Der Fehlstart der SPD Regieren ist auch Mist
06.02.2014, 20:14 Uhr
Applaudierende Sozialdemokraten: Ob Sigmar Gabriel, Andrea Nahles und Klaus Wowereit mit den vergangenen Wochen zufrieden sind?
(Foto: picture alliance / dpa)
Einschränkung der Waffenexporte, Kampf gegen Steuersünder - war da was? In der Großen Koalition ist die SPD mit viel Eifer bei der Sache, trotzdem stolpert man von einem Missgeschick zum nächsten.
Nach vier Jahren sitzt die SPD wieder auf den Regierungsbank. Die Genossen wollten eigentlich mit den Grünen, nun müssen sie mit der Union regieren. Aber so groß die Vorbehalte auch waren: Der alte Spruch "Opposition ist Mist", den Ex-Parteichef Franz Müntefering einst ausgab, ist eben immer noch gültig. Und sieben Wochen nach der Vereidigung fällt auf: Die SPD-Minister sind voller Tatendrang, verkünden neue politische Leitlinien und legen ein beeindruckendes Tempo an den Tag. Die Sozialdemokraten wollen schnell liefern und bloß nicht dieselben Fehler machen wie in der letzten Großen Koalition. Ehrliche und unaufgeregte Regierungsarbeit hat Vizekanzler Sigmar Gabriel verordnet, die Handschrift der Partei soll bei der nächsten Bundestagswahl 2017 deutlich erkennbar sein.
Nun zählt in der Politik aber nicht immer nur der Eifer. Auch Geschick spielt eine wichtige Rolle und daran mangelt es auffallend häufig. Eines können die ersten Wochen der Großen Koalition kaum verbergen: Vielleicht hat sich die SPD etwas zu viel vorgenommen. In der neuen Bundesregierung sind es jedenfalls vor allem die Sozialdemokraten, die einen stolprigen Start hinlegen.
Die falsche Kavallerie
Beispiel Rente: Das Rentenpaket, das Arbeitsministerin Andrea Nahles schon nach einem Monat vorlegte, entpuppt sich als unausgegorener Schnellschuss. Nicht nur führt es die Rente mit 67, die SPD und Union erst 2006 verabschiedet haben, ad absurdum. Mit 60 Milliarden Euro bis 2020 ist das Projekt auch unfassbar teuer. Nahles' Gesetzesvorlage, die vom Kabinett bereits gebilligt wurde, enthält auch allzu offensichtliche Schlupflöcher, etwa das Risiko der massenhaften Frühverrentung. Dass die Ministerin ihrem nicht mal beschlossenen Rentenpaket eine mehr als eine Millionen Euro teure Werbekampagne spendiert, macht es nicht besser. Bescheiden und damit im sozialdemokratischen Sinne ist das sicherlich nicht.
Etwas mehr Bescheidenheit wünscht sich so mancher Sozialdemokrat in diesen Tagen auch aus Berlin. Während Klaus Wowereit im Winterurlaub die Ruhe genießt, ist die SPD dank seiner Schützenhilfe tief verstrickt in die aktuelle Steuerdebatte. Wie jetzt bekannt wurde, schützte der Regierende Bürgermeister lange Zeit seinen Staatssekretär André Schmitz und hielt ihn im Amt, obwohl dieser Steuern hinterzogen hatte. Ausgerechnet jener Wowereit, der vor einigen Monaten im Wahlkampf durch die Republik gezogen war und gegen Steuersünder gewettert hatte. Zugegeben: Der Fall Schmitz hat nicht direkt mit der Großen Koalition zu tun, er schadet jedoch der Glaubwürdigkeit der ganzen Partei. Denn Wowereits Nachlässigkeit vermittelt den Eindruck, als nähmen die Genossen es heute schon nicht mehr so genau mit der Kavallerie, von der sie gestern noch gepredigt haben.
Vizekanzler in Teilzeit
Wie weit Reden und Handeln bisweilen auseinanderliegen, zeigt sich auch beim Thema Waffenexporte. Im vergangenen Jahr ätzten Gabriel und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück noch gegen die schwarz-gelben Rüstungsgeschäfte. Als Wirtschaftsminister nimmt Gabriel es inzwischen jedoch nicht mehr so genau. Einerseits spricht er sich zwar für die völlige Transparenz aus, gleichzeitig verweigert sein Ministerium allerdings die Auskunft über Statistiken zu Waffenexporten. Vor einigen Tagen war es dann wieder Gabriel, der die neue Bürgschaft für einen milliardenschweren Rüstungsdeal mit Saudi-Arabien verteidigte. Seine Begründung: Patrouillenboote seien doch keine Panzer. Das mag zwar stimmen, dass die Boote keinen friedlichen Zweck haben, dürfte dem Minister jedoch ebenso bekannt sein wie die schwierige Menschenrechtslage, wegen der Saudi-Arabien seit Jahren in der Kritik steht.
Gabriel war es auch, der im Januar die Steilvorlage für eine peinliche Debatte lieferte. In einem Interview inszenierte er sich als Familienvater. Weil seine Frau berufstätig sei, hole er seine Tochter jeden Mittwoch im heimischen Goslar aus der Kita ab, erklärte er gegenüber der "Bild". Als einige Medien daraufhin über den Teilzeit-Vizekanzler spotteten, ruderte Gabriel zurück: Er arbeite "weit mehr als 70 Stunden in der Woche" und schaffe es sicherlich nicht jede Woche, seine Tochter abzuholen, sagte er dem "Stern". Wenn alles gut geht, kann sich Frau Gabriel also zumindest einen Tag in der Woche ihrer Karriere widmen. So unterhaltsam die Einblicke in die Gabrielsche Arbeitsteilung auch gewesen sein mögen: Einen konstruktiven Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisteten sie nicht.
Nach sieben Wochen Große Koalition nimmt also alles seinen Gang. Die SPD hinterlässt ihre ganz speziellen, aber nicht immer hilfreichen Duftmarken. Bei vermeintlich strittigen Themen wie dem Umgang mit Steuerbetrug und Rüstungsexporten ist man überraschend geräuschlos auf den Kurs der Union eingeschwenkt. Bei den eigenen Herzensanliegen wie Mindestlohn und Doppelpass droht jedoch noch eine Menge Ärger. Wenn Gabriel & Co. nicht aufpassen, könnten die kommenden vier Jahre bestätigen, was viele Genossen schon nach dem Wahlabend zu wissen glaubten. Um es mit Münteferings Worten zu sagen: Nicht nur Opposition kann Mist sein, sondern auch das Regieren - zumindest bei der SPD.
Quelle: ntv.de