Koalitionsstreit beigelegt Rente erst mit 70?
12.11.2002, 08:11 UhrSPD und Grüne haben sich im Streit um die Erhöhung der Rentenbeiträge geeinigt. Beide Parteien verständigten sich auf einen konkreten Arbeitsauftrag für die Kommission zur Reform der Sozialsysteme. Unterdessen wurden erneut Forderungen nach einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit laut.
Aufgabe der Kommission soll es sein, "Vorschläge für eine nachhaltige Finanzierung und Weiterentwicklung der Sozialversicherung zu entwickeln" und sich dabei auch mit der Frage zu beschäftigen, "wie die Lohnnebenkosten gesenkt werden können", um "beschäftigungswirksame Impulse " zu geben. Außerdem soll das Gremium nach Wegen zur Senkung der Kosten im Gesundheitswesen suchen. Schwerpunkt hierbei ist die Frage, wie durch bessere Vorsorgeuntersuchungen die Ausgaben gesenkt werden können. Die Sozial-Strukturkommisssion soll ihren Bericht im Herbst 2003 vorlegen.
Diese schriftliche Fixierung der Aufgaben der Kommission war eine Vorbedingung der Grünen für ihre Zustimmung zur Erhöhung der Rentenbeiträge von 19,1 auf 19,5 Prozent. Die Gesetzesänderung soll am Freitag im Bundestag verabschiedet werden. Mit der heutigen Einigung dürfte die Koalitionsmehrheit gesichert sein.
Rürup wird Kommissionschef
Die Bundesministerin für Gesundheit und Soziales, Ulla Schmidt (SPD), betonte, die von den Grünen gestellten Forderungen gehörten "selbstverständlich zu einem offenen Prüfungsauftrag". "Wir wollen alle Generationengerechtigkeit, wir wollen alle die Stabilität der sozialen Sicherungsssysteme", erklärte Schmidt. Dies gelte auch für die schnelle Senkung der Lohnnebenkosten.
Die Reformkommission solle vom Wirtschafts- und Rentensachverständigen Bert Rürup geleitet werden, sagte Schmidt. Die übrigen Mitglieder des Gremiums werde sie im Dezember vorschlagen.
Die Fraktionschefinnen der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Krista Sager, zeigten sich mit der Vereinbarung zufrieden. Die Grünen-Fraktion wird den Rentenplänen der Koalition nun am Freitag im Bundestag vermutlich geschlossen zustimmen. In einer Sitzung ihrer Fraktion habe es keine Gegenstimmen gegen die Vereinbarung gegeben, berichtete die Grünen-Abgeordnete Anna Lührmann.
Wirtschaft und Wissenschaft: Arbeiten bis 67 oder 70
Ulla Schmidt ist unterdessen Spekulationen über eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters von derzeit 65 Jahren entgegen getreten. Die Diskussion darüber sei müßig in einer Zeit, in der 55-Jährige arbeitslos würden, sagte Schmidt.
Dagegen hält Sachsens Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf längere Lebensarbeitszeiten für unausweichlich. Viele Menschen würden in Zukunft gezwungen sein, noch mit 70 Jahren zu arbeiten, weil ihre Renten hinten und vorne nicht mehr ausreichten, meinte der CDU-Politiker. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Rainer Brüderle: "Wenn Rot-Grün die Rentenversicherung weiter vor die Wand fährt, können die Menschen erst mit 70 in Rente gehen.“
Arbeitgebervertreter und Politiker hatten zuvor eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit angeregt. Dieser Schritt sei angesichts der Finanzkrise der Sozialsysteme unvermeidlich, erklärten mehrere. "Ein Renteneinstieg mit 65 wird sich auf Dauer nicht halten lassen", sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt der "Bild"-Zeitung.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, plädierte dafür, den Renteneinstieg in einem ersten Schritt um zwei Jahre nach hinten zu verschieben. Mittelfristig solle das Rentenalter auf 67 erhöht werden, sagte Braun derselben Zeitung.
Quelle: ntv.de