) unterstreicht in der Zuwanderungsdebatte den hohen Stellenwert offener Grenzen für Menschen, Produkte und Kapital. Dies habe grundsätzlich positive Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit von Ländern und damit auch auf deren Wohlstand, sagte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Die Schweizer Regierung hatte erfolglos für eine Ablehnung des Referendums geworben und muss nun auf die Sorgen der Bevölkerung eingehen, die bei einem Ausländeranteil von 23,5 Prozent mehrheitlich die Zuwanderung begrenzen will.
Quelle: ntv.de, wne/dpa/AFP/rts