"Zeitenwende" und Regierungswechsel SPD setzt auf den "Bürger-TÜV"
30.01.2012, 17:10 UhrNein, über die Kanzlerkandidaten diskutiert die SPD auf ihrer Vorstandsklausur nicht. Vor dieser Entscheidung will sie für eine rot-grüne Mehrheit sorgen, mit Bürgerbeteiligung und gerechten Löhnen. Dafür legt sich Parteichef Gabriel große Worte zurecht. Nur ein Problem bleibt: Kanzlerin Merkel macht derzeit eine zu gute Figur.
Die SPD will ihr Regierungsprogramm für 2013 einem "Bürger-TÜV" unterziehen und über eine umfassende Volksbeteiligung bei den Wählern punkten. Parteichef Sigmar Gabriel bekräftigte nach einer Klausurtagung in Potsdam das Ziel der SPD, im Herbst 2013 gemeinsam mit den Grünen die schwarz-gelbe Regierung abzulösen. Er kündigte an, die SPD wolle 2012 zum "Jahr der fairen Löhne und zum Jahr der höheren Löhne" machen.
Gabriel sagte mit Blick auf die Umfragelage, seit fast zwei Jahren hätte die aktuelle Bundesregierung keine parlamentarische Mehrheit mehr. Umgekehrt sei der Zuspruch zu SPD und Grünen stark angestiegen. Angesichts der Schwäche der FDP sprach Gabriel von einer "Zeitenwende". Das Modell der Neoliberalen, wonach jeder sich selbst der nächste ist, sei gescheitert. Die SPD wolle die soziale und kulturelle Spaltung überwinden und gemeinsam mit den Grünen weg von der "Ellbogengesellschaft", sagte der SPD-Vorsitzende.
Zur geplanten Einbindung der Bürger bei der Erarbeitung des SPD-Regierungsprogramms 2013 sagte Gabriel, in einer "Art Volksbeteiligung" sollten alle Menschen in Deutschland die Möglichkeit haben, ihre Meinung zur Zukunft des Landes zu sagen. Dieser "Bürger-TÜV" sei die konsequente Fortsetzung der vor zwei Jahren begonnenen Debatte, wie sich die SPD stärker öffnen könne.
"Am Aufschwung beteiligen"
Zum inhaltlichen Schwerpunkt für das laufende Jahr sagte er, es gehe nicht nur um Mindestlöhne, sondern auch um die Gleichbehandlung von Leih- und Zeitarbeit sowie die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Die Menschen hätten während der Krise verzichtet, daher sei es "nur gerecht, sie am Aufschwung zu beteiligen". Der Parteivorstand hatte unter anderem mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, dem Präsidenten des Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, sowie Vertretern von Unternehmen und Gewerkschaften diskutiert.
Ein Schwerpunkt werde auch die Debatte um die Energiewende sein. "Die Energiewende droht völlig gegen die Wand zu fahren", so Gabriel. Nichts von dem, was verabredet worden sei, werde umgesetzt, weil die Ministerien im Bund gegeneinander arbeiteten. Das Handeln von Union und FDP gefährde den Industriestandort Deutschland. Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hände müssten so umstrukturiert werden, dass mehr Geld für Investitionen bleibe. "Wir fahren unser Land auf Verschleiß", warnte Gabriel.
Gabriel bekräftigte, dass die SPD bei ihrem Ziel bleibe, im Herbst 2013 stärkste Partei zu werden. In Umfragen erreicht die SPD derzeit maximal 30 Prozent und käme mit den Grünen auf etwa 45 Prozent. Damit sei Rot-Grün "zwei, drei Prozent von der Mehrheitsfähigkeit im Parlament" entfernt, sagte Gabriel. Dies sei eine "ganz gute Grundlage" für die Zeit bis zur Bundestagswahl. Der "gute Lauf" der SPD bei den Landtagswahlen 2011 solle im Saarland und in Schleswig-Holstein fortgesetzt werden, so Gabriel. Ziel sei jeweils ein Regierungswechsel unter SPD-Beteiligung.
Demoskopen bescheinigen der SPD steigende Werte in den Bereichen Glaubwürdigkeit und Gerechtigkeit, beim womöglich wahlentscheidenden Thema Euro-Rettung liegt aber die Union klar vorn. Merkel profitiere anscheinend von ihrer hohen Präsenz in den Medien und dem Eindruck, sie halte deutsches Steuergeld zusammen, hieß es. Einer Aufstockung des Euro-Rettungsschirms will die SPD im Bundestag nur zustimmen, wenn sich die Bundesregierung für eine Finanztransaktionssteuer zumindest auf Ebene der 17 Euro-Staaten starkmacht. Diese Einnahmen will die Partei zur Ankurbelung der Wirtschaft in Europa nutzen.
"Wir lassen uns nicht verrückt machen"
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte mit Blick auf die Bundestagswahl, die SPD werde im Wahlkampf "weniger versprechen, aber das auch halten". Eine große Koalition nach der Wahl wolle niemand in der SPD-Spitze, betonte sie. Grünen-Chefin Claudia Roth hatte den Sozialdemokraten vorgeworfen, sie zeigten "großkoalitionäres Gebaren". Die Partei wolle Merkel inhaltlich stellen, statt mit persönlichen Attacken, hieß es dagegen aus der SPD. Die Sozialdemokraten waren 2005 bis 2009 Juniorpartner einer großen Koalition mit der CDU, am Ende rutschten sie bei der Bundestagswahl 2009 auf 23 Prozent ab.
Die Frage des SPD-Kanzlerkandidaten spielte in Potsdam keine Rolle. Peer Steinbrück als einer der möglichen Anwärter sagte, die SPD werde ihren Kandidaten voraussichtlich nach der Niedersachsenwahl Anfang 2013 benennen. "Wir haben kein Interesse daran, einen Kandidaten zu früh zu verschleißen", sagte Steinbrück den "Ruhr Nachrichten". Er habe mit Gabriel und Bundestags-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier "eine klare Verabredung: Wir lassen uns nicht verrückt machen."
Zum SPD-internen Streitthema Rente mit 67 sagte Gabriel, er hoffe, dass hier bis Jahresmitte eine Lösung gefunden werde. Die SPD will die Rente mit 67 aussetzen, bis mehr Jobs für Ältere zur Verfügung stehen. Die Parteilinke will die Reform komplett zurücknehmen und das derzeitige Rentenniveau von 50 Prozent des Einkommens festschreiben.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa/rts